Mehr Gestaltungsfreiraum

Von Produktgruppen zu Stilwelten: Aus der Tendence wurde die skeptisch beäugte Tendence Lifestyle. Die aber macht sich. Und ist weit mehr als eine Orderplattform. Nicolette Naumann zieht ein erstes Fazit.

Das war ein harter Schlag vor vier Jahren. Da kündigten einige Porzellanhersteller an, ihre Produkte nur noch einmal jährlich zu zeigen und die Herbstmesse Tendence zu verlassen ...
Ja, vor vier Jahren haben einige Unternehmen entschieden, nur noch einmal im Jahr auszustellen. Die entsprechenden Firmen bringen nur einmal im Jahr Neuheiten, was im Porzellanbereich vor allem eine Zeit- und Kostenfrage ist. Trotzdem gibt es aber natürlich immer noch Aussteller, die zweimal im Jahr mit Neuheiten auf den Markt kommen und weiterhin einen zweiten Ordertermin brauchen, den wir mit der neuen Tendence Lifestyle angeboten haben. Die Herausforderung war, ein ganz neues Messe-Konzept zu schaffen, um jenen Unternehmen eine geeignete und funktionierende Plattform zu schaffen.

Die Idee der Tendence Lifestyle, die traditionelle Ordnung der Aussteller nach Produktgruppen aufzugeben und sich an den Bedürfnissen der Endverbraucher zu orientieren, stieß sicher nicht nur auf Zustimmung. Welche waren die größten Widerstände?
Wirkliche Widerstände hat es meiner Meinung nach gar nicht gegeben. Die Problematik vor der ersten Tendence Lifestyle hat sich darauf konzentriert, dieses völlig neue und revolutionäre Messekonzept, verständlich und vor allem vorstellbar zu vermitteln. Jemand, der Modern Living mit den Angebotsbereichen "Cook & Eat" in der einen Ebene und "Interior Design" in der Hallenebene obendrüber nicht schon mit eigenen Augen gesehen hat, kann sich diese Kombination anscheinend nur schwer vorstellen. Unsere Erfahrung zeigt aber: Wer die Tendence Lifestyle, die im August das dritte Mal mit Lifestylewelten an den Start ging, erlebt, versteht das Konzept ganz schnell - und findet es gut. Deshalb glätteten sich 2003 auch schnell die Wogen, die jene Aussteller entfacht hatten, die aufgrund der Neukonzeptionierung zur Herbstmesse ihren altgewohnten Standplatz verlassen mussten. Mittlerweile sehen sie sogar Vorteile. Denn Firmen, die zur Ambiente in den Festständen stehen und auch zur Tendence Lifestyle nach Frankfurt kommen, haben nun mehr Gestaltungsfreiraum: Beispielsweise kann der Stand zur Ambiente nun größer sein als der zur Tendence Lifestyle. Einige Firmen haben sich daraufhin auch für Modulstände entschieden, die auf beiden Messen mit unterschiedlicher Größe genutzt werden und die sogar in den Feststandsebenen stehen können.

Planen Sie eine solche "Revolution" auch für die Ambiente?
Die Analyse zeigt, dass die Ambiente anders genutzt wird als die Tendence Lifestyle. Als unangefochtene Weltleitmesse im Frühjahr wird sie weiterhin eine funktionale Struktur haben. Dies entspricht dem eindeutigen Wunsch von Ausstellern und Einkäufern. Bei der Ambiente werden wir in näherer Zukunft daher nicht mit konzeptionellen Veränderungen aufwarten, sondern die Veranstaltung in der Tiefe weiterentwickeln. Momentan legen wir beispielsweise einen Schwerpunkt bei den Elektokleingeräte-Ausstellern, die auf der Ambiente eine neue Möglichkeit gefunden haben, sich dem internationalen Handel zu präsentieren.

Einige Aussteller hätten die Tendence lieber im Juni gesehen. Was hat für die Beibehaltung des Termins Ende August gesprochen? Und wie haben Sie die Juni-Befürworter gehalten?
Die Diskussion um den optimalen Messetermin ist gleichfalls eng mit der Funktion und der Nutzung der Veranstaltung verbunden. Der kleinere Fach-einzelhandel ist im Juni oftmals noch nicht soweit, das Weihnachts-geschäft zu planen. Dies wird typischerweise auf der Tendence Lifestyle im August gemacht. Für Aussteller, die dieses Segment bedienen, ist die Tendence Lifestyle auch noch eine echte Ordermesse.
Firmen, die das Volumensegment bedienen wollen, benötigen einen längeren Vorlauf. Daher haben wir für dieses Marktsegment eine neue Plattform geschaffen - die Collectione. Hier wird mit einem erheblich längeren Vorlauf schon über das Frühjahr und den Sommer des Folgejahres gesprochen. Gerade die Vertriebswege in Richtung der Gartencenter und der grünen Märkte konnten hier sehr gut bedient werden.

Bei der ersten Tendence Lifestyle unkten die Kritiker, die Aufteilung nach Themengruppen sei Selbstmord aus Angst vor dem Tod ... Wie beurteilen die Porzellanhersteller heute die Tendence Lifestyle? Kommen Sie zurück?
Jedes Unternehmen muss für sich entscheiden, welche Marketingmaßnahmen es ergreift. Messen sind dabei für viele unerlässlich, weil sie nach wie vor viele Kontakte in kurzer Zeit kosteneffizient ermöglichen.
Aussteller wie Kahla oder Dibbern, die mindestens zwei Mal im Jahr Neuheiten präsentieren, nutzen die Tendence Lifestyle mit großem Erfolg. Diese Firmen betonen uns gegenüber den Vorteil, in einem ganz anderen, moderneren Umfeld zu stehen. Hier knüpfen sie neue Kontakte, die sie auch gezielt suchen. Ob in Zukunft weitere Porzellanhersteller die Tendence Lifestyle als Plattform für das Herbst-, Winter- und Weihnachtsgeschäft nutzen wollen, können wir nicht vorhersehen. Derzeit gibt es jedoch keine Anzeichen dafür.

Sie sagen, die Tendence Lifestyle orientiert sich an Themenwelten der Endverbraucher. Die aber bleiben vor der Tür. Woher wissen Sie, was sie wollen?
Zum einen sind auch wir bei der Messe Frankfurt alle Endverbraucher. Und wir sehen, wie sich in Deutschland und im Ausland die Darstellungsweise und das Sortiment von Küchen- und Einrichtungsläden in den vergangenen Jahren geändert hat und weiterhin verändert. Zum anderen stehen uns Trendexperten zur Seite, die beispielsweise mit uns gemeinsam die vier Lifestylewelten "Modern Living", "Emotion", "Joy" und "Function" entwickelt haben. Und letztlich ist der Endverbraucher ziemlich gut erfasst, indem er regelmäßig von zahlreichen Unternehmensberatungen geclustered, gescannt und beleuchtet wird.

Wie kommunizieren Sie mit der Öffentlichkeit?
Die Öffentlichkeit bekam in der Vergangenheit nicht viel von den Konsumgütermessen mit. Das haben wir, speziell mit Blick auf die Menschen aus Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet, zu dieser Tendence Lifestyle das erste Mal grundlegend verändert. Zwei Off-Veranstaltungen haben die Veranstaltung über die Grenzen des Messegeländes hinaus in die Stadt getragen - und das mit großem Erfolg! "fresch" war ein Projekt im Anlagenring zwischen der Frankfurter Innenstadt und dem Messegelände. Dort präsentierten rund 50 Designer, Architekten, Lichtgestalter und Objektausstatter während des Messe- wochenendes Projekte, Produktideen und Installationen. Ein besonderer Anziehungspunkt für Designliebhaber war zudem der "designersblock". Auf mehreren Ebenen und mit ausgefallenen Ideen überzeugten Designer aus zwölf Ländern in den Räumlichkeiten des Kulturprojekts "atelierfrankfurt", das unweit der Messe Frankfurt gelegen ist.
Mit der kommenden Ambiente werden wir nun zum ersten Mal einen verkaufsoffenen Sonntag in Frankfurt haben. Diese Gelegenheit wollen wir nutzen, um Markenartiklern die Möglichkeit zu geben, ihre Neuheiten einer breiten Öffentlickeit zu präsentieren. Dafür sollen in den Schaufenstern von mit uns kooperierenden Händlern die Neuheiten der Ambiente gezeigt werden- und natürlich Begehrlichkeiten beim Endverbraucher wecken.

Die vergangene Tendence Lifestyle war eine Messe der Rekorde, was Inhalte und Sonderschauen betraf. Wofür der Aufwand?
Wir verstehen unsere Sonderschauen und Sonderareale gar nicht als Aufwand, sondern als unerlässlichen Service. Eine Messe ist heute mehr als nur eine Orderplattform. Wir wollen Messen für alle Sinne machen.

Ihr Fazit nach drei Jahren Tendence Lifestyle?
Die Messe ist auf einem guten Weg. Die Einkäufer haben die neue Struktur gut angenommen. Sicherlich musste diese erst einmal verinnerlicht und gelernt werden. Die Einkäufer müssen ein neues Weg-Zeit-Gefühl für die Messe bekommen. Die Tendence Lifestyle ist - auch aufgrund unserer neuen Konsumgütermesse Collectione - kleiner geworden, aber dadurch hat sie ihr Profil geschärft. Letztlich bietet jede neue Struktur die Chance, neue Einkäufer zu finden. Die angestammten Einkäufer, die man hat, sind bekannt und können auch anders bedient werden. Neue Kunden durch ein neues Umfeld zu finden, ist die Aufgabe einer Messe, und dies hat die Tendence Lifestyle gut ermöglicht.Interview: Christiane Appel

m+a report Nr.7 / 2005 vom 27.10.2005
m+a report vom 27. Oktober 2005