Volle Konzentration auf die Millionenstadt

In Moskau spielt die Musik: Hier schlägt das Herz der russischen Messewirtschaft. Internationale Veranstalter setzen auf den Standort. Langsam wird es eng.

In Moskau mit dem Auto unterwegs zu sein bedeutet: Im Stau stehen. Die russische Hauptstadt pulsiert rund um die Uhr. Die 10,4 Mio. Einwohner der Stadt und die 11,8 Mio. der Region rundherum, fahren immer häufiger mit dem eigenen Pkw in die City. Doch auch Metro und Busse der größten Stadt Europas sind zu jeder Tages- und Nachtzeit gut frequentiert. Die Millionenmetropole hat eine unglaubliche Anziehungskraft. Moskau ist nicht Russland. Es ist ein eigenes System, eine eigene Welt, die aber eine Schlüsselrolle in der Wirtschaft Russlands spielt. Der Anteil der Stadt am Bruttoinlandsprodukt des Landes beträgt 12,5 %. 2004 stieg das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,1 % auf rund 460 Mrd. EUR.

Etwa ein Viertel der Industrieproduktion der Kremlstadt entfallen auf den Maschinenbau. Hauptzweige: Werkzeugmaschinen- und Werkzeugbau, Elektroindustrie, Lagerfertigung, Kraftfahrzeugindustrie und Gerätebau. Hinzu kommt, dass in Moskau etwa 80 % des russischen Finanzpotenzials konzentriert sind. Und zwei Drittel des Gesamtumfanges ausländischer Investitionen in die Wirtschaft gehen in die Hauptstadt. Konsequenz: Moskau ist das größte Betätigungsfeld ausländischer Investoren. In der Stadt befinden sich etwa 18 500 Handelsbetriebe, Gaststätten und Dienstleistungsbetriebe, 9 000 Kleinhandelsobjekte und circa 150 Märkte in denen ungefähr eine Million Personen beschäftigt sind.

Freude am Konsum strahlen die Einwohner der Stadt aus. Sie haben Spaß an schicken Kleidern und schnellen Schlitten, an hippen Bars und teurem Schmuck. Zwar können sich den Luxus und den Glamour längst nicht alle leisten, aber diese Auf- und Umbruchstimmung lockt neben denen, die schon hier sind oder jenen, die es hier noch schaffen wollen, Designer, Hotels, Geschäfte, Restaurants und Boutiquen an. Viele internationale Institutionen, Banken, Versicherungen und andere Dienstleister suchen permanent neue, repräsentative Büros an der Moskwa. "Die Hauptstadt ist das wirtschaftliche und politische Zentrum des Riesenlandes - hier müssen und wollen viele Firmen präsent sein", betont auch die Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) in Köln.

Jeden Tag versuchen sich Unternehmer darüber hinaus an Events für die vielen, die hier wohnen oder diejenigen, die die Metropole besuchen. Und daneben stehen fast täglich neue Messen auf dem Programm: "Rund 60 % aller Veranstaltungen Russlands finden in der Hauptstadt statt", sagt Ludmila Smorodova, Geschäftsführerin des Russischen Messeverbandes International Union for Exhibitions and Fairs (IUEF). Die 40 größten Städte Russlands haben zusammen eine überdachte Ausstellungsfläche von etwa 500 000 m2, davon sind mehr als 300 000 m2 auf Moskau und St. Petersburg konzentriert, berichtet der Ausstellungs- und Messeausschuss der Deutschen Wirtschaft (AUMA), Berlin (Stand: Ende 2004).

Auch wenn nicht alle russischen und internationalen Messeveranstalter auf dieser Welle schwimmen: In Moskau spielt die Musik. "Hier schlägt das Herz der russischen Messe- und Ausstellungsindustrie", versichert Hubert Demmler, Repräsentant der NürnbergMesse. Viele internationale Organisatoren sind dabei schon seit Dekaden in der Stadt wie zum Beispiel ITE. Der Veranstalter mit Hauptsitz in London führt dort, ganz gleich ob in den eher kleineren Geländen wie dem Gostiny Dvor, dem World Trade Center und dem Olimpisky Complex oder dem 70 000 m2 großen Expocentr Krasnaja Presnaja und dem modernen Crocus Expo rund 25 Messen durch.
Die Messe Düsseldorf hingegen, seit 1963 in Moskau aktiv, baut bislang ausschließlich auf die Zusammenarbeit mit dem in der Innenstadt gelegenen, seit über 45 Jahren bestehenden Expocentr. Dort investierte die Messe vom Rhein vor wenigen Jahren gar in eine neue Halle. Im Mai 2002 wurde ihre Repräsentanz dort zur Tochtergesellschaft.

Auf die Bedeutung und den Einfluss des Traditionsmessegeländes setzen auch andere: E.J.Krause & Associates, ein Veranstalter mit Hauptsitz in Washington D.C., der seit mehr als 20 Jahren unter dem Titel Expo Comm weltweit Messen für den Bereich Telekommunikation, Netzwerktechnik, IT & IT Security veranstaltet, schloss 1995 einen Joint Venture Vertrag mit Expocentr, das seit 1975 Organisator der SVIAZ in Moskau ist. "Dadurch wurde die Messe einem internationalen Publikum zugänglich und im Laufe der Jahre mit Unterstützung der russischen Regierung und offiziellen Ministerien die erfolgreichste Telekommunikations- und Informationstechnologiemesse in Russland und den CIS Staaten", so Inhaber und Geschäftsführer Ned Krause .

Platzmangel bleibt aber das große Problem des Zentrums, neben dem im Moment die "Neue Mitte Moskaus" mit 500 m hohen Büro- und Geschäftswolkenkratzern und einer Unmenge von Tiefgaragenplätzen entsteht. "Die Messen hier wachsen und haben im Expocentr einfach nicht mehr genügend Platz", sagt Michael Johannes, Geschäftsführer der GiMA International Exhibition Group GmbH & Co. KG, Hamburg. GiMA, Mitveranstalter der Bauausstellung Mosbuild neben der ITE Group, London und ITE, Moskau, musste die Messe gar splitten. Und so findet nun ein Teil der Mosbuild im Expocentr, ein anderer Teil im gut 45 Autominuten (ohne Stau) entfernten Crocus statt. Rund 80 Veranstaltungen werden auf dem Krasnaja Presnaja-Gelände durchgeführt.

Der momentane Run auf das neue Crocus Zentrum an der äußeren Ringstraße Moskaus, rund 20 Autominuten vom Sheremetyevo Flughafen entfernt, ist auch deshalb gewaltig. Im März 2004 wurde der Komplex eröffnet, der auch eine Einkaufsmall mit vielen exquisiten Designershops beherbergt. "Seit dem Start hatten wir bereits 120 Messen und Corporate Events bei uns zu Gast", sagt Mustafa A. Melikov, der bei Crocus für alle internationalen Wirtschaftsbeziehungen zuständig ist.

Die wohl bekanntesten Messemarken brachte bisher neben der Messe Frankfurt mit ihrer Konsumgütermesse Ambiente sowie den Textilmessen Interstoff, Heimtextil und Techtextil, ITE mit der Mosbuild sowie VNU Exhibitions mit ihrer VIV, der internationalen Fachmesse für intensive Tierproduktion ins derzeit neueste Messe- und Veranstaltungszentrum. Der italienische Veranstalter Cosmit S.p.a. ist hier mit seiner Möbelmesse I Saloni Worldwide vertreten. Einer der bedeutendsten russischen Messeveranstalter, MVK, freut sich ebenfalls über die Ausstellungskapazitäten des Crocus und platzierte die Messen PolyGraphInter, internationale Fachmesse für die Druckindustrie, die Möbelmesse Euroexpomebel und die Verpackungsfachmesse Rosupak in den Neubau.
Die 27 600 m2 Ausstellungsfläche teilen sich in vier neun Meter hohe, unterschiedlich große Hallen. Im September dieses Jahres werden die Ausstellungsflächen von Crocus Expo erweitert: In einem zusätzlichen zweistöckigen Pavillon sollen acht Hallen mit insgesamt 62 500 m2 Ausstellungsfläche und neun Konferenzsäalen entstehen.
Weitere Pläne deutet Melikov mit dem Bau eines dritten, rund 160 000 m2 großen Ausstellungspavillons in absehbarer Zeit an. Neben einem Businesscenter soll dort auch ein Hotel integriert werden. "Das Crocus hat schnell an Bedeutung gewonnen. Dabei ist es nicht allein die Halle, die gefällt. Auch der Service stimmt", sagt Demmler.

Pläne haben in der Megacity aber auch noch andere. Juri Luschkow, Moskaus Oberbürgermeister, kündigte erst kürzlich an, er wolle ein stadteigenes Messegelände bauen. Angedacht ist, das bereits seit vielen Jahren bestehende Allrussische Messezentrum VVC zu modernisieren und dort den mit Abstand größten Messekomplex des Landes mit angedachten 200 000 m2 Fläche entstehen zu lassen. Problematisch: Die bisher bestehenden Bauten liegen weitläufig über das Areal verteilt und stehen teilweise unter Denkmalschutz. Sie in eine moderne Messeinfrastruktur sinnvoll einzufügen, halten Fachleute für schwierig. Die Lage neben einem Vergnügungspark sei für die Durchführung von Fachmessen ebenfalls eher kritisch. Bisher war das VVC vorrangig Schauplatz für viele kleine, voneinander unabhängige Veranstaltungen. Bleibt abzuwarten, ob Luschkov sein VVC-Vorhaben tatsächlich realisiert.

Eine weitere, seit 1959 bestehende wichtige Messelocation in Moskau ist das Sokolniki Culture & Exhibition Centre. Das elf Hallen umfassende Zentrum liegt mitten im Sokolnikipark, dem es auch seinen Namen verdankt. Es bietet rund 33 000 m2 Ausstellungsfläche plus 5000 m2 im Freigelände. Erweitern kann die betreibende MVK Holding Company, die hier über 70 Eigenveranstaltungen durchführt, den Komplex allerdings nicht: Die Fläche des Parks muss bleiben wie sie ist. Die Kooperation und strategische Allianz mit Crocus stimmt MVK gerade deshalb besonders froh: Einige der am stärksten wachsenden Messen des russischen Toppveranstalters werden bereits im noch zweitgrößten Messegelände der Hauptstadt durchgeführt (s.o.). Der weitere Ausbau des Crocus sei sehr zu begrüßen, sagt Tatiana V. Volkova von MVK, konnten doch zum Beispiel nicht alle Aussteller der Möbel- oder Verpackungsmesse bislang dort untergebracht werden.

Dass der Konkurrenzdruck durch das neue Zentrum wächst, stört Volkova nicht: "Ausstellungen, die in der Lage sind, die neu zur Verfügung stehenden Flächen komplett zu füllen, gibt es noch nicht viele in Moskau." Waren es Anfang 2003 noch vier Veranstalter - Expocentr, MVK, Maxima und ITE, die rund 26 % aller Messen durchführten, ist heute starker Wettbewerb auch unter den Organisatoren an der Tagesordnung und gehört zum ganz normalen Wahnsinn der Großstadt: "Allein in der Hauptstadt zählen wir 125 Messeveranstalter, von denen etliche heute auf und morgen wieder zu machen", so Volkova.
Und wer oder was entscheidet, wer es hier schließlich schafft? "Qualitätsveranstaltungen setzen sich letztendlich durch", so die Messefachfrau.
Zunehmend kümmert sich nun aber auch der Verband IUEF beziehungsweise die so genannte Moskauer Messegilde um das Problem, dass quasi täglich Messen mit ähnlichen Namen, Themen und Terminen den Moskauer Markt überschwemmen. "Dabei wäre es doch so wichtig, dass sich das russische Messewesen auch in den Regionen stärker entwickelt", sagt Demmler. Und hofft darauf, dass die neuen, großen Gelände in der Kremlstadt bald dazu führen, dass das gesamte Messeportfolio ausgeschöpft wird. "Verbraucherausstellungen könnten das Messeprogramm beispielsweise deutlich aufpeppen. Auch ganz andere, neuartige Themen, die eben nicht schon zum x-ten Mal in irgendeiner Form variiert den Messemarkt belasten, wären zu begrüßen", so der NürnbergMesse-Repräsentant. Kooperationen mit noch mehr ausländischen Veranstaltern könnten dabei sicher hilfreich sein.

Die derzeitige Situation in der Hauptstadt liefert ihm Gründe genug, sich nicht unbedingt mit seinen geplanten Projekten auf die Millionenstadt festzulegen. Und Mütterchen Russland wüsste es zu schätzen, wenn sich in Sachen Messen auch bald mehr in ihren durchaus attraktiver werdenden Regionen tut.

m+a report Nr.5 / 2005 vom 12.08.2005
m+a report vom 12. August 2005