04.03.2009 - Interview -Haute Architecture: Messebau im Höhenrausch

m+a: Wie schätzen Sie die heutige Situation des mehrgeschossigen Standbaus ein - geht der Trend verstärkt zu mehr Etagen auf dem Messestand oder ist die Entwicklung eher rückläufig?

GTP Architekten: Insbesondere bei den Leitmessen, die flächenmäßig ausgebucht sind, können ausstellende Firmen nur expandieren, indem die zur Verfügung stehende Obergeschossfläche ausgenutzt wird. Was vor 20 Jahren noch ein den Großfirmen vorbehaltener Luxus war, wird inzwischen von Ausstellern aller Größenordnungen genutzt. Der Markt der Messebauunternehmen und Systemanbieter hat entsprechend darauf reagiert und so sind jetzt zahlreiche gut funktionierende Systeme für zweigeschossige Konstruktionen zu finden.

m+a: Was glauben Sie, ist das Reizvolle an mehreren Etagen auf dem Messestand? Gibt es psychologische Aspekte, die berücksichtigt werden sollten?

GTP Architekten: Eine mehrgeschossige Bauweise eröffnet einem das volle Spektrum architektonischer Möglichkeiten. Somit können geschlossene Bauteile auf eine obere Ebene verlegt werden, um maximale Transparenz im Erdgeschoss zu ermöglichen. Umgekehrt können geschlossene Kabinentrakte unten belassen und von einer fließenden begehbaren Displaylandschaft im Obergeschoss überdeckt werden. Die vertikale Dimension kann natürlich auch die gesamte Dramaturgie steigern. Treppen, Rampen, Rolltreppen sowie Brücken und ungewöhnliche Perspektiven aus verschiedenen Höhen lassen besondere Erlebnisse entstehen. Oft schafft eine höhere Ebene eine gewisse Distanz zum Trubel des Messegeschehens in den Gangzonen. Es können Hierarchien in der Exklusivität der Bereiche geschaffen werden. Es ist einfacher, im Obergeschoss einen VIP-Bereich zu definieren und abzutrennen und trotzdem diesen Bereich offen zu gestalten. Oft spielen auch psychologische Aspekte eine wichtige Rolle. So möchten viele unserer Bauherren ungern von einem Nachbarn oder Konkurrenten überragt oder überblickt werden. Eine dominierende Selbstdarstellung wirkt sich auch positiv auf die Moral und Stimmung der Standbesatzung aus, insbesondere bei großen Ständen, wie wir sie auf der CeBIT betreuen, wo oft mehrere hundert Personen der eigenen Standbesatzung vor Ort sind.

m+a: Welche technischen Richtlinien gilt es zu beachten?

GTP Architekten: Die technischen Richtlinien variieren von Messeplatz zu Messeplatz. Auch innerhalb Deutschlands gelten unterschiedliche Regelungen. Der wichtigste Faktor ist die anzusetzende Nutzlast, die je nach Nutzung (geringer Personenverkehr bis zu hoher Beanspruchung) üblicherweise von 2,0 bis 5,0 KN/ m2 variiert. Die Lasten wirken sich auf die Dimensionierung der Stahlkonstruktion aus und natürlich auch auf die Stützenabstände und -größen. Bei Obergeschossen über 100 m2 Größe oder ab einer bestimmten voraussichtlichen Personenzahl, wird eine zweite Treppenanlage als zusätzlicher Fluchtweg verlangt. Diese Treppe muss dann als "notwendige" Treppe gemäß Landesbauvorschriften ausgelegt werden. Manche Messeplätze verlangen die Berücksichtigung einer Ersatz-Horizontallast, obwohl innerhalb einer Messehalle mit keinen Windkräften zu rechnen ist. Trotzdem sollte jede Konstruktion eine ausreichende Stabilität vorweisen, um auch Anpralllasten von Fahrzeugen widerstehen zu können. Geländer und Außenwände der Obergeschosse sollten ebenfalls für eine horizontale Belastung ausgerichtet sein, auch wenn der Messeplatz dies nicht eindeutig vorgibt. Im Falle von Messehallen mit Sprinkleranlagen wird ab einer bestimmten Größe des Obergeschosses eine eigene Sprinkleranlage unterhalb der Decke verlangt. Manche Messeplätze verlangen zusätzliche Rauchabzugsöffnungen bei unter dem Obergeschoss liegenden eingeschlossenen Räumlichkeiten.

m+a: Ab welcher Standgröße halten Sie mehrere Etagen für sinnvoll?

GTP Architekten: Die Kriterien, die einen Aussteller dazu bewegen ein Obergeschoss zu planen, sind vorwiegend unabhängig von der eigentlichen Standgröße. Es gibt Beispiele von sehr großen Ständen, die auf eine zweite Etage verzichten und am anderen Ende des Spektrums sieht man inzwischen mehr und mehr kleine Stände, die zweigeschossig bauen, auch wenn nur ein kleiner Besprechungsraum auf der oberen Ebene geschaffen wird. So haben wir für Canon bereits einen 32 m2 großen Stand doppelgeschossig ausgeführt.

m+a: Wann raten Sie einem Kunden zu einem Doppelstöcker beziehungsweise glauben Sie, ein Podest erzielt eine ähnliche Wirkung?

GTP Architekten: Bei den großen Messen steht oft die Standzuteilung bereits fest bevor mit dem Standdesign begonnen wird. So ergibt es sich häufig, dass sich Kunden ein Raumprogramm überlegen, das nicht auf die Standfläche passt und einen dadurch automatisch zu einer mehrgeschossigen Lösung bewegt. Bei verschiedenen Leitmessen kann es sich ein "Major Player" nicht leisten, auf das Prestige eines zweiten Stockwerkes zu verzichten. Als extremes Beispiel gilt die alle vier Jahre stattfindende Telecom in Genf, auf der man ohne mehrgeschossige Bauweise untergeht, wie mit einem Reihenhaus in Manhattan. Podeste und Obergeschosse haben unterschiedliche architektonische Wirkungen. Podeste bringen ein 3-dimensionales Spiel in die Displayebene, können jedoch nie ein schwebendes Gefühl bzw. die Transparenz und Offenheit eines gut gestalteten Obergeschosses erreichen.

m+a: Raten Sie auch gelegentlich von zweigeschossiger Bauweise ab?

GTP Architekten: Natürlich raten wir auch manchmal von zweigeschossiger Bauweise ab, hauptsächlich wenn Raumprogramm und Budgetvorstellungen des Bauherren nicht zusammenpassen oder wenn sonstige Einschränkungen bestehen, wie extrem kurze Aufbauzeiten oder Begrenzungen in der maximal erlaubten Bauhöhe.

m+a: Haben Sie ein besonders gelungenes Beispiel für einen Stand mit mehreren Stockwerken?

GTP Architekten: Das extremste Beispiel vom Verhältnis Höhe zu Breite erzielten wir bei der Telecom '99 in Genf mit dem Stand für Motorola, der auf einer relativ bescheidenen Kopfstandfläche von 595 m2 insgesamt über 1300 m2 Fläche bot, insgesamt über vier Ebenen verteilt. Hier wurde die maximal erlaubte Bauhöhe von 15,5 m ausgenutzt und die vertikale Komponente zusätzlich architektonisch mittels aufsteigender Holztürme dramatisiert. Es war ein klassisches Beispiel, in dem das Standkonzept die Kluft zwischen Flächenangebot und -nachfrage überbrücken musste. Die Platzzuteilung in Genf war beschränkt, die Hallenflächen überbucht und die Platzerfordernisse von Motorola hoch und komplex. Es entstand eine vertikale Hierarchie beginnend mit einer öffentlichen Displayebene im EG, einer Fachbesucher-Ebene darüber und Lounge- und VIP-Etagen in den obersten Ebenen. Die Kopfstandsituation ließ eine spektakuläre Gestaltung zu, die den Pavillon als freistehenden Solitär besonders gut wirken ließ.

Quelle: m+a report Nr.2 / 2000 vom 15.03.2000