Innovationen unter den Füßen

Funktionale Neuerungen und die Wiederentdeckung von altbewährten Materialien eröffnen der Bodengestaltung im Messebau unbegrenzte Möglichkeiten.

Das Thema neue Materialien ist in aller Munde und erstreckt sich über - fast - alle Branchen. So auch in den Bereich der Bodenbeläge. Wobei "neu" nicht unbedingt heißen muss, dass hier "das Rad neu erfunden wurde". Es geht vor allem um neue Einsatzmöglichkeiten, neue Materialverbindungen und -kombinationen, innovative Be- und Verarbeitungstechniken, um Zusatzfunktionen und vieles mehr.
Dabei steht natürlich auch das Aussehen durchaus im Vordergrund. Und so gibt es dank dieser Neuerungen Teppichböden, die wirken wie geharkter Sand, da blühen Eisblumen als Relief auf dem Boden, da gibt es wasserabweisende Synthetikversionen mit Wellenmuster - so täuschend echt, dass man fast meint, das Rauschen des Wassers zu hören. Elastische Beläge mit Oberflächen aus Vinyl haben die Anmutung eines Kokos- oder Sisalteppichs, Laminat erhält die Optik eines Mosaikfliesenbodens, Gummigranulat-Belag wird zum Terrazzo-Belag. Die Struktur des Teppichs von Van Besouw Tapijt B.V. ähnelt sogar einer Reifenstruktur - wie geschaffen für den Messestand eines Automobilherstellers. Mit der Einführung der Serie 3808 bringt das niederländische Unternehmen zum ersten Mal einen Baumwollboden auf den Markt, der extra für den Objektbereich entwickelt wurde. Anscheinend beschränkt sich der so genannte "Vintage Look" nicht mehr nur auf Jeans, sondern weitet sich auch auf den Bodenbelag aus: Als perfekte Nachahmung manuell durchgeführter Schabetechniken kombiniert der von Tarkett entwickelte Handschabeeffekt auf Laminat schwere, mittlere und leichte Schabflächen und sorgt so für einen ungleichmäßig abgenutzten Look.
Mit speziellen Verfahren lassen sich sogar 3-D-Effekte erzielen. Und so wird aus schwarz bunt: Durch den Changeant-Effekt bei "black=colour" von Enia Carpets entsteht ein spannendes Farbspiel aus hell und dunkel, schwarz und farbig. Die Innovation: eine neue Stricktechnologie für 3-D-Teppichbelag an Stelle von Tuften. Die Beschichtung dringt durch das Polmaterial in die Oberfläche ein und sorgt für Farbe. Der niederländische Hersteller Ferdinand Visser bietet mit 3-D-Effekten auf "Pulsar" nicht nur etwas für die Augen, sondern auf der Rückseite eines anderen Produktes auch etwas für die Nase: Hier haften Mikrokapseln, die Pfefferminzduft abgeben.
Bei Materialsgate, der Agentur für Werkstoffberatung, finden sich weitere Produkte und Materialien mit einer faszinierenden Optik, die bereits als Bodenbelag eingesetzt werden beziehungsweise eingesetzt werden könnten: edles Laminat mit Patinaeffekt, Laminat, das aussieht wie gestanztes Kupfer oder wie in Metall gegossenes Gewebe, Plattenmaterial, das schwarzem Kork täuschend ähnlich ist und eine intelligente Alternative dort darstellt, wo Kork versagen würde. Es gibt textiles Material, das durch eine partielle Beschichtung einen ausgezeichneten Antirutscheffekt besitzt, plattenförmiges Kunststoffmaterial, dessen Werkstoff aus gebrauchten und farbigen Flaschen gewonnen wird, die einst Reinigungsmittel enthielten, und vieles mehr.

Jedoch werden nicht nur neue Materialien entwickelt, sondern alte wieder neu entdeckt. Zum Beispiel Filz. Lange Zeit galt er als Stiefkind unter den Bodenbelägen. Die Filzfabrik Fulda verwendet bereits seit vielen Jahren dieses extrem robuste Material - und ist für FFF Fulda Ment 60 für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland 2006 nominiert worden. Roland Rembold, Vertriebsleiter: "Wir streben die Innovationsführerschaft im Bodenbelags-Nadelfilzsektor an. Dafür sind die beiden Produkte FFF Fulda Chip und der mit 60 Farben überarbeitete Klassiker FFF Fulda Ment 60, die beide den Innovationspreis der AIT bekommen haben, der beste Beweis."
In kleinen Schritten versucht auch das Ettinger Unternehmen Findeisen das etwas angestaubte Bild der Nadelvlies-Bodenbeläge zu modernisieren. Beispielsweise mit dem Nadelvliesbelag Finett Accent, in den eine Nadelvlies-Faserkugel eingestreut ist. Eine spezielle Ultraschall-Schneidetechnik bei den Bodenbelägen ermöglicht es außerdem, ein Logo wie aufgedruckt erscheinen zu lassen.
Auch Beton-Werkstein, ein jahrhundertealter Baustoff, wurde reanimiert: Besonders in Objekten mit hohen Anforderungen wie auf Messen bietet die Granisol-Technologie von Kerapid feinste Abstimmungsmöglichkeiten bei der Farbigkeit, der Struktur und dem Format eines Steines. Durch die Zugabe von Mineralien entstehen besondere attraktive Oberflächen.

Neben dem interessanten Aussehen erhalten Bodenbeläge durch neue Materialverbindungen jedoch eine Reihe weiterer Eigenschaften. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Strapazierwunder Teflon. Überall dort eingesetzt, wo Gegenstände großen Belastungen ausgesetzt sind, findet sich dieses Material immer häufiger in Textilien - so auch in Teppichböden. Nun hat dieser leistungsfähige Werkstoff wieder ein neues Terrain erobert: Als Bestandteil der beiden Produkte Disbopox 442 und Disbon 404 von Caparol hält Teflon jetzt Einzug in den Bereich der Bodenbeschichtungen. Und der Werkstoff Surlyn wird seit neuestem nicht nur für Golfbälle und Beschichtungen von Bowlingkegeln eingesetzt, sondern von Amtico International auch als Material für elastische Bodenbeläge. Der Grund für diesen neuen Einsatzbereich: Surlyn besitzt eine herausragende Widerstandsfähigkeit und ist extrem abrieb- und chemikalienbeständig.

Metallische Garne in der Mode einzusetzen ist nichts Neues, in der letzten Zeit haben sie jedoch auch die Welt der Teppiche erobert. Das lässt sie nicht nur extravagant aussehen, sondern macht sie extrem belastbar - gerade für Messestände ein wichtiges Kriterium. Carpet Concept hat beispielsweise gedrehtes Garn aus Edelstahlfäden in den Produktlinien Tec und Net eingesetzt. Auch die norddeutsche Teppichfabrik Nordpfeil, Anker Teppichboden und Vorwerk verwenden metallisch anmutende Garne für einige ihrer Produkte.
Welchen außergewöhnlichen Effekt die Kombination zweier unterschiedlicher Materialien haben kann, zeigte sich bei der Präsentation der neuen B-Klasse von Mercedes. Eigens zu diesem Anlass hat das Kärntner Unternehmen Hrovath Kunststofftechnik (H-Tech) in Zusammenarbeit mit Knopp Wand Boden Design aus der Schweiz einen dekorativen und außergewöhnlichen Themenboden realisiert. Dabei sollte das Fahrzeug im Corporate Design der Verkaufsbroschüre präsentiert werden, in der es in Vulkangestein, Saharadünen oder auf felsigen Vorsprüngen am Meer abgebildet wurde. Die Herausforderung bestand darin, die Oberflächentextur dieser Gesteinsart auf den Messeboden easyfloor zu applizieren. Der Boden wurde mit flüssigem Lavastein und Spezialeffekten überzogen und die Lavatextur von Hand nachgebildet. Herausgekommen sind feurige Lavaströme, die durch den Messestand fließen.
easyfloor, eine Innovation der Hrovath Kunststofftechnik, ist ein Systembodenkonzept aus Österreich und ermöglicht multivariable Messelösungen. "Unser Ziel war es, ein gleichermaßen einfaches wie modulares Bodensystem zu entwickeln, das multivariabel einsetzbar und individuell gestaltbar ist - bei einem Höchstmaß an Funktionalität", so der Erfinder und Geschäftsführer Josef Hrovath. Das nach dem Baukastenprinzip aufgebaute modulare System wird einfach auf den vorhandenen Untergrund gelegt. Auf der IAA im September (15. bis 25.9.) in Frankfurt wird H-Tech einen Messeboden für einen großen Automobilhersteller verlegen. Dieser Boden, ein Steinboden, ist eine weitere Neuheit des kreativen Unternehmens. Die jüngste Entwicklung ermöglicht die integrierte Beleuchtung von Glasfliesen. Bodenfliesen mit Licht gibt es auch vom niederländischen Hersteller Mosa, der LED-Beleuchtung dafür einsetzt. Dabei sind die LED-Fliesen genauso dick wie die "normalen" Fliesen und lassen sich somit auch gemeinsam verarbeiten.

Ein Trend bei Bodenbelägen geht eindeutig in die Richtung, ihnen einen funktionalen Mehrwert zu verleihen. Und so gibt es eine Reihe von Zusatzfunktionen, mit denen die Bodenbeläge von heute ausgestattet sind. Zum Beispiel hohe Strapazierfähigkeit: Ursprünglich für den Eingangsbereich von Hochgeschwindigkeitszügen erarbeitet - und somit hervorragend für den Einsatz auf Messeständen geeignet - ist der aus 100 % Schurwolle bestehende Teppichboden Wool Contract vom Teppichwerk Neumünster.
Ein wichtiges Kriterium ist auch das Thema "feuerabweisendes Material". Und so hat die Produktlinie Smart & Select von Tarkett als Innovation feuerhemmende Lösungen anzubieten. Der Technologieführer hat jedoch noch weitere Problemlösungen parat: Die Laminatfugen aus dieser Linie haben besonders vorteilhafte antistatische Eigenschaften. Und die Soundsafe-Lösung der Laminatböden kann den Trittschall um bis zu 19 dB verringern. Mit dem Verlegesystem Combiloc ist Tarkett außerdem das weltweit erste Unternehmen, das jetzt sowohl eine leimfreie Lösung mit horizontaler Verlegung als auch ein 45°-Winkel-System anbietet. Der Hauptvorteil liegt in der leichten leimfreien Verlegung und den nahtlosen Übergängen. Mit CoolCarpet von Interface Deutschland gibt es jetzt ein Produkt, das "klimaneutral" ist. Das bedeutet, dass alle Treibhausgase ausgeglichen werden, die während des gesamten Lebenszyklus eines Produktes anfallen. Everroll, ein elastischer Bodenbelag auf Gummibasis für Messe- und Ausstellungsflächen von BSW, verhindert Lichtreflexe.
Da Gerüche einen entscheidenden Beitrag zum Wohlbefinden leisten, wurde mit duraAir der erste Teppichboden entwickelt, der die in der Raumluft enthaltenen gesundheitsschädlichen Stoffe wie Formaldehyd oder Nikotin und unangenehme Gerüche völlig oder teilweise in unkritische Bestandteile der Luft wie Wasserdampf und Kohlendioxid umwandelt und abbaut. duraAir wirkt nach dem Katalysatorprinzip (Umwandlung und Abbau), verbraucht sich nicht und bleibt permanent wirksam. Auch die innovativen Teppiche aus Antron-Markenfasern des Genfer Unternehmens Invista leisten gerade für Gesundheit und Wellness einen wichtigen Beitrag.

Da Bodenbeläge aus Kostengründen häufig mehrfach eingesetzt werden, sollte auch die Langlebigkeit nicht zu kurz kommen. In Deutschland aus vertriebspolitischen Gründen relativ unbekannt und nach wie vor ein Geheimtipp unter hiesigen Architekten ist das schwedische Bodenbelagslabel Bolon. Die Langlebigkeit des Bodenbelages ist aufgrund der besonderen Materialzusammensetzung - 98 % Vinyl, 1 % Polyester und 1 % Glasfaser - garantiert. Ebenso wie alle anderen Ansprüche, die an einen strapazierfähigen Objektbelag gestellt werden: Schwerentflammbarkeit, gute Reinigungsfähigkeit, Verschleißfestigkeit, Schall- und Wärmedämmung, Stuhlrolleneignung, Begehfreundlichkeit, Schnittfestigkeit in alle Richtungen, leichte Verlegung und dank spezieller Wiederaufnahmekleber sogar temporäre Verlegung bei Fliesen. Darüber hinaus stellt das ungewöhnliche schwedische Flachgewebe aus PVC-Bändchen Nachahmer und Produktpiraten immer noch vor große Probleme.

In Bezug auf Zusatzfunktionen in Bodenbelägen ist die Firma Vorwerk kaum zu toppen: Ab sofort sind gänzlich neue Anwendungsbereiche denkbar, da es dem Hamelner Unternehmen gelungen ist, Textilien des alltäglichen Gebrauchs mit integrierter Mikroelektronik zu verknüpfen und ihnen so bislang noch ungeklärte Funktionalität zu geben - wie beim intelligenten Teppichboden als Navigationssystem für Roboter. Dieser "Smart Carpet" ermöglicht es Robotern mit RFID-Leseeinheit, automatisch und intelligent über den Boden zu navigieren. Solche Roboter können zum Beispiel als selbst fahrende Reinigungsautomaten eingesetzt werden. Äußerlich unterscheidet sich der Smart Carpet nicht von einem normalen Teppichboden. Das Geheimnis liegt in seinem Rücken. Unsichtbar platzierte RFID-Label werden in die Grundkonstruktion des Teppichs integriert. Smart Textiles, wie Textilien mit integrierter Elektronik genannt werden, sind heute noch Innovationen mit Überraschungseffekt, werden sicherlich aber bald schon Einzug in unseren Alltag nehmen. Einen ersten Schritt dazu ist Vorwerk mit der Entwicklung des Smart Carpet jetzt bereits gegangen. Auf der Techtextil 2005 präsentierte Vorwerk die in Kooperation mit Infineon entstandene Innovation, zusammen mit einem RFID-fähigen Roboter. Marktfähig wird die Technologie voraussichtlich Ende 2006 sein und in erster Linie im Objektbereich eingesetzt werden.
Für seine neue Kollektion "fascination" hat sich das innovative Unternehmen eine bemerkenswerte Neuerung einfallen lassen: Bei den speziell entwickelten textilen Rückenkonstruktionen kann gänzlich auf die übliche Art des Verklebens verzichtet werden. "Wir haben konsequent in die Teppichboden-Rückenentwicklung investiert, um diesen Kundenanspruch schnellstmöglich zu erfüllen", so Johannes Schultes, Vorsitzender der Geschäftsführung.

Einige Anbieter haben sich besonders des Themas Umweltfreundlichkeit angenommen. Der Teppichboden der Oschwald Boden aus Natur GmbH wurde beispielsweise in einem umweltschonenden Verfahren aus der widerstandsfähigen Wolle isländischer Schafe gefertigt. Auch die Farbgebung der Garne beruht auf den natürlichen Wollfarben der Tiere. Und die Produktlinie LiNatural wird ausschließlich aus natürlich nachwachsenden Rohstoffen hergestellt - ebenso wie der bereits erwähnte elastische Bodenbelag Everroll.
Mit Wool Rips hat Anker-Teppichboden, Düren, eine absolute Weltneuheit auf den Markt gebracht, denn dieser Bodenbelag besteht aus 100 % Schurwolle und schafft somit eine gesunde Raumatmosphäre. Die Bodenfliese Lifeline von Project Floors besteht aus 80 % natürlichen Mineralien und 20 % PVC-freien thermoplastischen Polymeren und ist somit ökologisch besonders verträglich. Interface, weltweit größter Hersteller von modularem Teppichboden im Objektbereich, hat als erstes Unternehmen komplett recyceltes Fasermaterial verarbeitet und innovative Verlegemethoden eingeführt. Und das Oberflächenmaterial des Produktes Pathway besteht aus einer biologisch abbaubaren Kunstfaser aus Mais.
Die Philosophie des Unternehmens beruht auf dem Prinzip: Ressourcenschonung, Müllvermeidung, Recycling und Wiederverwertbarkeit. Eine Vision des Firmengründers Ray Anderson ist, im eigenen Unternehmen bis zum Jahr 2020 konsequent die nachhaltige Produktion umgesetzt zu haben. Karsten Bleymehl, Junior-Researcher bei Material ConneXion Cologne, dem größten "Materialsammler" der Welt, bestätigt den Trend zu umweltfreundlichen und gesunden Materialien im Bodenbelagsbereich: "Bei Bodenbelägen beobachten wir einen Trend hin zu antimikrobiellen Oberflächen wie weichmacherfreien PVC-Alternativen. Darüber hinaus erhalten Recyclingmaterialien und natürliche Füllstoffe wie zum Beispiel Mandelschalen einen immer stärkeren Einzug in Polymer-Bodenbelagssysteme. Andere Materialien für Bodenbeläge reichen von Edelstahlplatten über lichtdurchlässige Bodenfliesen bis hin zu rutschfestem Echtglas für Nassbereiche." Angela Wiegmann

m+a report Nr.5 / 2005 vom 12.08.2005
m+a report vom 12. August 2005