Immer greller, immer schneller, immer lauter?

The next generation - Welche Ansprüche an Kommunikation haben die Entscheider von morgen? Wie können Messe- und Eventveranstalter diese Wünsche nutzen?

Oliver (23) ist enttäuscht: "Klar sind die Messestände ganz interessant. Aber ich möchte die Länder erleben. Selbst etwas machen, aktiv sein. Hier kann ich höchstens eine Broschüre, einen Kuli oder ein Bonbon mitnehmen. Oder gleich eine Reise buchen." Der BWL-Student ist seit zwei Stunden auf der ITB Berlin unterwegs, schaut hier und da. Immer wieder tippt er etwas in seinen PDA, auch während unseres Gesprächs. Peter Köppen, Pressesprecher der ITB, sieht die Vielfalt mit anderen Augen: "Die multimedialen und interaktiven Angebote auf Messen nehmen ständig zu."
Die Einschätzungen zweier Generationen prallen hier aufeinander. Oliver will mehr. Screens mit Imagefilmen und Terminals, die den Zugang zur Homepage des Ausstellers ermöglichen, reichen ihm nicht. Er gehört zu der Generation, für die das Internet selbstverständlich ist, die auch mit allen anderen Medien spielend umgeht. Er möchte etwas Aufregendes erleben, etwas erfahren, das ihn persönlich weiterbringt. Er hat keine Zeit zu verlieren.

Was Oliver für die ITB intuitiv formuliert, ist ein Anspruch an Kommunikation, der sich in den nächsten Jahren verstärkt durchsetzen wird, national und international. Dieser Anspruch der nachwachsenden Generation von Mediennutzern, zu der die Entscheider von morgen gehören, stellt die Messen weltweit vor neue Herausforderungen. Das lässt sich aus den Ergebnissen einer aktuellen Studie zur Mediennutzung und zum Kommunikationsverhalten im internationalen Vergleich ableiten. Brigitte Spieß, Leiterin Business Development bei CB.e Clausecker | Bingel. Ereignisse, hat darin die so genannte Always-on-Generation besonders unter die Lupe genommen. Erstaunliches Ergebnis: Das Kommunikationsverhalten der 15- bis 35-Jährigen gleicht sich in den Metropolen Asiens, Europas und den USA zunehmend an. Sie sind vertraut mit Handy, Laptop, W-LAN und MP3 . Viele können die Geräte nicht nur bedienen, sondern selbst multimediale Angebote gestalten. Spieß betont, dass diese Gruppe spezifische Ansprüche an Kommunikation hat: "Da die nachwachsende Generation selber medienkompetent ist, hat sie einen anderen Blick auf Kommunikationsangebote. Sie will inhaltlich gefordert werden, mit allen Sinnen dabei sein: gleichzeitig fühlen, sehen, hören, schmecken." Sich persönlich weiterzuentwickeln steht ganz oben auf der Wunschliste: Informationen in kürzester Zeit aufnehmen und das mit Spaß. Info- und Edutainment sind gefragt. Am besten, die Informationen sind auf den Interessenhorizont des Nutzers individuell zugeschnitten, wie dies zum Beispiel bei Video-on-Demand oder Online-Zeitungen möglich ist.

Weitere Tendenzen, die Spieß ermittelt hat: Die Medientechnik muss mobil sein, so dass von jedem Ort aus kommuniziert werden kann. Geräte, die die Nutzer nicht mitnehmen können, wollen sie zumindest aus der Ferne steuern. Bei aktuellen Themen darf es keine Zeitverzögerung geben. Live dabei sein können, egal wo sie sich gerade aufhalten, zählt.
Die Always-on-Generation will mit allen Sinnen gereizt werden, multimediale Angebote nutzen, sich in virtuelle Realitäten begeben, dabei interaktiv sein und mitbestimmen können. Diese Ansprüche können von klassischer Kommunikation allein nicht befriedigt werden. "Langfristig wird es zu einer Verschiebung von der klassischen hin zu einer individualisierten und beziehungsorientierten Kommunikation kommen", sagt Brigitte Spieß.

Steckt darin eine Chance für die Messe? Schließlich ist sie ein Mittel der beziehungsorientierten Kommunikation. Die Messebranche klagt viel: Die Marketingbudgets der Unternehmen sinken, die Aussteller steigen auf Hausmessen um, die Besucher bleiben weg. Um dem entgegenzuwirken, ist es für Messen wichtig, die Lust auf beziehungsorientierte Kommunikation bei der nachwachsenden Generation für sich zu nutzen. Viel hängt davon ab, ob es ihr gelingen wird, die Entscheider von morgen von ihrem Kommunikationswert zu überzeugen. Und sie dadurch an die Messe zu binden.
Hier sind alle gefragt, die Aussteller und die Messeveranstalter. Wie wird die Messe innovativer und damit attraktiver für die nachwachsende Generation? Genügen die Angebote der Aussteller schon den vielfältigen Ansprüchen der Always-on-Generation? Wie können Experten für Dramaturgie und mehrdimensionale Inszenierungen die Aussteller unterstützen? Damit Multimedialität, Crossmedialität und Multisensualität mehr sind als modische Schlagworte.
Mit Leben gefüllt sind sie geeignet, Unternehmen und ihre Produkte optimal zu präsentieren.

Die Messestände greller und lauter zu machen, ist dabei nicht das Ziel. Das schafft nur kurzfristig Aufmerksamkeit und geht vielen Besuchern eher auf die Nerven. Es geht darum, innovative, herausfordernde Kommunikationsangebote für jetzt und für die Zukunft zu gestalten. Nützliche Anregungen für die Umsetzung bieten die weltweit erfolgreichen Science Center, zum Beispiel das Exploratorium in San Francisco oder das Deutsche Museum in München. Viele Inspirationen für eine innovative Gestaltung interaktiver Angebote birgt auch das Medienmuseum des Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe.
Messeveranstalter preisen ihre Angebote gerne als bedeutendste Informations- und Wissensquelle der jeweiligen Branche. Um diesem Anspruch auch für die neue Generation gerecht zu werden, bietet es sich an, ihr Rahmenprogramm aus begleitenden Kongressen, Workshops und Events als ganzheitliches Angebot zu konzipieren: an Themen orientiert und durchgehend emotional inszeniert. Wichtig ist dabei, Foren und Medien zu schaffen, die alle Marktpartner integrieren. So entsteht ein Mehrwert, der größer ist als die Summe der einzelnen Ausstellungsangebote. Grundlage dafür ist das Wissen der Messeanbieter um den jeweiligen Markt, seine Gesetzmäßigkeiten und Trends. Die Messeveranstalter stehen in einem harten Wettbewerb. Eine Abgrenzung von anderen Anbietern ist vor allem über ein erweitertes Serviceangebot möglich. Für die Entscheider von morgen sind Online-Angebote besonders interessant, die während der Messe und auch in der Vor- und Nachmessephase verfügbar sind.

Eine Stunde später auf der ITB: eine SMS von Oliver auf meinem Handy. Er hat versprochen, Bescheid zu sagen, falls ihm noch etwas Interessantes auffällt. Er schreibt "Live-Labor in Halle 6. Teste Online-Reiseportale auf Benutzerfreundlichkeit." Ich sehe mir an, was sich dahinter verbirgt: Probanden sitzen an Notebooks und bekommen die Aufgabe, im Internet eine bestimmte Reise zu buchen. Eine Kamera zeichnet alles auf. Auch die Mausklicks, der Blickverlauf und die Kommentare der Teilnehmer werden protokolliert. Die Ergebnisse werden dann ausgewertet und zur Verbesserung der Websites verwendet. Der Messestand geht auf eine Initiative der Messe Berlin zurück, die zu interessanten inhaltlichen Angeboten für die ITB aufforderte. Die Notwendigkeit von interaktivem Edutainment ist also offensichtlich erkannt worden. Aber für Olivers Ansprüche noch viel zu punktuell umgesetzt.
Ein Vorschlag, um die Messe fit zu machen für die Wünsch der nachwachsenden Entscheidergeneration: Messeveranstalter, Aussteller, Messebauer und Kommunikationsagenturen sollten sich zusammentun und die Entwicklungen in großer Runde diskutieren, um in einem zweiten Schritt innovative multimediale und interaktive Angebote für eine erfolgreiche Zukunft zu erarbeiten. Amira Mahdi

Die Autorin Amira Mahdi (27) gehört zum Berliner CB.e-Team und arbeitet im Bereich Public Relations.
CB.e Clausecker | Bingel. Ereignisse GmbH ist eine international ausgerichtete Kommunikationsagentur, die auf Beratung, Konzept und Gestaltung im Below-the-Line-Bereich spezialisiert ist. Sie wurde 1996 von Sabine Clausecker und Eberhard Bingel in Berlin gegründet und beschäftigt inzwischen 50 Mitarbeiter in der Berliner Zentrale sowie in den Dependancen Stuttgart und Hamburg. Zu ihren Kunden zählen accenture, Bayer, Berliner Volksbank, DaimlerChrysler, Metro, Sony Center, smart und ZVEI.
CB.e hat Ende 2003 gemeinsam mit Roland Berger Market Research das Zukunftsforum "Trends in den Triade-Märkten" konzipiert und durchgeführt. 20 internationale Unternehmen diskutierten in Berlin mit namhaften Wissenschaftlern und Praktikern, aktuelle Trends und Entwicklungen in Nordamerika, Europa und Südost-Asien. Informationen unter http://www.cbe.de und http://www.trends-in-den-triade-maerkten.de oder unter der Telefonnummer 030-818840.

m+a report Nr.3 / 2004 vom 23.04.2004
m+a report vom 23. April 2004