Die Erosion hält an

Das, was trocken Marktbereinigung heißt, kostete in den vergangenen Jahren Arbeitsplätze und bringt die ganze Kreativbranche in Bedrängnis.

Das augenscheinliche Heil, neue Wege zu gehen, neue Geschäftsfelder zu erschließen und sich auf mehreren verwandten Feldern Kompetenzen zu erarbeiten, um als Agentur zu überleben, ist kein leichter Schritt. Die Investitionen, nicht nur finanzieller Art, sondern auch in kreative Manpower sind ein Wagnis. Trotzdem: Ohne Diversifikation ist das Überleben im Markt heute noch ein Stück schwieriger. Selbst gute und renommierte Agenturen - nicht zuletzt on air aus Wiesbaden - müssen die Segel streichen, weil sie die Vorleistungen, die inzwischen von Auftraggebern verlangt werden, nicht mehr erbringen konnten.
"Hierzulande gibt es einen Cultural Clash. Der kulturelle Unterschied zwischen ,großen Unternehmen' und ,kleinen Agenturen' ist noch relativ stark zementiert", erklärt Lutz Engelke, Geschäftsführer von Triad Berlin, einen weiteren Grund für die Talfahrt. Das Verhalten von Unternehmen gegenüber ihren kreativen Dienstleistern wird auch von Jan Pauen, bei Triad verantwortlich für Marketing und Kommunikation, eher kritisch betrachtet: "In der bisweilen stark ritualisierten Kommunikation zwischen ,Auftraggebern' und ,Auftragnehmern' liegt ein Grund für das Scheitern neuer Strategien und kreativer Lösungen. Denn der Erfolg der Arbeit steht und fällt mit der Art und Weise, wie vertrauensvoll man miteinander umgeht."
Ein Knackpunkt, gegen den sich nicht nur Eventagenturen, sondern die gesamte kreative Szene seit nunmehr Jahren erfolglos wehrt, ist die "Kultur" der unbezahlten Wettbewerbe. "Pitches mit acht Agenturen bei 100 000 EUR sind tödlich für jede Form der Kreativität", so Pauen. Und damit auch für jede Form der kreativen Ressourcen, die man in den Agenturen auch brauche. Und das trotz der gegenwärtig labilen Werbekonjunktur mit einem erwarteten Ergebnis für das laufende Jahr zwischen Verharren oder Wachstum von 1% auf rund 29,5 Mrd. EUR, das der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) noch Ende August prognostizierte.
Diese Situation im Umgang der Unternehmen mit ihren Agenturen zu überwinden und sich anders anzunähern müsse das Ziel sein und nicht, sich innerhalb der Agenturbranche in Konkurrenz möglichst gegenseitig auszuschalten. "Eine partnerschaftliche Kommunikationskultur zwischen Unternehmen und Agenturen ist Voraussetzung für wirksame und exzellente kreative Leistungen. Sie ist langfristig erfolgreicher, stärkt die Reputation von Unternehmen und Agenturen und zeigt branchenpolitische Verantwortung", so Pauen.
Doch die Frage ist, wie solche neuen Agentur- und Kundenbeziehungen überhaupt funktionieren sollen. Die Hamburger Vorzeigeagentur Springer & Jacoby hat mit ihrer Ankündigung krasser Restrukturierungsmaßnahmen und eines Effizienztarifes für viel - eher negativen - Wirbel in der Branche gesorgt. Für Engelke ein Beispiel, dass die Kreativität geknebelt wird. Er sieht die Gefahr, dass die Hamburger ihre eigene Unternehmenskultur auf Kosten der kreativen Leistungsträger gefährden. "Diese Situation geht zu Lasten der Fairness - nach innen gegenüber den Mitarbeitern und nach außen in Bezug auf die Qualität und Kreativität, die kein Ein-Sekundengeschäft ist sondern viel mit der Entwicklung von Potentialen und Prozessen zu tun hat. Fließbänder funktionieren nach anderen Regeln ...", so der Triad-Geschäftsführer.
Von der Einsicht, dass solch eine Entwicklung letztlich auch zu ihren Lasten geht, sind allerdings viele Unternehmen noch weit entfernt. Jan Pauen: "Da herrscht noch der Dissenz zwischen Fachabteilungen und Einkauf. Das Marketing stellt sich zwar ideell auf Seiten der Agenturen, aber es ist ein politisches Rollenspiel."
Und die Leidtragenden sind die Agenturen: "Wir haben machmal den Eindruck, dass unausgegorene Briefings, bis hin zu mangelhaften Marketingstrategien erst im Rahmen eines Wettbewerbes korrigiert werden. So kann man aus einer Mehrzahl unterschiedlicher Ansätze dann das aussuchen, was man sich ja ,eigentlich immer schon gedacht hat'", formuliert es Lutz Engelke recht drastisch. Agenturen als Korrektiv für die mangelnde Vorbereitung in Unternehmen seien eben auch eine Facette der Pitchkultur.
Er ist überzeugt, dass das Produkt einer Kunden-Agentur-Beziehung umso besser wird, je qualifizierter die andere Seite ist und umso langfristiger die Beziehung angelegt ist. "Im Grunde finanzieren kreative Dienstleister heutzutage ganz bestimmte Segmente von Kommunikations- und Marketingabteilungen in der deutschen Industrie. Wir müssen die Kredite aufnehmen und in Vorleistung treten, was bei uns Kapital bindet. Wir halten die kreative Manpower, die inflationäre und bisweilen willkürliche Pitchkultur untergräbt eine langfristige Kundenbeziehung. Im Below-the-line-Segment des Marketings wird zu sehr von Veranstaltung zu Veranstaltung gedacht. Dann sollen wir auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen, das ist ein wenig zu viel verlangt", so sein Vorwurf. "Da gehen zunächst einige Unternehmen und dann eine ganze Branche dran kaputt."
Dazu passt, dass die werbungstreibenden Firmen in den ersten sechs Monaten 2005 mehr als die Hälfte (-59 %) weniger Fachkräfte für die Werbearbeit gesucht haben als im Vorjahr. Die Erklärung des ZAW: Offensichtlich sei nach intensiver Expertensuche im Jahr 2004 die personalpolitische Nachrüstung abgeschlossen.
Derzeit kann man davon ausgehen, dass die Unternehmen als letzte Interesse daran haben, den für sie so bequemen Weg zu verlassen. "Sie haben begriffen, dass sie Agenturen gegeneinander ausspielen können. Die einzige Maßnahme, die hilft, ist sowohl Agenturen als auch Unternehmen von der Unkultur unbezahlter Pitches zu überzeugen. Man muss das Problem immer wieder thematisieren, damit die Akteure über den Tag hinaus denken und eine neue Art der Solidarität entsteht."
Außerdem, ist Engelke überzeugt, sei die Situation inzwischen ein nicht zu unterschätzendes standortpolitisches Problem, das eine ganze Kreativindustrie betreffe. Bei Innovationen gehe es ja schließlich nicht nur um Hochtechnologie von Siemens und Transrapids, die in China fahren, sondern auch um Ausbildungsgänge und Arbeitsplätze, die in der Kreativbranche in den letzten zehn Jahren entstanden sind. "Gute Leute suchen aber keine Arbeit in schwachen Märkten, sondern in florierenden Märkten." Teile der deutschen Industrie übersehen dabei ihr ureigenes Interesse daran, "Created in Germany" zu einem Markenzeichen für Produkte, Marken und ihre Kommunikation zu machen. Wenn sich diese Erkenntnis nicht stärker durchsetzt, dann würde Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter Terrain verlieren.
Triads Strategie mit der Situation umzugehen: "Wir diversifizieren erfolgreich, wir investieren in die Kundenbeziehung und wir machen uns nicht abhängig von einer Branche, einem Thema oder einem Kunden." Um das Thema nicht auf sich beruhen zu lassen, schlägt Engelke einen runden Tisch vor, an dem sich interessierte Akteure von Unternehmens- und Agenturseite zusammenfinden und neue Wege in der Zusammenarbeit entwickeln - nicht zuletzt, um so die Performance von Kreativen, Unternehmen und dem Standort Deutschland zu stärken. Annic Kolbrück

m+a report Nr.7 / 2005 vom 27.10.2005
m+a report vom 27. Oktober 2005