Fast wie im alten Rom

Kommunikation in entspannter Atmosphäre wird auf Messen immer wichtiger. Zieht die Clubkultur ein? Wie werden solche Lounges gestaltet und eingesetzt?

Wer auf Messen mit seinen Kunden lang und ausgiebig Gespräche führen will, nutzt offenbar die Gelegenheit, sich lässig in bequemen Polstersesseln zurückzulehnen, bei sanfter Hintergrundmusik in weichen Kissen zu versinken oder sich gar auf orientalisch anmutenden großen Sitzkissen niederzulassen. So zumindest hat man den Eindruck, wenn man die Messestände wie die von Energieanbieter O2 sieht, von AOL, Sony Ericsson und vielen anderen.
Längst stellen Messelounges die Foyers vieler Unternehmensgebäude in den Schatten und lassen dafür eine Atmosphäre aufkommen, die pulsierende Clubkultur atmet. Clubbing ist seit Jahren "in", weil es die Gäste zu etwas Besonderem macht, die nur mit einem Passwort oder der richtigen Beziehung zum Kreis der Erlesenen gehören dürfen.

Auf der diesjährigen EuroShop in Düsseldorf schotteten sich mehrere Aussteller in dieser Form ab und signalisierten, dass der Zugang nur für eingeladene Besucher sei. So auch beim Hildener Messebauunternehmen ProFair, bei dem eine weiße Gaze die Fassade aus großflächigen Verzweigungen umhüllte. Der Innenraum bestand aus einer riesigen Lounge aus hell und dunkel gepolsterten Sitzkuben und Kissen. Umhüllende Wände aus einer filigranen Baumstruktur und der Bambuslaminatboden erinnerten an eine Waldlichtung, bestens geeignet für Erholung und Entspannung. Ein kleiner Brunnen mit virtuellem Wasser und Goldfischen unterstrich den spielerischen Umgang mit diesem Thema. Die wunderschöne Baumstruktur aber hatte hier mehrere Bedeutungen. Für den Aussteller stand der Baum symbolhaft für Eigenschaften wie Beständigkeit, Verlässlichkeit und Flexibilität, die ihn zu einem interessanten Partner machen sollen. Zugleich aber erinnerte diese Fassade an orientalische Holzgitter, die "mashrabiyas", die zunehmend in unserer Kultur als Trennwände Einzug finden. Die ägyptisch-deutsche Objekt- und Medienkünstlerin Susan Hefana hat sich mit diesen Strukturen besonders intensiv befasst. Für sie verbinden sie das Außen mit dem Innern, filtern gleichsam das laute, hektische Leben, so dass es im Innern frei von äußerlichen Störungen ist. Die Holzgitter bieten aber auch die Möglichkeit, das Außen zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Und genau diese Atmosphäre wünscht man sich auf Messeständen, um in Ruhe Gespräche führen zu können.

Auf der ISH 2005 in Frankfurt überraschte der Sanitärhersteller Dornbracht mit der Präsentation seiner Produktserie LULU in einem Raum, in dem Bad und Schlafraum zu einer Lounge verschmolzen, die mit der Leichtigkeit des Seins spielte, mit Sensibilität und Liebe und der imaginären Kraft französischer Lebenskultur, in der erstmals ein Fashion-Model ins Spiel gebracht wurde. Schwarz gewachste Wände mit samtiger Oberfläche definierten eine Welt der Verführung. Schwarze weiche Teppiche brachten eine wohnliche Atmosphäre ins Bad. Der kubische Waschtisch und die Sofas vibrierten in einem jungen, frischen Pink und luden zum Verweilen ein. Und auch hier wieder das Thema Trennwand als Paravent aus Holz mit kreisrunden Formen, den orientalischen Holzgittern sehr ähnlich, aber doch eine moderne Variante, die das Bad vom Schlafraum trennt, Einblicke und Schattenspiele gewährt.
Mike Meiré von Meiré und Meiré, Köln, entwickelt für den Aussteller seit Jahren aus einer Produktpräsentation eine Lebensform. Die Idee, aus einem Bad und Schlafraum eine Lounge zu machen, entspringt bei Inhaber Andreas Dornbracht dem Wunsch, einen Raum der Kontemplation, einen Ort zum Innehalten zu schaffen, um sich selbst wieder spüren zu können. So einen Ort auf Messeständen zu entwickeln, ist wahrlich nicht immer einfach. Der Schweizer Messedesigner und Szenograph Urs Hofer hat mit seinen weichen, bionischen Standformen mehrfach versucht, durch organische Formen, Cocoons, Orte der Geborgenheit und Selbstbesinnung zu schaffen.

Auf der E-world 2005 in Essen entwickelte die Münchener Design Company für die EGL Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg AG eine Lounge der besonderen Art, die eine Kommunikationsplattform darstellen sollte. Nur für Gespräche, für den Gedankenaustausch innerhalb eines europäisch vernetzten Unternehmens wurden weiße Sitzpolster mit violetten Filzkuben arrangiert. Teakfarbenes Laminat auf dem Boden, in der Bar hingegen dämpfte ein hochfloriger Teppichboden Schritte und Stimmen. Die Wertigkeit der starken Marke aber wurde durch die Atmosphäre der Standhülle erzeugt, die durch transparente farbige Plexiglasplatten gebildet wurde und die Lounge in ein lebendiges und frisches Lichtspiel tauchte, das durch die Bilder der Flatscreens auf der Standinnenwand verstärkt wurde.

Und damit taucht ein weiteres Element moderner Lounges auf - Flatscreens, kleine, große, mehrere nebeneinander, um mit Bildwelten den Raum zu beleben, Geschichten des Unternehmens zu erzählen, zu untermalen, genauso wie dies in realen Lounges und Clubs der Fall ist, in denen der kosmopolitische, anspruchsvolle Gast mit Lifestyle angesprochen wird. Da verändern sich die Räume durch farbiges Licht - wie bei EGL durch farbige Plexiglasplatten, mit Licht- und Filmprojektionen verwischen die Grenzen zwischen einer realen und virtuellen Welt.

Ein neuer Club in Frankfurt dürfte hier ganz neue Maßstäbe setzen, der auch für Club- und Loungeatmosphäre auf Messen und Events ein Ideenfeuer bereithält. Im Cocoon-Club mit den beiden Restaurants Silk und Micro haben die Wiesbadener Designer von 3deluxe für DJ Sven Väth einen ganz außergewöhnlichen Clubtraum realisiert. Auf 2700 m2 entstand ein avantgardistisches Experimentierfeld für die Transformation von Raum und Wahrnehmung, eine multimediale Inszenierung, in der das Ambiente sich fortwährend wandelt. Die gesamte räumliche Gliederung sowie das Interieur erinnern an biologische Formen; perforierte Wandflächen sehen aus wie eine Zellmembran aus weißen Flowstone-Modulen, deren Materialität sich durch eine 360°-Projektion aufzulösen scheint. Dreizehn grüne kapselartige Lounges mit weich gepolsterten Sitzschalen durchstoßen diese Membranwand und erlauben ein privates "Cocooning" inmitten des Trubels. Zwischen den beiden Restaurants und dem Eingangsbereich gibt es ein Inbetween, eine Art Zwischenzone zur kommunikativen Entspannung mit übergroßen Kirschblütenmotiven an den Wänden, Möbeln in Violett und Pink und 25 bequemen Sitzinseln, die durch Lichtobjekte aus dynamisch programmierten Kathodenröhren getrennt werden. Eine besonders spannende Transformation aber erfährt das Restaurant Silk im Laufe des Abends. In Anlehnung an antike und asiatische Esskultur werden Speisen und Getränke auf Glastabletts auf großen Liegeflächen für bis zu neun Personen serviert. In Pinktönen changierendes Licht taucht weiße Gazeflächen in weiche Farbstimmungen und trennt die Sitz- und Liegebereiche voneinander ab.

Im Liegen essen, trinken und relaxen, wie die alten Römer es schon taten, ist ein Trend, der inzwischen in vielen hippen Clubs zu erleben ist und auch von Events gern aufgegriffen wird. Die Designerin Melanie Weisweiler hat vor über zwei Jahren eine alte Seifenfabrik in Kirchentellinsfurt in ein 600 m2 großes weißes Loft zum Arbeiten und "Loungen" umgewandelt. Jeden Freitag können Firmenmitglieder und ihre Kunden, aber auch Privatleute auf Riesenbetten mit Hunderten von Kissen DJ-Klängen lauschen, den Sternenhimmel durchs Glasdach betrachten und bei einem Viergängemenü die Seele baumeln lassen.

An so etwas Ähnliches hat wohl auch die Salzburger Agentur Ideenwerk gedacht, als sie für ihren Kunden Carpe Diem, Getränkehersteller von Kambucha, Kefir und Gingko, die Marke einzigartig in Szene setzen sollten. Sie luden Österreichs Top-Gastronomen und ausgewählte Gourmets, 80 an der Zahl, zum "Carpe Diem Lying Dinner" ein. Im ehemaligen Theater "Metropolis" wurden die Sinne der Gäste mit exklusiven Stoffen, dezentem Licht, warmen Farben, entspannter Lounge-Musik und exotischen Aromen betört. Ein Buddha begrüßte am Eingang, die Gäste mussten die Schuhe ausziehen, durch aromatisiertes Wasser waten. Danach gelangten sie in eine orientalisch anmutende Szenerie mit riesigen Designerbetten mit Seidenkissen dekoriert. Exotische Gerüche lagen in der Luft und die Gäste wurden mit einem mehrgängigen Menü auf höchstem Niveau von Küchenchef Christoph Fankl verwöhnt.

Lounges und Clubs waren schon einmal ein Phänomen der Jahrhundertwende und wiederholten die großen Salontage des 19. Jahrhunderts. In unserer Zeit tauchen sie überraschenderweise nicht nur in Wellness- und Designerhotels auf, sondern auch in Clubs, in Bars und sogar auf Events und Messen. Mit einer Lounge verbinden noch immer viele Wartehallen und Foyers, die bequeme Sitzelemente zum stressfreien Warten bereithalten, zum Herumlungern und Herumlümmeln.
Und was hat die Lounge mit dem Orient zu tun? Noch im 18./19. Jahrhundert war ein Diwan ein orientalischer Herrschersitz, der später zu einem mit Polsterbänken ausgestatteten Empfangsraum wurde und sich erst später zur einfachen Liege reduzierte. Die Lounge hat sich offenbar gewandelt - vom nüchternen Warteraum zum sinnlichen Raum zur Entspannung.
Und Andreas Dornbracht sagt uns auch, warum diese Räume heute für uns so wichtig sind: "Ritualgeprägte Architektur gibt uns ein Gefühl der Geborgenheit und damit auch der Sicherheit, die wir brauchen, um Dinge zu verändern, Blickwinkel zu wechseln oder uns selbst einfach endlich mehr Raum in unserem Leben zu geben." Ingrid Wenz-Gahler

m+a report Nr.3 / 2005 vom 27.04.2005
m+a report vom 27. April 2005