Design folgt Identität

Messe ist multimedialer Mehrkampf. Um ihre Marken in allen geforderten Kommunikationsdisziplinen glaubwürdig darzustellen, denken Unternehmen bei ihren Auftritten zunehmend um.

Die IAA 2005 in Frankfurt hat es eindrucksvoll belegt: Materialschlachten und Technikexzesse um des bloßen Beeindruckens willen gehören der Vergangenheit an. Die Attribute größer, höher, teurer passen nicht mehr in eine Welt, in der vermehrt über die Endlichkeit von Ressourcen in allen Bereichen nachgedacht wird. Dabei war die ökonomische Krise der vergangenen fünf Jahre in gewisser Weise heilsam. Zwar gewannen die Finanzverantwortlichen in den Unternehmen deutlich an Macht und die Kommunikationsverantwortlichen sahen sich gleichzeitig stark in ihrem Handlungsfreiraum beschnitten - allerdings mit der positiven Folge, dass die Unternehmen sich heute um mehr Effizienz und damit um eine engere Verzahnung der Kommunikationskanäle bemühen.
Eine Messe ist im wahrsten Sinne des Wortes ein multimedialer Mehrkampf. Nahezu alle wichtigen Kommunikationsdisziplinen sind zeitgleich an einem Ort gefordert. Soll hierbei ein charakteristischer, glaubwürdiger und in jeder Hinsicht wirksamer Auftritt entstehen, ist ein integrierter Ansatz gefordert, der die Stärken der jeweiligen Medien nutzt und diese gleichzeitig konsequent an der Unternehmensstrategie beziehungsweise Marke ausrichtet.
2003 zeigte eine Studie von Mercer Management Consulting: "Über integrierte Kommunikation wird viel geredet. Integrierte Kommunikation findet jedoch nicht statt." Bis heute verkürzen viele Akteure integrierte Kommunikation auf die klassischen Leistungen der Unternehmenskommunikation oder des Marketings. Viele Unternehmen besinnen sich dennoch auf die Potenziale echter integrierter Kommunikation. Eine solche Strategie stellt die gesamte Interaktion in den Kontext der eigenen Marke und sorgt damit zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und zu jedem Thema für koordinierte Botschaften.
Doch genau hier stoßen Kommunikations- und Marketingabteilungen auch an ihre Grenzen. Markenführung braucht eine vernetzte Organisation und Struktur im Unternehmen, die eine koordinierte Kommunikation erst ermöglicht. Ein Beispiel: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit potenziellen Kunden und anderen Bezugsgruppen zu tun haben, sind "Botschafter der Marke", der Außendienst genauso wie das Beschwerdemanagement. Auch Dienstleister, beispielsweise Call-Center, prägen den Charakter der Marke nach außen mit. Sie alle gilt es in den Prozess der Markenführung einzubeziehen.
Die Komplexität des Themas, aber auch die Chancen von Markenentwicklung werden hier deutlich. Markenführung beginnt auf höchster Instanz, beim Vorstand oder der Geschäftsführung. Sie basiert auf der Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmensvision, -mission und den -zielen als Grundlage für die Markenentwicklung.
Die Formulierung des Markenkerns, der Markenwerte, der Kompetenzen, der Positionierung und eines Leitbilds bilden das Ergebnis. Und eine fundierte Basis, um eine breite Mitarbeiterschaft zu "Botschaftern der Marke" zu qualifizieren. Die erarbeiteten Inhalte sind zudem die Grundlage für die Entwicklung eines kohärenten Designs. Designlösungen - zwei- oder dreidimensional -, die sonst nach dem individuellen Geschmack beurteilt wurden, erhalten transparente Bewertungskriterien und wirken deutlich prägnanter als schöne Kosmetik.
Marken zum "Anfassen" werden immer bedeutender. Der Hintergrund ist die Vielzahl neuer Medien sowie die Möglichkeit, Zielgruppen sehr spezifisch anzusprechen. Shop-in-Shop-Lösungen und Live-Events sind Beispiele für hervorragende Instrumente, die die Verbraucher effektiv erreichen. Ein erfolgreicher Messeauftritt jedoch inszeniert die Marke am umfassendsten - und macht sie wie kein anderes Medium mit allen Sinnen erlebbar. Vor Ort auf der Messe sind keine aufwendigen Designsysteme gefragt, es geht um die Beantwortung der Frage: "Was passt zu meiner Marke, zu meinem Anlass und zu meiner Zielgruppe?"
Der Weltkonzern Sony verdunkelte beispielsweise auf der IFA 2005 in Berlin eine komplette Messehalle und verwandelte sie in eine spannende Erlebniswelt. Die Besucher lustwandelten in einem dichten Wald aus Stoffstreifen und entdeckten darin verschiedene beleuchtete Themeninseln. Das Konzept ging auf, ohne messeübliches Ausstellungsdesign und ohne gedruckte Botschaften: Das Design des Messestands folgte konsequent der Identität der Marke. Sony versteht sich als innovatives, führendes Unternehmen und lebt diese Vorreiterrolle mit einer neuartigen, selbstbewussten Marken- und Produktinszenierung, die für sich selbst spricht.
"Konsumenten werden sich zukünftig freiwillig mit Marken beschäftigen - oder gar nicht! Erlebnisqualität ist dabei ein wichtiger Treibstoff der freiwilligen Markenzuwendung." Dies prophezeit Jan Pechmann von der Agentur diffferent, Berlin. Der Messestand erzeugt gebündelte Erlebnisqualität, indem er - auf der Basis der Markenwerte - einer zentralen Idee folgt, der "Big Idea", die stets überrascht, nicht vorhersehbar ist und so Neugier bei den Konsumenten weckt.
Das Prinzip: Die Big Idea bricht gelernte Wahrnehmungsregeln und erzeugt so Interesse. Neugierig geworden, machen sich die Standbesucher ans Erkunden oder Entschlüsseln des Szenarios. Psychologen sprechen von "Flow", der Befriedigung des Neugiertriebs, bei dem sich tatsächlich die Sorgen des Alltags vergessen lassen und hohe Zufriedenheit entsteht. Eine Zufriedenheit, die der Messebesucher nachhaltig mit der Marke verbinden wird.
Eine angemessene Markeninszenierung war auch der Anspruch des deutschen Mobilfunkanbieters E-Plus bei seinem Messeauftritt auf der CeBIT 2005 in Hannover. Ausgehend von den E-Plus-Markenwerten entwickelten die begleitenden Agenturen für den Auftritt die Idee eines "urbanen Parks" - als einem Ort der unkonventionellen Begegnung, des entspannten Miteinanders und der zwischenmenschlichen Kommunikation. Der Auftritt übersetzt den E-Plus-Claim "Ein Plus verbindet" schlüssig auf die Situation der Messe. Gesucht wurde ein architektonischer Rahmen, der die Umsetzung der Parkidee wirkungsvoll, sprich in angemessener Dimension ermöglichte. Die bisherige Standfläche war zu klein, die beabsichtigte ruhige Parkatmosphäre durch unvorhersehbare Einflüsse der Standnachbarn nicht gewährleistet.
Daher entschied sich E-Plus für eine neuartige Lösung: In unmittelbarer Nähe der großen Wettbewerber entstand auf dem Außengelände ein eigenständiger Kuppelbau. Bei der Umsetzung half der holländische Spezialist für temporäre Raumlösungen De Boer mit seinem Millennium Dome, dem größten mobilen frei tragenden Kuppelbau Europas. Die Konstruktion bot - mit einem Innenraum von 51 m Durchmesser ohne Stützen - die ideale Grundlage für die E-Plus-Arena. Die vergleichsweise günstige Flächenmiete im Außenbereich der Messe ließ zudem guten finanziellen Spielraum für die markenadäquate Inszenierung.
Den Blickfang von außen bildeten drei gläserne Skywalks mit großflächiger multimedialer Bespielung, durch die die Messegäste auf eine Galerie gelangten. Spätestens dort, mit dem ersten Blick auf die gesamte Parkinszenierung, stellte sich bei den meisten Besuchern der "Flow-Effekt" ein, der zur intensiveren Beschäftigung mit den Angeboten von E-Plus bewegte.
Den Innenraum bedeckte eine stilisierte Parklandschaft mit einer Vielzahl von Hügeln, Hecken und Parkbänken, die zum Verweilen einluden. Um den Park herum zog sich eine urbane Zone mit diversen Shops, die den verschiedenen Zielgruppen entsprechend gestaltet waren. Zahlen belegen den Erfolg des Konzepts: Die Verweildauer der Besucher am "Stand" stieg signifikant. Die Gesamtbesucherzahl lag entgegen dem CeBIT-Trend um mehr als 20 % über dem Vorjahr. Der "urbane Park" bestätigte das Bild von E-Plus als einer Marke, die Menschen verbindet.
Große Unternehmen machen es vor: Marken sind das wertvollste Gut, das sie besitzen - in sie wird entsprechend investiert. So macht beispielsweise der hohe Markenwert von Coca-Cola fast 70 % des gesamten Markt- oder Börsenwertes des Unternehmens aus; auch bei BMW liegt dieser Anteil bei über 55 %. Denn der "gute" Name bietet Orientierung, eine verlässliche Beziehung und stiftet Vertrauen - und damit zufriedene Konsumenten. Michael Rösch / Norbert Gabrysch

m+a report Nr.1 / 2006 vom 13.02.2006
m+a report vom 13. Februar 2006