Objekte - Sieger im Wettbewerb der Reize

Besucher nähern sich einem Messestand alles andere als systematisch und lassen sich von Intuition und Neugier leiten. Eine Studie zur Wirkung von Kommunikation im Raum schaut mit ihren Augen und verspricht neue Impulse für die Gestaltung.

Ginge es nach den Verfechtern der Ulmer Schule, so würde sich auch der Besucher eines Messestands den strengen Gesetzen des Corporate Designs unterwerfen. Er müsste sich an starren Gestaltungsrastern orientieren und den Blick in konventioneller Leserichtung über die Elemente des Standes schweifen lassen. Doch die Realität sieht anders aus: Meist nähern sich Besucher einem Messestand alles andere als systematisch, gehen ganz spontan auf bestimmte Exponate zu und lassen sich von Intuition und Neugier leiten - ohne Rücksicht auf die ursprünglich vorgesehene Informationshierarchie.
Der Messebesucher, ein unberechenbares Wesen? Keineswegs, wie eine Studie der Interessengemeinschaft Messeforschung zeigt. Dabei wurden Messestände mit einer Blickaufzeichnungskamera untersucht. Das aus dem Pretest von Anzeigen und Websites bekannte Instrument nimmt das Blickfeld des Betrachters auf, erfasst auch kleinste Augenbewegungen und misst, welche Punkte fixiert werden. In der Auswertung wird der Blickverlauf später dann als rote Spur in die Videoaufnahme eingeblendet, und das untersuchte Objekt kann nachträglich mit den Augen der Testperson betrachtet werden.
Untersucht wurde ein typischer Messestand im realistischen Umfeld einer Fachmesse. An fünf aufeinanderfolgenden Tagen wurden Videosequenzen mit jeweils 30 Testpersonen aufgezeichnet, wobei Anordnung und Gestaltung der Informationselemente täglich verändert wurden. Insgesamt 150 Aufnahmen wurden ausgewertet.
Schon das erste Ergebnis der Studie widerspricht der herkömmlichen Sichtweise: Der Blickverlauf folgt keineswegs einem gelernten Schema, etwa von links oben nach rechts unten, wie es westlichen Lesegewohnheiten entsprechen würde. Vielmehr springt das Auge von Reiz zu Reiz - und lässt sich dabei von unterschiedlichen Intensitäten leiten.
Der Einstieg in einen Kommunikationsbereich erfolgt stets über emotionale, nichtsprachliche Reize. Am intensivsten ist dabei die Wirkung eines dreidimensionalen Objekts. Erst danach werden Fotografien oder Visualisierungen bemerkt, wobei der Blick häufig vom Objekt zum Bild und wieder zurück wechselt. Textelemente werden dagegen nur von 20 % der Betrachter erfasst. Anders als die viel schneller erkennbaren Objekte und Bilder können sie ihre Wirkung kaum entfalten.
Mit anschaulichen Objekten lässt sich nicht nur die Aufmerksamkeit des Betrachters gewinnen, sie helfen auch, Botschaften dauerhaft zu verankern. Grund dafür ist die als "doppelte Kodierung" bekannte Fähigkeit des Gehirns, Informationen auf zwei Ebenen gleichzeitig zu speichern, indem es Bild- und Wortinformation paarweise verknüpft. Je intensiver der optische Reiz ist, desto besser funktioniert die Erinnerung.
Nehmen wir zum Beispiel einen knackigen Apfel in die Hand, fällt uns sofort der Begriff "Apfel" ein, und wir können Bild und Wort abspeichern. Sehen wir die Fotografie eines Apfels, entsteht wieder das Wort, ohne gegenständliche Unterstützung fällt der optische Reiz jedoch weniger intensiv aus. Lesen wir das Wort "Apfel", erscheint vor unserem geistigen Auge zwar das entsprechende Bild, aber der Ausgangsreiz ist noch einmal deutlich schwächer. Beim abstrakten Wort "Kernobst" fehlt das konkrete Bild völlig. Die Information wird ohne visuelles Pendant gespeichert, was die Merkfähigkeit erheblich verringert. Nicht umsonst bedienen sich viele Gedächtnistechniken der Verknüpfung von Begriffen mit räumlichen Objekten oder anschaulichen Bildern.
In der reizüberfluteten Umgebung einer Messe wirken Objekte wie ein Leuchtturm. Sie helfen dem Besucher zu entscheiden, ob das dargestellte Thema oder die angebotene Lösung für ihn relevant ist. Hält er dann an einem inszenierten Exponat, einem Funktionsmodell oder einem Dekorationsobjekt inne, kann ihn der Standberater meist ohne Mühe "abholen" und zum persönlichen Gespräch übergehen.
Auch der Stand als Gesamtobjekt kann viel dazu beitragen, die Botschaft eines Unternehmens zu vermitteln. Werden nicht nur architektonische Module eingesetzt, sondern Geschichten erzählt und Erlebnisräume geschaffen, entsteht eine Dimension, in der die Besucher mit allen Sinnen angesprochen werden. Auch Anbieter sehr komplexer Produkte oder abstrakter Dienstleistungen können so einen anschaulichen, emotionalen und damit bleibenden Eindruck erzielen.
Es lohnt sich also wirklich in jeder Hinsicht, Spontanität und Intuition des Messebesuchers einzukalkulieren und die Gestaltung von Messeständen nicht dem Zufall zu überlassen. Joachim Falcke

m+a report Nr.3 / 2006 vom 28.04.2006
m+a report vom 28. April 2006hutz