Wechselbad der Gefühle

Jedes Jahr veröffentlichen Impulse, Wiwo & Co Rankings zum deutschen Messewesen. Bei der Wirtschaft stoßen sie nur auf "interessierte Kenntnisnahme".

Regelmäßig wird die deutsche Messelandschaft von führenden Wirtschaftspublikationen wie Impulse, Wirtschaftswoche oder Capital unter die Lupe genommen. Getestet werden Messeplätze und ihre Attraktivität, Messegesellschaften und ihr Serviceangebot, Messeveranstaltungen und ihre Effizienz, Umsätze und Umschlaghäufigkeit, Aussteller- und Besucherzahlen. Zahlen, Daten, Fakten, erhoben durch redaktionelle Befragungen, ausgewertet und gelistet in Tabellen und Grafiken. Zwar werden die zertifizierten Daten der Gesellschaft zur freiwilligen Kontrolle von Messe- und Ausstellungszahlen (FKM) herangezogen. Dennoch fehle diesen Befragungen häufig ein einheitlicher Bewertungsmaßstab als Grundlage, der einen seriösen Vergleich und eine realitätsnahe Abbildung der tatsächlichen Verhältnisse erlaube, monieren die Messegesellschaften.

Um Rahmenbedingungen, die Messemacher nur schwer beeinflussen können, ging es beispielsweise bei der Untersuchung von Impulse im Januar 2003. Gemessen werden sollte die Attraktivität der zehn wichtigsten deutschen Messestandorte, dafür wurden Anfahrt, Hotelkapazitäten und Entertainment getestet. Hier leuchtete Hannover als Schlusslicht. Schon wenige Monate später, beim Impulse Service-Check im Juli 03, fand der Leser die Niedersachsen ganz vorne auf Platz vier. Beim gleichen Service-Check im Vorjahr 2002 hatten sie noch einen kläglichen Platz 16 inne. Eine ähnliche Berg- und Talfahrt erlebten auch die Nürnberger: Beim Check der Standorte im Januar 03 noch auf Platz zwei, fanden sie sich im Juli auf Platz 13 (Vorjahr: 15) wieder. Für die beurteilten Messeplätze ein wundersames Wechselbad der Gefühle.
Dass bei besagtem Impulse-Messestadtvergleich vom Januar 03 die Berliner in puncto Anfahrt, Hotel und Entertainment topp abschneiden, verwundert bei genauerer Betrachtung wenig. Bei dieser Untersuchung beispielsweise kam das jeweilige Parkplatzkontingent auf dem Prüfstand. Dafür wurde die Besucherzahl der besucherstärksten Messe auf die vorhandenen Parkplätze verteilt. Hamburg schnitt dabei mit 76 Besuchern pro Parkplatz während der Internorga am schlechtesten ab vor München (Bau) mit 26 und Frankfurt (IAA) mit 24. Die Hannoveraner - mit damals noch 730 000 zugrunde gelegten CeBIT-Fachbesuchern - erreichten sogar den Wert 16 Besucher pro Parkplatz, gefolgt von Leipzig (AMI) und Köln (Anuga) mit je 12. Im Verhältnis mehr Parkplätze hatten dann nur noch die IFA in Berlin (11 Besucher auf einen Parkplatz) sowie Essen (IPM) und Düsseldorf (Caravan Salon) mit jeweils sechs Besuchern zu bieten. Laut Impulse-Berechnungen war Nürnberg Parkplatzstar. Hier wurde als besucherstärkste Veranstaltung die Bildungsmesse mit rund 65000 Besuchern (Grundlage von Vorveranstaltung in 2002) herangezogen: sechs Messegäste teilten sich einen Parkplatz.

Die Bildungsmesse in Nürnberg als besucherstärkste Messe? War da nicht mal was mit einer Spielwarenmesse mit jährlich rund 80 000 Besuchern? An diesem einfachen Beispiel zeigt sich deutlich des Übels Wurzel: Die Attraktivität eines Messestandorts gemessen an dem Verhältnis zwischen Messegröße und vorhandenen Kapazitäten wie Parkplätzen, Hotelbetten oder Menge der Kneipen lässt die kleineren Messegelände besser abschneiden. Dort verteilen sich weniger Besucher auf recht unterschiedliche Rahmenbedingungen. Da die IFA in Berlin mit 130 000 Fachbesuchern als besucherstärkste Veranstaltung für die oben beschriebene Untersuchung gemeldet wurde, erklärt, warum München, Düsseldorf, Frankfurt und Hannover als Messestädte wenig attraktiv erscheinen.
Legt diese Impulse-Untersuchung etwa nahe: Machen weniger Besucher deutsche Messeplätze attraktiver? Das Fachbesucheraufgebot einer CeBIT transferiert an den Messeplatz Berlin würde naturgemäß auch in der Hauptstadt zu kritischeren Ergebnissen führen. Schließlich hat sie bei der IFA gerade mal ein Fünftel der Fachbesucher der CeBIT zu verdauen. Fazit: Bei diesem Standortcheck wurden Messeveranstaltungen im Verhältnis zu ihrem Standort verglichen und nicht die tatsächliche Attraktivität der einzelnen Ausstellungsorte.

Glaubwürdiger wäre dieser Vergleich, wenn er gleichartige Veranstaltungen an den verschiedenen Plätzen verglichen hätte. Dafür besser geeignet wären Wandermessen oder Veranstaltungen mit wechselnden Standorten, die regelmäßig ein etwa gleiches Aussteller- und Besucheraufkommen haben, wie die Bildungsmesse, IMA, Farbe, IBA oder Dach+Wand.
Erwischt hatte es die Hannoveraner auch beim Impulse Service-Check unter dem Titel "Wer Aussteller gut pflegt". Hier tummelten sie sich im Januar 2002 auf Platz 16 von 20, hinter beispielsweise Offenburg, Offenbach, Wiesbaden oder Saarbrücken. "Wenn solche Umfrageergebnisse erscheinen, dann führt das in einem Haus wie der Deutschen Messe AG in aller Regel zu Ärger", weiß Detlev Rossa, zuständig für die Unternehmens-PR. Jeder frage sich: Wie ist das zustande gekommen? Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die verschiedenen Abteilungen die Fragebögen nach bestem Wissen ausgefüllt haben. "Die Ergebnisse hängen dann von Grad der ganz strengen Ehrlichkeit ab", so Rossa. Als Beispiel nennt er die Frage nach den Bereitschaftszeiten des Ausstellerservices: Die Abteilung sei von 8 bis 19 Uhr besetzt und erreichbar, von 19 Uhr bis 24 ist ein Notrufsystem in Aktion. Beantwortet man die Frage im engeren Sinn, ist der Ausstellerservice elf Stunden besetzt, legt man die Frage großzügiger aus, ist er von 8 bis 24 Uhr erreichbar. Bei den Fragekatalogen seien die Ermessensspielräume zu groß, verzerrte Ergebnisse bleiben da nicht aus, meint Rossa.

"Ist der Ehrlichere der Dumme?", fragt auch Peter Ottmann, Pressesprecher der NürnbergMesse. Er bezweifelt in manchen Punkten die Glaubwürdigkeit der Aussagen: "Wer prüft denn die Angaben in den Rankings?" Nur die Tatsache, dass ein Service angeboten werde, sage doch noch lange nichts über seine Qualität aus. Hinzu käme, dass die Fragen oft sehr allgemein seien und Angebote, die jenseits des Fragenkatalogs angesiedelt seien, bei den Listenplatzierungen oft keinen Niederschlag fänden. Davon betroffen sind die Nürnberger zum Beispiel mit ihrem Internet-Standkonfigurator. Die Frage nach virtuellen Planungsmaschinen hat es bisher noch nicht gegeben. Ein Pluspunkt, der in den klassischen Service-Checks nicht abgefragt wird.

Wenn die Fragebögen aus den Redaktionen in den Presseabteilungen landen, werden sie jeweils in die Fachabteilungen wie etwa den Besucher- oder Ausstellerservices weitergeleitet. Einzelaspekte seien dabei heute in der Praxis gar nicht mehr gefragt, es gehe vielmehr um die Beurteilung ganzer Pakete. Ihre Zusammensetzung ist nur schwer vergleichbar, da viele Angebote auf die Kombination Messeplatz, Veranstaltungsthematik und Kundenklientel maßgeschneidert seien, weiß Ottmann. Ein weiteres Problem, darin sind sich alle Messegesellschaften einig, ist der Informationsaustausch im eigenen Haus. So erfuhr die PR-Leiterin eines großen Messeplatzes eher durch Zufall davon, dass die hauseigene Auslandsmessetochter Ausstellerseminare durchführt. "Wenn ich befragt worden wäre, ob wir Fortbildungen für Aussteller anbieten, hätte ich mit Nein geantwortet." Welche Abteilung sollte auf die Idee kommen, neue Serviceleistungen an die PR-Abteilungen zu melden. Hier müssen sich die Messegesellschaften also auch an die eigene Nase fassen und den Informationsaustausch verbessern, Servicestandards möglichst zentral verwalten.
Rossa schlägt vor, Fallbeispiele vorzugeben, damit die Messen ihre Angebote konkret aufzeigen können: "Wie werden beispielsweise mittelständische Unternehmen, die zum ersten Mal auf einer Messe ausstellen, von den Veranstaltern unterstützt?" Die verschiedenen Angebote ließen sich im Einzelnen vergleichen. "Die Fragen müssten mehr in die Tiefe gehen, nicht in die Breite." Damit trifft Rossa auch die Vorstellungen der Aussteller.

"Wir nehmen diese Rankings mit gewissem Interesse zur Kenntnis. Unsere Entscheidungen beeinflussen sie allerdings nicht": Fragt man Aussteller, was sie von Bestenlisten im Messewesen halten, herrscht Einigkeit. Standorte beurteilen sie hauptsächlich nach dem Erfolg des eigenen Messeauftritts und an der Qualität der Zusammenarbeit mit dem Veranstalter. "Die Ergebnisse der firmeninternen Auswertung können durch Rankings allenfalls bestätigt werden, Entscheidungsrelevanz für oder gegen eine Messe haben sie nicht", weiß Burkhard Rarbach, Leiter Marketingservices bei Mennekes Elektrotechnik GmbH, Lennestadt. Aus solchen Befragungen ließen sich Trends erkennen. "Entscheidend für uns ist die tatsächliche Besucherstruktur, die Zielgruppenansprache durch die Messe", berichtet auch der Projektmanager für nationale Messen bei der Daimler Chrysler Vertriebsorganisation, Albert Tümann. Dafür nutze man die internen Daten der Marktforschung. Die Standortbetrachtungen der Wirtschaftsmagazine seien zu allgemein. "Das ist sicher aus messewirtschaftlicher Sicht interessant. Für uns haben sie keine primäre Relevanz." Petra Schmieder

m+a report Nr.2 / 2004 vom 18.03.2004
m+a report vom 18. März 2004