Integration von Kunst

Kunst im öffentlichen Raum ist mittlerweile zu einem prägenden Element des Stadtbildes geworden. Anders sieht es im Bereich der temporären Architektur auf Messen und Ausstellungen aus, obwohl dort optimale Voraussetzungen gegeben sind.

Kunst ist die Fähigkeit, immer mit ausgefahrenen Antennen durch die Welt zu gehen, um Eindrücke aufzufangen, an denen andere achtlos vorbeigehen. Künstler wecken Emotionen und ermöglichen es uns, uns in andere Menschen und Situationen hineinzudenken. "Kunst ist ein Gefühl, das ein Mensch durchlebt hat, und das er durch ein Mittel - Stein, Bronze, Farbe, Worte oder Musik - so auszudrücken vermag, dass es auf andere Menschen übertragen wird", notierte der britische Journalist und Essayist Andrew Hallyday (1830-1877). Empathie ist ein Ziel, das auch für die Kommunikation von Unternehmen und Marken auf Messen und Ausstellungen von zunehmender Bedeutung ist. Die Integration von Kunst in Architektur kann in diesem Kontext zu einem Identität stiftenden Merkmal werden.
Bereits in seiner ersten Legislaturperiode beschloss der Deutsche Bundestag am 25. Januar 1950, einen Teil der Summe für öffentliche Bauten für Kunst aufzuwenden. Der Berichterstatter des Ausschusses für Kulturpolitik begründete die Notwendigkeit dieser Regelung mit einem über den Gesichtspunkt zeitbedingter und sozialer Maßnahmen hinausgehenden Argument. Er verwies auf die sensibilisierende Kraft, die Kunst besitzt, um den Erfahrungshorizont zu erweitern. Kunst gehöre demzufolge dorthin, wo Menschen zusammenkommen. Obgleich auf Messen nicht für die Ewigkeit geplant wird und tatsächlich viele Menschen zusammenkommen, ist Kunst dort bislang unterrepräsentiert.
Architektur und Kunst unterliegen unterschiedlichen Gesetzen. Dennoch hat es immer wieder innovative Konzepte an der Schnittstelle von Kunst und Architektur gegeben. Unternehmer haben den Stellenwert und die Chance erkannt, die eine offene mäzenatische Haltung gegenüber Künstlern bietet. Adriano Olivetti schuf ein Netzwerk von kulturellen Aktivitäten und Institutionen, die das Unternehmen zum Mittelpunkt der kulturellen Aktivitäten in Italien machte. Der Direktor für künstlerische Angelegenheiten des Philips-Konzerns beauftragte den Architekten Le Corbusier mit dem Bau eines Pavillons auf der Weltausstellung von 1958. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Edgard Varèse schuf Corbusier mit dem "Poème Electronique" ein Gesamtkunstwerk, das durch künstlerische Komponenten ein völlig neues Raumgefühl ermöglichte. Der Begriff Kunst oszilliert heute zwischen höchsten künstlerischen Leistungen und der Alltagskultur. Die Künstler der Pop-Art-Bewegung machten sich die banale Umwelt der modernen Konsumgesellschaft zu Eigen. So wurden beispielsweise die Supermärkte der amerikanischen Best & Co. Inc. von der Gruppe SITE durch künstlerische Maßnahmen verfremdet und zum Markenzeichen des Unternehmens.
Künstlerische Interventionen leben von einer zeitlichen Begrenzung und Kreativität braucht Veränderung. Sie ebnet den Weg, nicht nur Neues zu denken, sondern auch zu realisieren. Kunst muss im Kontext von Architektur mehr sein als eine dekorative Ergänzung. In diesem Zusammenhang hat es immer wieder Missverständnisse gegeben, die zur Polarisierung von Kunst und Architektur geführt haben. Künstler werden oft zu spät in den Planungsprozess integriert, so dass Kunstwerke von den Planern als unerwünschte Beeinträchtigung rein funktionaler Abläufe empfunden werden. Als nachträgliche Applikation kann Kunst aber keine Wirkung entfalten und stellt keinen Bezug zum architektonischen Umfeld her. Für das 2001 eröffnete Haus der Schweizer Rückversicherung Swiss Re in Unterföhring bei München wurde der Wunsch des Bauherrn, ein "inspirierendes Haus" zu erhalten, zum zentralen Thema der Architektur. Das Gebäude fällt zunächst durch die ungewöhnliche Struktur und die vielfältige Integration von Kunst auf. Nach außen bilden die Gärten der Künstlerin und Harvard-Professorin Martha Schwartz mit einer Komposition aus Farbe, Flora und Artefakten einen Ort der Inspiration für Mitarbeiter und Besucher. Ein Gang durch das Innere wird zu einem beeindruckenden Streifzug durch die Entwicklung der modernen Kunst der vergangenen 40 Jahre.
Spätestens hier werden die Zwänge, denen öffentliche Kulturbauten heute unterworfen sind, sichtbar. Mäzenatische Stiftungen und Förderprogramme sowie die Integration von Kunst sind ein Teil der Unternehmenskultur und setzen Zeichen. Kunst und Architektur können zum Leitmotiv des Brandings von Unternehmen werden, wenn es gelingt, das Publikum durch räumliche Qualitäten zu faszinieren. Kommunikation im Raum ist Teil dieser Kultur: Interaktion zwischen Künstlern und Publikum, innerhalb des Publikums und noch weiteren Kreisen. Ein Publikum gibt es auf Messen, was noch fehlt sind die geeigneten Vermittler. Jons Messedat

m+a report Nr.4 / 2006 vom 15.06.2006
m+a report vom 15. Juni 2006