Allein unter Indern

Exporteure von Textilien werden vom indischen Markt weiter ferngehalten. Als Produktionsstandort für Massenware gewinnt der Subkontinent stetig an Bedeutung.

Dass die großen europäischen und amerikanischen Modelabels ihre Kollektionen mittlerweile durch die Bank in Asien fertigen lassen, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Asien, das hieß aber auch für die Textilienmanager in erster Linie China. Auf der Suche nach alternativen Produktionsstandorten und vielleicht sogar neuen Absatzmärkten wandert der Blick auf der Landkarte in letzter Zeit aber verstärkt nach Süden - "Indien" heißt bei vielen das neue Zauberwort. Wurde der Export von Textilien nach Europa und die USA bisher durch Quoten eingeschränkt, beziehungsweise verteuert, können Textilien seit Januar dieses Jahres ungehindert in die Industrieländer verschickt werden.
Entsprechend erwarten Experten von der Handelsliberalisierung einen gewaltigen Schub für den Export. Dabei ist der Textilsektor schon heute nach der Landwirtschaft der wichtigste Wirtschaftszweig Indiens: 37 Mio. Menschen sind direkt mit der Produktion beschäftigt, 45 Mio. indirekt von ihr abhängig. Nach Schätzungen des indischen Textilministeriums werden in den nächsten Jahren zudem rund 10 Mio. neue Jobs in der Textilindustrie entstehen. Motor der Entwicklung: der Export. Schon heute verkauft das Milliardenvolk jedes Jahr Textilien im Wert von rund 12 Mrd. EUR, 2010 sollen es bereits 40 Mrd. EUR sein. Bereits jetzt ist Indien nach China der zweitgrößte Exporteur von Textilien und Bekleidung in die EU. Und auch das Geschäft mit Deutschland brummt: Während Indien 2003 Textilien im Wert von 545 Mio. EUR nach Deutschland verschiffte, stachen vergangenes Jahr bereits Textilien für 603 Mio. EUR nach Hamburg in See.

Wie immer, wenn es darum geht, aufstrebenden Industrien im Ausland die passende Veranstaltung zur Seite zu stellen, war die Messe Frankfurt eine der ersten auf dem indischen Markt. Vor fünf Jahren exportierte sie einen Ableger ihrer Heimtextil nach Delhi, vergangenes Jahr fand die Messe erstmals in Mumbai, dem ehemaligen Bombay statt. "Mumbai ist die Hauptstadt des indischen Textilhandels", erklärt Shammi Nagpal, Managing Director bei der Messe Frankfurt India: "Wir wollten hierhin - komme was wolle". Damit folgt Shammi einem Muster, das auch für China maßgeblich war: In Peking gestartet, wurden nach und nach viele Veranstaltungen in ihre entsprechenden Wirtschaftszentren verpflanzt.
Offenbar konnte Shammi mit ihrem Konzept überzeugen: Kamen zur letzten Veranstaltung in der Hauptstadt nur 8674 Besucher, waren es im Mumbai schon 10 252. Auch bei den Ausstellern legt Shammi leicht von 176 auf 181 zu; die Werte der Erstveranstaltung konnte sie aber nicht übertreffen, so reisten zur Premiere noch 269 Firmen nach Delhi. Zudem bleibt auch nach dem Umzug die weiterhin in Delhi stattfindende Tex-Styles der größte Ausstellermagnet der indischen Textilbranche: 314 Unternehmen präsentierten dieses Jahr ihre Kollektionen auf einer Nettofläche von 7 300 m2 in den Hallen des Messezentrums Pragati Maidan.
Immerhin konnte Messe-Frankfurt-Frau Shammi vergangenes Jahr auch 13 ausländische Aussteller begrüßen, ein deutsches Unternehmen war allerdings nicht dabei. Mit von der Partie war hingegen eine österreichische Firma: das auf Beschaffung spezialisierte Unternehmen Beeline aus Seewalchen. Björn Gossmann, Marketing Director von Beeline war zufrieden mit dem Event: "Da die Messe Frankfurt Messeveranstalter war, lief organisatorisch alles tadellos".

Lobende Worte über die Organisation einer Messe gibt es von Ausstellern erfahrungsgemäß immer dann, wenn sie für das Unternehmen ein geschäftlicher Erfolg war. Gossmann kann offenbar nicht klagen: "Wir haben drei Viertel unserer Zeit mit Interessentengesprächen verbracht, manchmal gab es Schlangen vor unserem Stand". Bei einem solchen Andrang fällt es für ihn auch nicht weiter ins Gewicht, dass die Fahrt vom Hotel zum Bombay Exhibition Center durch einen Slum führte und dass um das Areal Ruinen standen, "aus denen die Sträucher wuchsen". Auch der "bestialische Gestank" des kleinen die Hallen flankierenden Abwasserbächleins ist offenbar mit österreichischem Pragmatismus zu ertragen: "Mei, da muss man sich halt etwas vor den Mund halten".
Störend waren aus Gossmans Sicht schon eher die vielen Löcher in den Gängen, die nur optisch durch Teppich verdeckt waren. So seien die Leute reihenweise in den Nachbarstand gepurzelt. Da der Aussteller Kissen anbot, seien die Besucher wenigstens weich gefallen, lacht Gossmann. Auch aus der Sicht Wolf-Rüdiger Baumanns sind die Hallen nicht ideal, "der Standort Mumbai ist aber richtig". Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Textilindustrie der Bundesrepublik Deutschland, denkt derzeit selbst über eine Veranstaltung in Indiens Handelsmetropole nach. So organisiert er alle zwei Jahre die Hightex from Germany, eine Plattform für technische Textilien deutscher Hersteller, eingebettet in die Techtextil der Messe Frankfurt. Vor zwei Jahren fand sie in Shanghai statt, dieses Jahr im September geht sie in Moskau an den Start und 2007 würde sie Baumann am liebsten nach Mumbai bringen.

Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit sowie vom AUMA unterstütze Veranstaltung soll den rund 40 teilnehmenden Mittelständlern in erster Linie schwierige Märkte öffnen. Und Indien, daran lässt Baumann keinen Zweifel, ist ein schwieriger Markt: "Die Inder schotten sich ab". Zwar habe man die Basiszölle auf 20 % gesenkt, die tatsächliche Belastung für Indienexporteure liege aber weitaus höher und könne bis zu 50 % betragen. "Vor diesem Hintergrund ist Indien als Exportmarkt nach wie vor unattraktiv", sagt Baumann. Allerdings sieht er auch die Leistung, die Indien im Rahmen seiner Liberalisierung unternommen hat, schließlich mussten Importeure noch 1991 einen Zoll von 400 % berappen.
Auch Michael Jänecke, Objektleiter der Techtextil bei der Messe Frankurt, kennt die Probleme des indischen Markts und ist entsprechend skeptisch, ob er seine Messe tatsächlich 2007 nach Mumbai bringen soll. Zwar sei es "eine Überlegung gemeinsam etwas in Indien zu machen, einen konkreten Plan für eine Techtextil India gibt es aber noch nicht". Zumal die Techtextil 2007 schon für Deutschland, Russland und Südamerika im Messekalender steht. Ein Split der beiden Veranstaltungen wäre allerdings ein Novum: Bisher fand die Hightex immer im Rahmen der Techtextil statt. Immerhin fährt Jänecke in den kommenden Wochen nach Indien, um erste Gespräche zu führen. Mittelfristig sei Indien in jedem Fall ein hochinteressanter Markt, sagt er.

Ruth Schneider, Regionalmanagerin Südasien beim auf Wirtschaftsfragen spezialisierten Ostasiatischen Verein (OAV), stimmt zu: "Die anwachsende Mittelschicht in Indien stellt einen Absatzmarkt für Textilprodukte dar, so dass einige bekannte ausländische Labels ein Distributionsnetz in Indien aufbauen". Allerdings verlangt dies den Unternehmen einiges ab. So verbietet es die Regierung ausländischen Investoren nach wie vor, den Vertrieb selbst in die Hand zu nehmen. Nur für den Großhandel gebe es Ausnahmen, sagt Silke M. Jungbauer, Außenhandelsexpertin beim Gesamtverband der Textilindustrie. Im Einzelhandel sind ausländische Firmen hingegen gezwungen, Franchising-Systeme aufzubauen oder mit einem indischen Joint-Venture-Partner zusammenzuarbeiten. "Für viele Firmen bedeutet dies eine komplette Änderung ihrer Vertriebspolitik", sagt Jungbauer: "Viele bedeutende Marken sind daher in Indien überhaupt nicht präsent."

Zudem verderben undurchschaubare administrative Regelwerke den Spaß am Export auf den Subkontinent und machen die Kosten letztendlich unkalkulierbar. Jungbauer weist auf die kostspieligen Azo-Farbstofftests hin. Zwar sei die Verwendung der giftigen Chemikalien verboten und Tests entsprechend legitim. Doch würden unverhältnismäßig große Proben gezogen: "Wenn die indischen Zollbehörden kontrollieren, wird oft ein ganzer Anzug vernichtet". Bei einer exklusiven Kollektion von 100 Anzügen kann das die Marge bereits stark drücken. Kein Wunder also, dass die Ausfuhr deutscher Bekleidung nach Indien sogar rückläufig ist und vergangenes Jahr nur noch ein Volumen von schlappen 500 000 EUR einnahm. Markus Ridder

m+a report Nr.3 / 2005 vom 27.04.2005
m+a report vom 27. April 2005