Kooperationen ansteuern - Handelsbeziehungen nutzen

Die oft einseitige Fokussierung auf die finanziellen Auswirkungen versperrt den Blick auf die Vorteile und Chancen der EU-Osterweiterung.

Die erweiterung der Union ist ein einschneidendes politisches Ereignis. In der deutschen Wirtschaft besteht jedoch Skepsis angesichts der bevorstehenden Veränderungen. Zwei Befürchtungen stehen im Vordergrund: dass es zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung für die "Alt"-EU-Länder kommt und Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten in starkem Maße nach Westeuropa drängen könnten.Fakt ist: Auf Deutschland werden von den Zusatzbelastungen durch die Osterweiterung für den EU-Haushalt zumindest bis 2006 weniger als zwei Milliarden Euro jährlich entfallen. Fakt ist ebenfalls, dass es Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung im Baugewerbe sowie in Teilbereichen des Handwerks (bis zu sieben Jahre) gibt, die einen - nach Meinung von Wirtschaftsfachleuten ohnehin unwahrscheinlichen - Ansturm auf den deutschen Arbeitsmarkt schon aus rechtlichen Gründen unmöglich machen.

Bedauerlicherweise versperrt die oft einseitige Betrachtung auf die finanziellen Auswirkungen den Blick auf die Chancen der Osterweiterung. Besonders für ein außenwirtschaftlich so stark engagiertes Land wie Deutschland, das nicht nur Qualität "Made in Germany" exportiert, sondern aufgrund seiner geografischen Nähe zum mittel- und osteuropäischen Raum durch dessen Integration in die europäische Wertegemeinschaft einen noch größeren Nutzen für seine Liefer- und Kooperationsbeziehungen erwarten darf als andere EU-Staaten.

Die Abwicklung des Warenverkehrs wird erheblich einfacher. Durch den Wegfall vieler Grenzformalitäten von Zolldokumenten bis Zertifizierungspflichten dürften die Umsätze der Unternehmen zum Teil deutlich steigen. Gleichzeitig wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wesentlich erleichtert. Kooperationen werden weiter ausgebaut und kontinuierlich vertieft. Feste Kooperations- und Handelsbeziehungen mit den Beitrittsländern sind für viele Unternehmen angesichts des weltweit zunehmenden Konkurrenzdrucks in manchen Branchen sogar überlebensnotwendig.

Besonders betroffen hiervon sind Kfz-Zulieferer, die ihre Kapazitäten zunehmend an kostengünstigere Standorte verlagern - wobei Tschechien im mittelosteuropäischen Raum als erste Wahl gilt -, sowie Unternehmen der Elektrotechnik, Elektronik, des Maschinenbaus und der Textilindustrie. Allein 2004 werden in der Tschechischen Republik rund 30 neue Projekte in der Kfz-Zulieferbranche gestartet. Zweigen wie der Gummi- und Kunststoffindustrie, der elektrotechnischen und elektronischen Industrie sowie einigen Sparten der Metallverarbeitung werden daher in dem Land hohe Wachstumsraten vorausgesagt.

Gute Chancen für deutsche Unternehmen bietet der Umweltbereich, sowohl im Consulting als auch hinsichtlich der Lieferung entsprechender Technik. Die Beitrittsländer müssen ihren Umweltsektor innerhalb vertraglich festgesetzter Übergangsfristen an die EU-Standards anpassen. Für die Umsetzung des EU-Normenwerkes im Umweltschutz werden allein in Ungarn und der Slowakei Kosten von jährlich rund 10 Mrd. EUR veranschlagt. Zur Finanzierung entsprechender Projekte stehen noch unausgeschöpfte Fördergelder aus dem ISPA-Programm der EU zur Verfügung (E-Mail: bruessel@bfai.de). Nach dem 1. Mai ist mit einem noch wesentlich höheren Mittelzufluss zu rechnen, da die Beitrittsländer dann in den Genuss der Brüsseler Kohäsions- und Strukturfonds kommen können. Als Finanzierungsquellen stehen außerdem in den Ländern zentrale und regionale Umweltfonds sowie in begrenztem Umfang auch Mittel lokaler Verwaltungsebenen zur Verfügung. Sektorspezifische Programme regeln, welche Investitionen dabei prioritär eine Förderung erhalten sollen.

Ferner bieten sich Beteiligungsmöglichkeiten im Rahmen von Betreibermodellen (PPP/Public Private Partnership) an. Damit eine Bewerbung für die Finanzierung, Umsetzung sowie das langfristige Betreiben eines Projektes Aussicht auf Erfolg hat, müssen Baufirmen und Lieferanten von Investitionsgütern mit Banken Konsortien eingehen. Bisher wurden aber nur wenige PPP-Projekte in den Beitrittsländern realisiert. Die Regierungen sind gegenwärtig erst dabei, konkrete Rechtsnormen für derartige Konzepte auszuarbeiten.

Branchenkenner räumen PPP in näherer Zukunft aber weniger Chancen im Umweltbereich, sondern eher mit Straßenbaukonzessionen ein. So wurden in Polen bereits zwei Mautstrecken in Betrieb genommen. In der Tschechischen Republik wird ebenfalls mit der baldigen Einführung der elektronischen Straßenbenutzungsgebühr mittels eines PPP-Projekts gerechnet: Die Maut soll für die Benutzung von Autobahnen, Schnellstraßen und Straßen erhoben werden.

Auch andere EU-Beitrittsländer denken laut über das Finanzierungsinstrumentarium PPP für öffentliche Projekte nach: Zum Beispiel erwägt das slowakische Verkehrsministerium nach Angaben der Beschaffungsbehörde, künftig solche Modelle im Infrastruktursektor vorzubereiten und umzusetzen.
Forciert durch höhere EU-Gelder werden vor allem der Ausbau der Autobahn-, Schnellstraßen- und Eisenbahnverkehrsnetze sowie der Häfen und Flughäfen vorangetrieben, wodurch sich für deutsche Unternehmen günstige Kooperations- und Lieferchancen ergeben. Jedoch bedarf es in manchen Ländern noch einiger haushaltspolitischer Anstrengungen, um überhaupt den erforderlichen Eigenanteil von 25 % an den Projektgeldern beisteuern zu können. Knappe Verwaltungskapazitäten, intransparente Buchhaltungssysteme und fehlende Nachvollziehbarkeit der Haushaltsführung stellen hier weitere Problemfelder dar.

Den Infrastrukturinvestitionen werden weitere folgen: Denn wo verbesserte oder neue Verkehrswege entstehen, dort werden auch neue Büro-, Handels- und Freizeiteinrichtungen gebaut und Gewerbegebiete sowie Technologieparks erschlossen. In Ungarn beispielsweise werden wegen des anhaltenden Booms auf dem Markt für logistische Dienste Güterverkehrs- und Distributionszentren ständig weiterentwickelt. Dabei sind besonders Nischenanbieter gefragt, die speziell auf den Bedarf von Logistikzentren zugeschnittene Kommunikations-, Informations- und Steuersysteme sowie Manipulations- und Lagertechnik liefern können. Gute Einstiegsmöglichkeiten bieten sich schon jetzt im Wohnungsbau durch die Rekonstruktion von Plattenbauten wie beispielsweise in Prag. Neben der reinen Gebäudesanierung muss auch die technische Ausrüstung erneuert werden.

Weitere Geschäftschancen dürften sich ergeben. So müssen Nahrungsmittelhersteller in den Beitrittsländern kräftig in die Modernisierung ihrer Kapazitäten investieren, um den in der EU geltenden Hygienenormen gerecht zu werden. Dabei sind aufgrund fehlender Finanzmittel vor allem bei Kleinbetrieben der Fleisch-, Milch- und Backwarenindustrie "Minimallösungen" gefordert. Hier bietet sich ein interessantes Betätigungsfeld für auf solche Fragen spezialisierte Architekten und Ingenieure. Zur Kontaktanbahnung empfiehlt sich der Besuch einschlägiger Messen im jeweiligen Land, wobei viele wie die Baumesse Budma in Posen oder die For Arch in Prag überregionale Ausstrahlung haben. Unterstützung bei der ersten Kontaktaufnahme oder der Suche eines geeigneten Partnerunternehmens bieten die Auslandshandelskammern, die in den meisten Hauptstädten der Region ansässig sind.

Risiken infolge der Osterweiterung sehen bei uns vor allem die regional ausgerichteten kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aus der Möbel-, Textil- und Bauindustrie sowie aus dem Hotel- und Gaststättenbereich. Der Wettbewerbsdruck wird in diesen Branchen bei einfachen, arbeitsintensiven Produkten hierzulande zunehmen. Grund: der einfachere Ex- und Import. Durch eine Tariföffnung könnten Wettbewerbsnachteile für Unternehmen im Niedriglohnsektor in Deutschland teilweise kompensiert werden. Andererseits scheint eine schnelle Lohnangleichung an westeuropäisches Niveau aufgrund der zum Teil hohen Arbeitslosigkeit und massiven Strukturprobleme in den Beitrittsländern eher unwahrscheinlich.

Noch sehr zögerlich sind die Handwerksbetriebe hierzulande. Besonders in den ostdeutschen Grenzregionen fürchten sie mittelfristig eine starke Zuwanderung billiger Arbeitskräfte. Außerdem steigt der Wettbewerbsdruck wegen der meist deutlich günstigeren Produktionsstandorte in den Beitrittsländern. Ein geeigneter Markteinstieg für das deutsche Handwerk könnte in der Kooperation zum Beispiel mit polnischen oder tschechischen Betrieben bestehen: Letztere verfügen über die für den Geschäftserfolg notwendige lokale Marktkenntnis, während die deutschen Pendants mit ihrem Meisterbrief-Gütesiegel in vielen Ländern der Region Anerkennung finden. Heiko Steinacher

m+a report Nr.2 / 2004 vom 18.03.2004
m+a report vom 18. März 2004