Botschafter Messemöbel: Fühlbares merkt sich besser

Vermehrt haben Loungebereiche Clubcharakter und werden Produktwelten durch Couchformen definiert. Stehlen die Möbel den Produkten die Schau?

"Tatort" Fachpack 2003 in Nürnberg: Zwischen unzähligen Systemständen mit Verpackungsmaschinen, Kartonagen und Folien fällt der Blick auf einen Messestand mit weißen Stoffbahnen, die den Stand überwölben. Keine Produktschau weit und breit. Um eine runde Bar in der Mitte haben sich die Besucher in großen Korbsesseln niedergelassen, umhüllt von Bambusstauden, Vogelgezwitscher und leisem Plätschern aus kleinen Wasserbecken. Fast unauffällig erscheint das Standpersonal und fragt nach Anliegen und Wünschen.
Besucher, die hier abtauchen, sind gut gelaunt und aufnahmefähig und erleben zugleich das Unternehmenscredo "Nur entspannte Kunden sind auch gute Kunden", wie Uwe Klein von Kappa Packaging Deutschland aus Feucht zu berichten weiß. Die Idee ist kein Messegag sondern gelebtes Unternehmensprogramm auch für die Mitarbeiter, die sich einmal in der Woche massieren lassen können und auf Firmenausflügen interne Netzwerke kreieren. Natürlich gibt es auch Produkte am Stand, reduziert und in kleinen Vitrinen im erhöhten blauen Podest an der Außenseite des Standes von Lars Borngräber vom Forum Messe & Design, Nürnberg, in Szene gesetzt. Wahre Hingucker für die vorbeigehenden Messebesucher. Doch im Innern lehnen sie in den Korbsesseln und genießen die Gastfreundschaft.

Kappa Packaging ist nicht das einzige Unternehmen, das seine Produktpräsentation zurücknimmt, um Platz zu machen für Gespräche, für die immer bedeutsamere Kommunikation auf Messen. Und die finden meist an Bartresen statt, in großzügigen Loungen, an Plätzen mit Kaffeehausflair. Nicht umsonst ist die Atmosphäre der Freizeitwelt entlehnt, um den Besuchern Möglichkeiten zum Rückzug zu geben, zum Wohlfühlen und zur Entspannung.
Juri Camagni, Marketingleiter bei der Schweizer Messerli AG, Wetzikon, hat die Erfahrung gemacht, dass Besucher informelle Sitzpolster, wie sie zum Beispiel bei dem Kundenevent "Get the Beat" für Microsoft eingesetzt wurden, besonders gern besetzen. "Die legere Sitzweise macht locker, ungezwungen und die Gespräche sind viel intensiver als in herkömmlichen Besprechungskabinen. Man kommt gerade mal vorbei, um sich ins Gespräch verwickeln zu lassen, scheinbar ohne Bindung, doch die Inhalte sind ernst."
Entspannung macht aber nicht nur lockerer, sondern auch aufnahmefähiger und fördert die Kreativität, hat der italienische Architekt Matteo Thun herausgefunden, der auf seinem Messestand für das Leuchtenunternehmen Wila gleich mehrere Loungebereiche mit unterschiedlichen Sitzgelegenheiten entwickelt hat: lange Holzbänke für intensive Gespräche, weiche Sitzbälle zum spielerischen Herumrollen und sanftem Hopsen für die leichtere Gangart.
Auf dem Messestand von Schwan Stabilo, Heroldsberg, auf der Paperworld 2003 in Frankfurt konnten sich die Besucher in einer großen offenen Lounge in weiche Sitzsäcke fallen lassen und selbst per Knopfdruck die Lounge in einem anderen Licht erstrahlen lassen, um auf diese Weise die "Brand New Colours" des Unternehmens zu erleben. Für den Auftritt in diesem Jahr entwickelte das Messebauunternehmen Expotechnik, Taunusstein, eine Lounge, die jedem Showroom die Schau stehlen könnte: amorph geformte rote Plastikbänke neben stalagmitartigen Leuchten bildeten mit dem gewellten Boden eine Designoase pur und waren Sinnbild für die Produktinnovation "Shape".

Der verstärkte Einsatz von Designermöbeln seit einigen Jahren hat seine Spuren hinterlassen. "Die Besucher sprechen heute nicht mehr nur vom Stand und seinen Produkten, sondern sie erzählen auch von den Möbeln", berichtet Camagni von Messerli. "Sie sind neugierig auf die Möbel. Viele Besucher sehen einen Barhocker oder Designersessel, den sie sonst nur aus einer Bar kennen, zum ersten Mal in einer breiteren Öffentlichkeit und damit erlangen auch diese Möbel eine Öffentlichkeit."
Barbara Schiebel von der Münchner Design Company bestätigt, dass Besucher Möbel auf dem Stand wiedererkennen. Manche werden nur durch diese neugierig gemacht und kommen deswegen auf den Stand. Und was macht diese Stücke so spannend für die Menschen? "Spannende Möbel auf dem Messestand geben den Besuchern Anregungen für ihr eigenes Arbeits- und Wohnumfeld", erklärt Matteo Thun. "Ob es sich um neue Formen handelt, um neue Materialkombinationen wie Holz und Glas oder um eine Technik, immer geht es um den Transfer von Bildern, die damit auf dem Stand bewusst gemacht werden."
Urs Hofer von der Schweizer Messedesign-Agentur Creaworld, Bellach, hat festgestellt, dass "Besucher sehr stark auf Möbel reagieren, denn im Gegensatz zu vielen Produktpräsentationen sind Möbel überschaubar und direkt erlebbar. Die Besucher streichen liebevoll über die Oberflächen, untersuchen sie, testen die Bequemlichkeit. Manche äußern sich auch über die Farbgebung oder die Form. Vor allem ungewöhnliche und gewagte Formen werden vielfach interpretiert und führen zu einem intensiven Gesprächsstoff - somit fördern sogar Möbel die Kommunikation am Stand."

Wenn sie von den Besuchern so stark beachtet werden, lohnt es sich darüber nachzudenken und nachzufragen, welche Rolle Möbel auf dem Stand heute spielen. Üblicherweise werden Standmöbel nach den Kriterien Funktionalität, Design und Preis ausgesucht. Verfügbar müssen sie natürlich auch noch sein, sonst bleiben Möbelwünsche Träume. Um Ausstellern die Entscheidung zu erleichtern, bieten viele Messebauunternehmen und auch Mietmöbelfirmen die Möglichkeit an, die Stücke in einem Showroom anzusehen und auszuprobieren. Einmal den Stuhl gefühlt, die Sitzhärte und die Bequemlichkeit im Rücken gespürt. Ist das Material kalt und hart oder fühlt es sich weich und warm an? Gibt es zum Ahornstuhl die passenden Arbeitstische und Sideboards? Was drückt diese Holzart aus? Ist das die richtige Farbe, die zum Unternehmen passt?
Wolfgang Seidl von kopfstand mobiliar, Feldkirchen, betreibt das Geschäft seit vielen Jahren und hat erfahren, dass für Aussteller weniger haptische als emotionale Aspekte eine Rolle spielen. Metall gilt einfach als "cool", Kunststoff steht für günstig bis billig, Holz und Leder hingegen laufen unter "teuer und hochwertig", egal welche Qualität das Leder hat. Architekten und Messebauunternehmen haben sich meist schon auf ein bestimmtes Modell eingestellt und fragen gar nicht erst, was für diesen Aussteller und Auftritt besser geeignet sein könnte. Bekannte Designer sind Garant für eine gute Form, renommierte Hersteller bürgen für Qualität. Klischees sind nun mal festgefahren und schwer aufzuweichen. Und selbst wenn Kreative vehement versuchen, Farbe ins Spiel zu bringen, "stutzen die Entscheider aus Angst auf problemlose Farben wie Anthrazit, Dunkelblau oder Schwarz zurück mit dem Argument: Die hat der Vorstand in seinem Büro, die will er auch auf dem Stand. Doch hat jemals einer den Vorstand gefragt, ob er nicht lieber in einem roten Sessel sitzen würde?" Farben sind wie überall auch Teil des Stimmungsbarometers und so zeigte sich deutlich: Im Jahr 2003 war alles grau, doch schon in den ersten Wochen von 2004 geht es selbst bei Messemöbeln farbenfroher zu.

Die Kreativen der Messeszene haben zu Möbeln einen ganz eigenen Ansatz. Für Dieter Wolff von D'Art Design, Neuss, sind sie immer ein Teil des gesamten Konzepts, ob es sich um Einzelstücke, Sessel, eine Bar, einen langen kommunikativen Tisch mitten im Raum handelt oder um kleine Container für Prospekte. "Die assoziative Wirkung von Möblierung wird dort eingesetzt, wo Kommunikation in einer besonderen Atmosphäre stattfinden soll." Auch für Urs Hofer von Creaworld ist die Möblierung ein sehr wichtiges Standelement, "das sich zwingend dem Gesamtkonzept eines Standes formal und inhaltlich einpassen muss. Möbel müssen die Geschichte des Standes und der Architektur zu Ende erzählen und dürfen diese nicht durch Wesensfremdheit unterbrechen." Geht es im Stand um Geborgenheit und Emotionalisierung, werden Möbel mit weichen Stoffen verwendet, auch organische Formen. Geht es um die Unterstützung von Technologien, sind harte Materialien wie Stahl oder Glas besser geeignet. Holz steht eher für Wohnlichkeit, Tradition, gestandene Werte.

Atelier Brückner, Stuttgart, hat auf seinem letzten Messestand für Kodak auf der Photokina mit dem Motto "Colour Stream - share moments, share life" halbrunde Sitzkugeln aus Filz mit Schaumstoffkern hingestellt, die die junge Handyzielgruppe stark an die halbrunden Toffeekugeln erinnerten, zugleich aber eine spielerische Möglichkeit boten, darauf und damit herumzurollen.
Dem Standkonzept angepasst wurden auch die Stühle beim Trinkwasserversorger Gelsenwasser auf der IFAT in München. Um seine innovative Technik und Kompetenz zum Ausdruck zu bringen und das Thema Wasser zu transportieren, gab es keine bessere Lösung als den wasserblauen Plexiglasstuhl "Eros" von Philippe Starck einzusetzen.
Der italienische Architekt Simone Micheli entwarf für Mascioni, Textildrucker edler Stoffe, einen repräsentativen Stand mit Showroomcharakter: weiß, kubisch, glänzend, offen mit einem verspiegelten Kubus im Innern, der hundertfach das Firmenlogo trug und damit den hohen Anspruch des Unternehmens widerspiegelte. Speziell angefertigte Tische mit Glasplatten und verchromte Stühle mit weißen Lederpolstern unterstrichen die gewünschte Eleganz.

Um die Wertigkeit, die Markenidee eines Unternehmens zu unterstützen und durch den Messestand weiterzutragen, werden Messemöbel sehr sorgfältig ausgewählt. Große Unternehmen mit einem ausgeprägten Markenverständnis sind hierbei aufgeschlossener als kleine und mittlere, die nach wie vor meist mit herkömmlichen Möbeln auskommen. Auch Dienstleister und IT-Unternehmen, die ihre Inhalte und Produkte stark über die Standarchitektur kommunizieren, bedienen sich gern der Ausdruckskraft interessanter Designermöbel.
Anders ist es im Loungebereich, in dem die Kommunikation mit den Kunden besonders im Vordergrund steht. Hier bietet sich die Chance, durch eine wohltuende räumliche Atmosphäre und durch schöne, oft maßgeschneiderte Sitzlandschaften die Kunden lange am Stand zu halten. Für AOL hat die Design Company einen Loungebereich geschaffen, der durch Farbe und Formen besticht und nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Mit Messemöbeln auf Tuchfühlung gehen, sie anzufassen und sie zu spüren, ist ein ausgeprägter Wunsch vieler Besucher, ganz gleich, ob es sich um Sessel handelt, die Messetheke, Arbeitstische mit Laptops oder Sideboards in Besprechungsräumen, und ganz gleich, ob die Aussteller schöne Konsumgüter präsentieren, Fahrzeuge oder auch Industrieprodukte. Die holländische Trendforscherin Li Edelkoort fand heraus, dass Menschen alle mit zunehmender Virtualität etwas spüren wollen und sich eigenhändig der Realität vergewissern wollen, also ein Design mit Seele suchen. Vor allem auf Messen suchen wir das "urban nest", das offen ist für Kommunikation, für Gäste und News und ein dichtes Nebeneinander von industrieller und natürlicher Umwelt bietet. Ingrid Wenz-Gahler

m+a report Nr.2 / 2004 vom 18.03.2004
m+a report vom 18. März 2004