Die "Abweichungen" nehmen zu

Bei der Veranstaltung von Messen treten vielfältige Fragen auf. Erstmals liegt jetzt eine Gesamtdarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen vor. Hermann Kresse über Gewerberecht, Föderalismusreform und andere Aspekte.

Messerecht - was ist darunter zu verstehen?
Das Messerecht ist kein einheitlich oder abschließend geregeltes Rechtsgebiet wie etwa das Familien-, Kauf- oder Mietrecht. Der Begriff Messerecht umschreibt alle Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit dem Veranstalten von Messen und Ausstellungen und der Beteiligung von Ausstellern, Besuchern und Dienstleistern hieran ergeben. Zu den einschlägigen Rechtsgebieten gehören insbesondere Fragen des allgemeinen Zivilrechts, des Wirtschaftsrechts, des Arbeits- und Datenschutzrechts, aber auch Bereiche aus dem Vergabe- und Verwaltungsrecht; Aspekte des Europarechts spielen ebenfalls eine Rolle.

Bei der breiten Palette verwundert es, dass erst jetzt ein Buch dazu erscheint. Warum hat es so lange gedauert?
Das liegt daran, dass die Fragestellungen sehr vielfältig und spezifisch sind und im Übrigen gute Praxis- und Hintergrundkenntnisse der Strukturen und Abläufe in der Messebranche erfordern.

Gewinnen rechtliche Aspekte an Bedeutung? Wenn ja, weshalb?
Ja, durchaus - und das sage ich nicht als Rechtsanwalt, der gerne klagt, sondern als intensiver Beobachter der Entwicklungen in der Messeszene. Schon aufgrund des immer stärkeren internationalen Wettbewerbs nicht nur zwischen Messegesellschaften, sondern zwischen einzelnen Veranstaltungen, aber auch zwischen Städten und Regionen und nicht zuletzt aufgrund angespannter öffentlicher Haushalte treten rechtliche Aspekte etwa im Zusammenhang mit Kooperationen sowie Public-Private-Partnerships, aber auch teilweise im Hinblick auf Strukturanpassungen in den Vordergrund.

Sind Messerecht und Messepraxis eigentlich immer deckungsgleich?
Sie können sich denken, dass dem nicht so ist.

Wo gibt es die häufigsten "Abweichungen" auf Veranstalter- beziehungsweise auf Ausstellerseite?
Nehmen wir beispielhaft die Gewerbeordnung: Danach ist jedermann, der dem Teilnehmerkreis einer festgesetzten Veranstaltung angehört, grundsätzlich zur Teilnahme an der Veranstaltung berechtigt, wobei der Veranstalter aus sachlichen Gründen Aussteller oder Besucher ausschließen kann. Der Veranstalter befindet sich also in einem relativ engen rechtlichen Korsett; in der Praxis führt das häufig zu schwierigen Abwägungsprozessen und etwas mehr Flexibilität könnte hier manchmal gefragt sein, etwa im Sinne einer Lockerung des Kontrahierungszwanges und der Möglichkeit für den Veranstalter, die Bedingungen für Kunden differenzierter zu gestalten.Ein weiteres Beispiel sind die gewerblichen Schutzrechte. Wie aktuell die Probleme der Produktpiraterie auch auf Messen sind, war in letzter Zeit wiederholt der Presse zu entnehmen.

Welche möglichen Auswirkungen hat die Föderalismusreform auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland?
Durch die Föderalismusreform wird die Gesetzgebungskompetenz für Messen und Ausstellungen auf die Länder verlagert ab 1. Januar 2007. Bisher fiel die Regelungskompetenz in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, der in den §§ 64 bis 71b Gewerbeordnung Regelungen insbesondere für Definitionen, Festsetzung von Veranstaltungen und Zulassung getroffen hat. Die Länder können ohne Weiteres die bestehenden Regelungen der Gewerbeordnung in Landesrecht überführen und darüber hinaus an ihrer bisherigen Verwaltungspraxis festhalten. Damit liegt es in der Hand der Länder, bundeseinheitliche Standards zu schaffen und die entsprechenden Vorschriften möglichst weitgehend zu synchronisieren. Andererseits ist die föderale Struktur Deutschlands ein Verfassungsprinzip und ein Stück weit ist auch föderaler Wettbewerb politisch gewollt; die Bundeskanzlerin hat kürzlich hierfür das Wort "Wettbewerbsföderalismus" gebraucht. Dies können Sie etwa der aktuellen Diskussion um die Ladenöffnungszeiten entnehmen und der Frage der Arbeitszeitregelungen an Sonntagen. Hier wird befürchtet, es drohe ein "Flickenteppich" unterschiedlicher Länderregelungen, was zu Wettbewerbsverzerrungen führe. Ähnlich wird auch für den Messebereich argumentiert.

Unter dem Aspekt "Messerecht" welches Thema hat im Moment höchste Brisanz?
Aktuell halte ich das Thema Vergaberecht für besonders brisant, also die Frage, inwieweit die deutschen Messegesellschaften trotz ihrer privatrechtlichen Organisationsform - meist als GmbH oder AG - als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen sind.

Was macht es so brisant?
Eine aktuelle Entscheidung des Kammergerichts Berlin. Danach darf eine Gesellschaft, an der die Messe Berlin GmbH und ein Konsortium privater Unternehmen je zur Hälfte beteiligt ist, keine Entsorgungsdienstleistungen auf dem Messegelände vergeben, ohne ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen (Kammergericht, Beschluss vom 27. Juli 2006, Az: 2 VERG 5/06). Der Beschluss des Kammergerichts hat insofern in der Branche Aufsehen erregt, als der Europäische Gerichtshof in Luxemburg im Jahr 2001 bei der Mailänder Messe die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber abgelehnt hatte und die meisten Messegesellschaften sich daher nicht als öffentlicher Auftraggeber betrachten.Konsequenz ist, dass jede Messegesellschaft sich fragen muss, inwieweit sie das einschlägige Vergaberecht beachten muss. Erfolgt dies nicht, können schmerzliche Konsequenzen drohen. Nicht ausgeschriebene Verträge können unwirksam sein und müssten dann rückabgewickelt werden mit entsprechenden Schadensersatzfolgen.

Und wie sieht es mit der Privatisierung aus? Was bedeutet überhaupt Privatisierung und welche Auswirkungen hätte sie für ausstellende Unternehmen, für die Standorte, die Wettbewerbsfähigkeit der Veranstalter?
Zunächst ist klar, dass die deutschen Messegesellschaften formell bereits privatisiert sind und als Unternehmen in privater Rechtsform geführt werden. Die Diskussion kann also nur darum gehen, ob eine materielle Privatisierung erfolgen könnte in dem Sinne, dass Gesellschaftsanteile an Messegesellschaften mehrheitlich von Privatunternehmen übernommen würden. Aus rechtlicher Sicht kann festgehalten werden, dass einer mehrheitlichen Übernahme durch private Investoren keine durchschlagenden Gründe entgegenstehen. Die Durchführung von Messeveranstaltungen gehört nicht zu den Pflichtaufgaben der Kommunen und Länder im Rahmen der Selbstverwaltungsangelegenheiten. Dies gilt ungeachtet der Bedeutung von Messen für die jeweilige Region in Bezug auf die Umwegrentabilität. Ob eine Privatisierung allerdings wirtschaftlich sinnvoll ist oder aber im Interesse der Wirtschafts- und Strukturförderung nicht gewünscht wird, bleibt den öffentlichen Eigentümern der Messegesellschaften vorbehalten. Eine Gesamtprivatisierung der Messebranche in einem Zug ist rechtlich und faktisch unmöglich. Letztlich können die öffentlichen Eigentümer nicht gezwungen werden, ihre Gesellschaften zu veräußern. Je mehr deutsche Messegesellschaften jedoch zu international agierenden Unternehmen werden, desto mehr benötigen sie Handlungs- und Finanzspielräume, die ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern.

Richtet sich das Buch eher an Veranstalter oder an ausstellende Unternehmen?
Es richtet sich an alle messeinteressierten Leser sowohl bei Messegesellschaften als auch an alle Messeverantwortlichen in ausstellenden und besuchenden Unternehmen. Daneben spricht das Werk auch sämtliche Serviceunternehmen an, die im Messebereich ergänzende Dienstleistungen erbringen sowie den Sektor des Messebaus, der Event- und Werbeagenturen, der Marketing- und Kommunikationsunternehmen, der Messelogistikanbieter und schließlich die anwaltliche Beratungspraxis.Interview: Christiane AppelRecht der Messewirtschaft, Rechtsanwälte Dr. Hermann Kresse und Kai Engelsberg, 1. Auflage 2006, 312 S. brosch., 49,- EUR, ISBN3-8329-2275-X

m+a report Nr.7 / 2006 vom 27.10.2006
m+a report vom 27. Oktober 2006