Vom Boden zur Bühne

Wenn Messeböden nicht nur Stellfläche, sondern Teil einer Standarchitektur sind, haben sie große Chancen, eigenständige, bespielbare Bühnen zu werden.

Die klassische Aufgabe von Podesten ist es, Aufmerksamkeit zu erreichen und etwas in seiner Bedeutung zu erhöhen, indem ein Redner oder ein Produkt "auf ein Podest gestellt" wird. Doch so wie in einer Stadt Treppen nicht nur zum Drüberlaufen und Brunnenkanten nicht nur als Abschluss eines Wasserbeckens da sind, sondern zum sitzenden Verweilen genutzt werden, so können auch auf einem Messestand Podeste Besucher zum "Verweilen" einladen. Und während sie sich entspannen und ausruhen, können sie zugleich ihren Blick in vorbeiziehende virtuelle Filmwolken verlieren oder einen Produktfilm verfolgen. Information von oben in der Liegelounge. So geschehen auf dem Messestand für Mobilcom auf der CeBIT 2005 in Hannover, den die Agentur Triad aus Berlin auf 1500 m2 ausbreitete. Hier ging es darum, Markenwerte über eine Messelandschaft und informative Events erlebbar zu machen, die der Besucher durch große Tore und Produktpräsentationen durchschritt.
Doch manchmal sind Podeste ganz klassischer Untergrund für Exponate und dennoch von höchster Wirksamkeit. Für den Messestand des Automobilzulieferkonzerns ZF Friedrichshafen auf der IAA 2005 in Frankfurt entwickelte die Agentur Generators Communication, Frankfurt, mit den Architekten Motorplan, Mannheim, einen ganz offenen und klar gegliederten Messestand, in dem in minimalistischer Form die Exponate auf hochglänzenden weißen Kuben präsentiert wurden. Unter dem Slogan "Mehr Funktionalität durch Vernetzung" wurde aufgezeigt, wie durch elektronische Vernetzung das Autofahren der Zukunft aussehen könnte. Ein großes Podest wurde gar zur Bühne für eine moderierte Präsentationsshow und Expertengespräche, die auf der Rückwand durch Filmtrailer unterstützt wurden.
Fahrzeuge können auf Messen abgestellt, ausgestellt oder besonders herausgestellt werden, vor allem dann, wenn das glänzende Glaspodest mit Edelstahlkante Teil der bühnenhaften Standarchitektur ist, die aufgrund der besonderen Bauvorschriften nur eine Bauhöhe von 150 cm und bei transparenten Elementen bis 220 cm zulässt. Die Agentur Bellprat aus Winterthur hat für die Weltpremiere des neuen Cadillac BLS auf dem Genfer Autosalon 2005 den Raum um den gläsernen Podestboden mit Edelstahlbändern in Form von Trapezen eingefasst, deren Zwischenraum als Grafik- und Projektionsfläche für Holopro-Technik entworfen wurde. Podestboden und Rückwand gingen gläsern ineinander über, während die Brillanz der Fahrzeuge vom polierten schwarzen Granitboden im Stand fortgeführt wurde.
Wann wird dem Messeboden oder einem Podest besondere Aufmerksamkeit geschenkt? Nur wenn es im Glanz das Produkt überstrahlt, wenn es leuchtet oder farbig heraussticht? Ein Boden auch auf einem Messestand ist eine Fläche, ein Untergrund, eine Bühne, auf der präsentiert, gespielt, erzählt, inszeniert wird. Es sind Böden, die eine Geschichte vorbereiten, in die der Besucher umso mehr hineingezogen wird, wenn diese Böden in die Standarchitektur übergehen, zur Wand oder gar zur Decke werden, und dadurch eine ganz eigene Innenwelt geschaffen wird.
Die Innenarchitekten Keggenhoff/Partner, Arnsberg-Neheim, haben auf der Orgatec in Köln für das Möbelunternehmen Modul+ einen solchen Stand geschaffen. Unter dem Motto "Freiheit der Ideen" wurden Lichtmöbel aus Acrylglas vorgestellt, die durch Bildprojektionen ihre Individualität erhalten. Leicht, transparent und lebendig wie das Möbeldesign wurde auch die Standarchitektur, in der der Boden aus Acrylglas in einem Raumbogen in eine farbige Lamellenkonstruktion in Wand und Decke wie eine Welle überging. Die Dynamik der "großen Welle" des japanischen Malers Hokusai war Ausdruck eines Lebensgefühls der letzten Jahre ebenso wie Retroformen der 60er und 70er Jahre, die in weichen, organischen Raumformen mündeten. Weiche Formen der technischen Produkte fanden hier ebenso ihre Entsprechung wie die fließende Materialität eines Teppichbodens, den der Designer Christian Werner für das Unternehmen Carpet Concept auf der Domotex in Hannover im Messestand umsetzte. Die abgerundete Form des Messestandes bildete eine eigenständige Bühne, in der Anwendungsmöglichkeiten des Teppichmaterials vom Boden über die Wand bis zur Decke gezeigt wurden.
Die wohl ungewöhnlichste Form, in der ein Boden gar zum wichtigsten Ausstellungselement wurde, zeigte die Amsterdamer Agentur Totems im Pavillon ihres Landes auf der Expo 2005 in Japan. Unter dem Hauptthema "Holland - Land des Wassers" präsentierte sie multimedial eine Erfahrung, wie Wasser das Land geprägt hat. Im Innern umschlossen Amsterdamer Fassaden aus blauer Delfter Keramik ein virtuelles Wasserbecken in der Größe einer Kinoleinwand, das durch Projektionen zum Leben erweckt wurde - eine emotionale, überaus erfolgreiche Inszenierung.
Ob als Podest, als Fläche oder als Teil einer Architekturform können Böden zu bedeutsamen Messebühnen werden, wenn sie Bestandteil des Messekonzepts sind. Der italienische Sanitärhersteller Teuco stellte auf der ISH 2005 in Frankfurt fast zwei Drittel seiner Standfläche zur Verfügung, um seine Besucher für das Thema "Wasser" zu sensibilisieren - mit Wasserbecken, Pflanzen und breiten Holzstegen zum Flanieren, fast wie im Urlaub.
Ingrid Wenz-Gahler

m+a report Nr.3 / 2006 vom 28.04.2006
m+a report vom 28. April 2006