Das Spiel mit der Psyche

Ein gut gemachter Messeauftritt erzählt heutzutage eine Geschichte - das tun Museen schon lange. Bei der Art der Präsentation gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. In jedem Fall können beide voneinander profitieren.

Museen haben im Vergleich zu Messen eine langfristige Ausrichtung, die mittelfristig flexibel sein soll, während auf Messen aktuell, produktorientiert, kurzfristig und marketingkonform reagiert werden muss", bringt es Uwe R. Brückner auf den Punkt. Das wirke sich auf den Einsatz und die Verwendbarkeit unterschiedlicher Konstruktionen, Materialien und Medien aus. Der grundsätzliche Unterschied liege aber zunächst in der Kommunikationsabsicht. Deutlich zeige sich das am speziellen Beispiel des Markenmuseums, wo das Museum die Marke promotet, indem es das längst nicht mehr im Handel befindliche und daher unverkäufliche Produkt zum Exponat erhöhe und damit einen Langzeit-Qualitätsanspruch garantiere.
"Bei einem Messeauftritt wird der Schwerpunkt immer auf den neuesten Produktreihen und Innovationen liegen, die im Sinne eines aktuellen Marketingclaims präsentiert werden, um eine zukünftige Kaufentscheidung der Besucher nach Möglichkeit zu beeinflussen." Brückner weiß, wovon er spricht. Mit seinem atelierbrückner in Stuttgart ist er seit Jahren erfolgreich mit verschiedenen Formen von Präsentationen aktiv. Unter seiner Leitung entstanden Projekte wie das Haus der Geschichte in Stuttgart, die Titanic-Ausstellung in Hamburg oder Auftritte für Kodak auf der Photokina in Köln.
"Das Museum ist ein Ort der Rekontextualisierung verloren gegangener und in Vergessenheit geratener Zusammenhänge von Objekten und deren funktionaler und narrativer Potenziale sowie der Vermittlung ihrer Bedeutung für die Gesellschaft", erklärt der Szenograph, Architekt und Bühnenbildner weiter. "Das Museum hat also den Auftrag, das historische Erbe zu bewahren und seine momentane und zukünftige Relevanz zu vermitteln. Daher genießt das Museum einen gelernten permanenten Stellenwert in unserer Gesellschaft."
Dieses Potenzial räumlicher Gestaltung werde zur Imagebildung auch im Messedesign - zum Teil seit Jahrzehnten - erfolgreich genutzt. Messestände verlangen einen unmittelbaren, schnell wirkenden Zugang zum Produkt, zur Botschaft und damit zur Marke. Diese "intravenöse" Wirkung bedeutet laut Brückner nicht notwendigerweise eine banale, plakative Präsentation. Nachhaltiger funktioniere ein assoziativer Zugang, ein schlauer, listiger, überraschender Umweg, der von den Besuchern eine Kontextualisierung von Auftritt und Marke, von Slogan (Motto), Botschaft und Produkt verlangt und nach dieser kombinatorischen Leistung ein erinnerungswürdiges Erfolgserlebnis auslöst.
Einen entscheidenden Unterschied zwischen Museen und Messeauftritten sieht Burkhard Grünefeld, Geschäftsführer von Heilmaier Messedesign, München, in der Besucherführung und dem didaktischen Ansatz. Während ein Messestand den alleinigen Zweck des Informationsgewinns und des Verkaufens anstrebe, sollen Ausstellungen im Gesamten wahrgenommen und "verkauft" werden. Die Ausstellung bringe in ihrer Gesamtheit ein Thema oder einen Ansatz rüber, während der Messestand auch in einzelnen Bereichen oder Produkten auf die Besucher wirke. Ihm liege immer ein werbe- oder verkaufspsychologischer Ansatz zugrunde. "Messen sind Marketinginstrumente."
Ausstellungsgestaltung hingegen lebe ohne Werbesuperlative und "freundliche" Übertreibungen, so Grünefeld, dessen Unternehmen in Lehr- und Sonderschauen gleichermaßen wie im Messebau zu Hause ist - und das schon seit 60 Jahren. Es gebe keine über die idealistische Grundhaltung des Künstlers hinausgehende Provokationen oder werbepsychologischen Botschaften. "Produkte suggerieren meist einen Erfolg, Kunstwerke nicht."
Die flexiblen, modularen Architektursysteme von Burkhardt Leitner constructiv, Stuttgart, sind in allen Bereichen einsetzbar, wo temporäre Räume benötigt werden - im Museums- und Ausstellungsbereich ebenso wie auf Messen. Geschäftsführer Michael Daubner versteht Ausstellungen vor allem als Wander- beziehungsweise temporäre Ausstellungen, die - einmal konzipiert - an verschiedenen Orten, auch international, gezeigt werden. Ein Unterschied zwischen Messen und Ausstellungen liegt seiner Ansicht nach in der Verweildauer der Besucher, ein anderer im Inhalt, der vermittelt werden soll.
Beides habe Auswirkungen auf die jeweiligen Konzepte: "Während bei Ausstellungen künstlerische oder didaktische Aspekte im Vordergrund stehen, geht es auf Messen letztlich immer um die dreidimensionale Darstellung eines Unternehmens und seiner Produkte. Den Messe- und Ausstellungsbau betreffend, sehen wir die wichtigsten Unterschiede in den längeren Planungs-, Vorlaufs- und Konzeptionszeiten für Ausstellungen. Außerdem sind die Budgets bei Ausstellungen - vor allem der öffentlichen Träger - noch knapper als im Messebau. An Ausstellungen sind häufig mehr Verantwortliche beteiligt als an einem Messestand: Es kommen die Künstler/Konzeptionisten selbst dazu, außerdem Kuratoren und Sponsoren. Die Anforderungen an die Architektursysteme jedoch sind die gleichen bei Messen wie Ausstellungen: Stets geht es um temporäre, flexible und häufig modulare Architektur."
Diese soll heute oft möglichst auffällig sein, wodurch manchmal das eigentliche Ziel des Auftritts aus den Augen verloren wird. Uwe R. Brückners Einschätzung dazu: "Zweifelsohne bedeuten Messeauftritte immer eine Art einkalkulierte Überforderung an redundanter Botschaft, an möglichst spektakulären Architekturen und visuell überfrachteten Eindrücken. Weder ein ,more is more' noch ein ,less is less funktionieren hier dauerhaft als Zauberformeln, sondern ein eher integratives Konzipieren und Gestalten. Auch die totale Reduktion oder starke Ästhetisierung führt nicht zwangsweise zu besseren Ergebnissen, weil zu Gunsten formaler Designdominanz häufig die Vermittlung von Botschaften auf der Strecke bleibt, die dann durch kostspielige, im Nachhinein notwendige Erklärungsmaßnahmen hinzuaddiert werden müssen."
Können Messen von Ausstellungen lernen? "Schon jetzt sind die Übergänge fließend", weiß Daubner. "Die Messeauftritte von Unternehmen, die dreidimensionale Darstellung ihrer Produkte und Philosophie, bedienen sich bereits künstlerisch-didaktischer Aspekte. Ausstellungen wiederum haben schon lange von kommerziellen Messeauftritten gelernt - man denke zum Beispiel an die Präsentation von Merchandise-Artikeln in den Museumshops: Bei Messen und auf Ausstellungen ist der Kunde/Besucher aufgefordert, Dinge zu erwerben, Begehrlichkeiten sollen geweckt werden. Auf einen Nenner heruntergebrochen sind beide Formen der Präsentationen dreidimensionale Darstellungen von Sachverhalten und Werten, die für den Betrachter durchgängig erlebbar gemacht werden sollen."
"Es geht bei Messen auch um das Spiel mit der Psyche!", ergänzt Grünefeld. "Messebesucher (beruflicher sowie privater Natur) wollen etwas erleben. Der Hunger nach Erlebnis, Event, Abenteuer wird in unserer ,überemotionalisierten' Zeit immer größer, die Kommunikation immer subtiler. Jeder Besucher hat Wünsche, Bedürfnisse und Forderungen an Veranstaltungskonzepte. Auch möchte er Anerkennung und sich wiederfinden. Spannungsbögen sollen aufgebaut und Geschichten erzählt werden. Dies können nicht nur Ausstellungen. Auch Unternehmen und Produkte können ihre wahrhafte Geschichte beziehungsweise eine fiktive Geschichte erzählen."
Nicht nur in der Museumsgestaltung, sondern auch in der kommerziellen Szenographie liege ein riesiges Potenzial in aus Inhalten und Botschaften entwickelten Konzepten, stellt Brückner in Aussicht, die mittels formaler Abstraktion und inszenatorischer Übersetzung qualitativ komplexe oder quantitativ üppige Inhalte auf ein gustierbares Maß reduzieren. "Die selbst erläuternde Dechiffrierung dieser Codes mittels erinnerungswürdiger Inszenierungen erleichtert die Lesbarkeit der Botschaften für den Besucher."

m+a report Nr.6 / 2006 vom 22.09.2006
m+a report vom 22. September 2006