Verstärktes Engagement im Wachstumsmarkt Indien

Ob Konsum- oder Investitionsgüter: Der Subkontinent könnte sich in den nächsten Jahren zu einem riesigen Absatzmarkt entwickeln.

Wachstumsraten von über sechs Prozent - davon können andere Länder nur träumen. Das bedeutet auch: Investitionschancen in Indien gilt es schnell zu nutzen. Und so will nicht nur Deutschland seinen Handel mit dem Subkontinent in den kommenden Jahren verdoppeln. "Die Voraussetzungen sind vorhanden, der Wille ist vorhanden - auf beiden Seiten", sagte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement am Ende seiner Indien-Reise Anfang April. Nach einem Plus von 22,5 % lag der bilaterale Handel im vergangenen Jahr bei 6,22 Mrd. EUR. Nach Deutschland exportiert Indien in erster Linie Textilien, chemische Erzeugnisse, Schuhe und Lederwaren. Aus Deutschland besonders gefragt sind Maschinen sowie elektrotechnische und chemische Erzeugnisse.
Die Inder haben viel vor. So hat zum Beispiel der indische Premierminister Manmohan Singh Anfang April erklärt, die Stromversorgung im Land verbessern zu wollen. Das ehrgeizige Ziel: Bis zum Jahr 2009 sollen alle Dörfer des Landes ans Stromnetz angeschlossen werden. Die Zahl der Haushalte auf dem Land ohne Elektrizität wird auf 78 Mio. geschätzt. Auch die Angst vor indischer Bürokratie werde häufig übertrieben: Auslandsinvestitionen würden viel schneller genehmigt als bisher. Fast alle Anträge würden innerhalb von zehn Wochen bearbeitet. Das Tempo der Bearbeitung habe sich verdoppelt, so der indische Finanzminister Palaniappan Chidambaram.

Viele Unternehmer schätzen den Markt ähnlich optimistisch ein wie Minister Clement. "Das Wachstum der indischen Wirtschaft schreitet zwar nicht ganz so schnell voran wie in vergleichbaren Märkten, aber das große gesamtwirtschaftliche Potenzial und positive Prognosen veranlassen Unternehmen zu einem verstärkten Engagement in Indien", sagt Klaus Dittrich, Geschäftsführer der Messe München. Die Messegesellschaft veranstaltete Anfang Februar in Neu Delhi die componex/electronicIndia - mit Erfolg. Die war aufgrund der großen Flächennachfrage vor zwei Jahren von Bangalore in die indische Hauptstadt verlegt worden. Manfred Wutzlhofer ergänzt: "Für den Bereich Transport/Logistik sind wir mit der Transport India vor Ort (seit 2000), für die Bauwirtschaft mit der Baucon India (seit 2002) und den Bereich Biotechnik der Analytica Anacon (seit 2003)." Insbesondere die Veranstaltungen im Bereich Elektronik und Analytik entwickelten sich erfolgreich. Das Ganze sei keine Einbahnstraße, so der Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe München. "Auch Fachmessen in Deutschland sind attraktiv für die indische Wirtschaft. Im Durchschnitt der vergangenen vier Jahre haben jährlich über 100 Aussteller sowie rund 750 Besucher an Fachmessen in München teilgenommen." Die Interessensschwerpunkte auf Ausstellerseite: Schmuck und Uhren, Sportartikel sowie Elektronik. Auf Besucherseite: Bauwirtschaft, Keramik, Elektronik, Laser, Analytik, Getränketechnologie, Schmuck und Uhren sowie Sportartikel.

Euphorie beflügelt die Wirtschaft. Indien ist auf dem Sprung. "Erst Anfang der 90er Jahre hat Indien seine Märkte vorsichtig geöffnet. Daher ist Indien ein Land, das sich (noch) hinter anderen großen Wirtschaftsnationen immer nur in der zweiten Reihe, eher der dritten, aufstellt, obgleich es mit 1,1 Mrd. Menschen die zweitgrößte Nation auf unserem Planeten bildet und mit fast 3,3 Mio. km2 der Fläche der gesamten EU entspricht", sagt Ingo Klöver, planetfair, Hamburg, der CIDEX vertritt, das indische Joint Venture der Messe Düsseldorf und der Koelnmesse. Die "riesige Mittelschicht aber ist auf dem Weg, Bedürfnisse und Ansprüche zu entwickeln, die westlichen Attributen entsprechen." Der steigende Wohlstand dieser Schicht, deren Anteil an der Bevölkerung pro Jahr um rund 15 % wächst, ist allerorten zu sehen: Viele Städter leisten sich einen Motorroller, die Zahl der Handy-Nutzer schnellt hoch. Auch wenn das Konsumniveau der Inder gern zu statistischen Zwecken unterschätzt werde, habe das National Council of Applied Economic Research (NCAER) festgestellt, dass Indiens Mittelschicht bis zum Jahre 2007 auf 430 Mio. Menschen anwachsen werde. Das Interesse an westlichen Konsumgütern sieht Klöver auch dadurch dokumentiert, dass es planetfair gelungen ist, für die "Prestige", Fachmesse für gehobene Modemarken in Dubai, indische Einkäufer in die Emirate zu bringen.
Schließlich sind auch die Inder nicht in der Lage, sämtliche Produkte in der benötigten Qualität selbst herzustellen. Wie jedes andere Land ist es auf Waren und Dienstleistungen aus anderen Ländern angewiesen. Daher sind Messen zu allen Themenbereichen wichtig. Ingo Klöver: "Als Messeveranstalter bringen wir die Anbieter der benötigten Produkte ins Land und bieten ein lediglich bewährtes Instrument, damit der stetig wachsenden Nachfrage ein adäquates Angebot gegenüber gestellt werden kann."

Coimbatore - eine industrialisierte südindische Stadt, in der Dreiecksregion Tamit Nadu, Kerala und Karnataka gelegen - entwickelt sich zunehmend zum Zentrum für die Beschaffung von Kfz-Komponenten, Guss- und Schmiedeteilen. Auch als Bezugsquelle technischer Teile wie zum Beispsiel Ventile sei diese Region mehr als geeignet, da die gefertigten Teile den Qualitätsrichtlinien der EU entsprechen, so die Paul E. Schall GmbH, Frickenhausen, die in Coimbatore ihre Control veranstaltet. Nur: Sie geht vom 6. bis 12. Juli nicht als reine Messe für Qualitätssicherung an den Start, sondern als Industriefachmesse für die Bereiche Fabrikautomation, Qualitätssicherung, Metallbe- und Verarbeitung, Kunststoffbe- und Verarbeitung, Lackieren und Pulverbeschichten. "Wer seine Produkte im Ausland verkaufen möchte, der sollte auch vor Ort sein, um die Möglichkeiten der Absatzerweiterung kennenzulernen", sagt Firmenchef Paul Schall.
Noch in der Sondierungsphase ist die Deutsche Messe AG, Hannover. Sven Prüser, dort für das Auslandsgeschäft zuständig, ist sicher, dass "wir im nächsten Jahr die ersten konkreten Aktivitäten zumindest annoncieren werden." Das müssen nicht unbedingt Veranstaltungen sein. "Es gibt in Indien eine Reihe von Projekten zur Realisierung von neuen Messegeländen. Bei verschiedenen Akteuren haben wir uns als Consultants in die Diskussion gebracht beziehungsweise wurden gebeten, uns als solche zur Verfügung zu stellen."

Die Hauptstadtnähe und ein neues Messegelände, das gerade fertiggestellt wird, locken. So wird die Interkama India (1. bis 3. Oktober), die parallel zu den Fachmessen Biotec India und Pharma India stattfindet, künftig nicht mehr in Hyderabad veranstaltet, sondern im India Expo Center (IEC) in Greater Noida, unweit der Hauptstadt Delhi, sagt Stephan Küppers, Projektleiter der Interkama India. Werner Matthias Dornscheidt, Chef der Messe Düsseldorf: "Ähnlich wie China ist Indien ein riesiger Binnenmarkt und hat in den vergangenen Jahren eine enorme Metamorphose durchgemacht. Mehr und mehr Käufer und Verkäufer wechseln von den melas, den traditionellen indischen Marktplätzen, auf anspruchsvolle Handelsplattformen, um Geschäfte auf nationaler und internationaler Ebene zu akquirieren." Durch die Öffnung vieler Wirtschaftsbereiche, die vorher durch staatlichen Schutz für ausländische Unternehmen quasi als Tabubereiche galten, wurde das Betätigungsfeld für Messeveranstalter erheblich ausgeweitet.
Er verschweigt dabei nicht, dass die Entwicklung des indischen Messewesens als Spiegelbild der allgemeinen wirtschaftlichen Reformprozesse (noch) nicht im "gewünschten Eilzugtempo" wie etwa in China, verläuft. "Internationale Messen im Sinne eines globalen Anspruches haben in Indien derzeit keine Bedeutung." Er sieht den indischen Markt mehr und mehr auch auf die südost- und südasiatische Wirtschaftsregion ausstrahlen. Dornscheidt: "Für die Messen hat dies sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nachfrageseite Bedeutung. In erster Linie besuchen Fachbesucher aus diesen Regionen Messen in Indien." Auch vor diesem Hintergrund habe das indische Messewesen ein sehr großes Potenzial, das sich aber erst in einigen Jahren voll entfalten werde, ist er überzeugt.
Mit der Durchführung von Bundesbeteiligungen machte die Messe Düsseldorf in den 80er Jahren erste Schritte auf dem Subkontinent, bevor sie sich entschloss, sich 2001 mit der Koelnmesse zu einem Joint Venture zusammenzutun und begann, eigene Produkte im Markt zu entwickeln. Was in Deutschland nicht funktioniert, funktioniert in Indien: In der CIDEX Trade Fairs PvT. Ltd. haben sich zwei Messegesellschaften mit großem Renommée zusammengeschlossen. "Aufgrund der Unterstützung und der langjährigen Erfahrung der beiden deutschen Partner verfügt CIDEX sowohl über ein ausgesprochen gutes Kontaktnetz zu internationalen Verbänden aus Industrie, Handel, Dienstleistungen und weiteren Organisationen als auch über enge Verflechtungen zu den internationalen Auslandsvertretungen und Tochtergesellschaften der Messen Düsseldorf und Köln", betont Dornscheidt.

"Den Weg in den prosperierenden indischen Markt gehen deutsche und europäische Unternehmen am besten über Messen. Für viele Unternehmen ist die Teilnahme die erste Begegnung mit den Menschen und den Möglichkeiten. Messen vor Ort, die ein vertrauter Dienstleister verantwortet, bieten gute Chancen, sich mit den Anforderungen und Besonderheiten des neuen Marktes auseinander zu setzen und gleichzeitig Fehler möglichst zu vermeiden", erklärt Jochen Witt, Chef der Koelnmesse, die bereits fünf Veranstaltungen auf dem Subkontinent organisiert. Zuletzt wurde die International Foodtec India 2004 nach dem Vorbild der Kölner Leitmesse Anuga Foodtec mit Erfolg durchgeführt. Im Dezember fand zum ersten Mal die World of Food China im südindischen Hyderabad statt.
"Indien ist weitaus schwieriger zu begreifen als China", weiß Michael von Zitzewitz, Chef der Messe Frankfurt, die seit 1998 dort mit einem Tochterunternehmen präsent ist und erfahren musste, dass auch für Veranstalter der Markt kein einfacher ist: Mit der Automechanika fand 1999 die erste Messe vor Ort statt, die für 2005 wurde gerade gecancelt. "Wir sind froh, dass wir mit der Heimtextil India eine Messe haben, die auf sicheren Füßen steht", sagt Zitzewitz mit Blick auf den indischen Markt und das nicht leichte Geschäft.
Dennoch, und da sind sich alle einig, Indien tritt in der europäischen Wahrnehmung aus dem Schatten Chinas heraus. Und: Es lohnt sich, diesen Markt anzugehen.

Die Zahl der Unternehmen, die sich in Indien beziehungsweise in Deutschland an Fachausstellungen beteiligen, ist über die Jahre kontinuierlich gewachsen. Für indische Unternehmen sind deutsche (Weltleit)Messen überlebenswichtig. Sie bieten ihnen eine Kommunikations- und Handelsplattform, die es ihnen erlaubt, Produkte nicht nur auf dem europäischen Markt, sondern weltweit zu vermarkten. Das belegt auch die hohe Zahl indischer Aussteller und Besucher, die Jahr für Jahr deutsche Messen besuchen. Allein in den Jahren 2000 bis 2003 besuchten insgesamt rund 8000 Aussteller und rund 80 000 Besucher aus Indien Messen in Deutschland - Tendenz steigend. Aber auch für deutsche Unternehmen rückt der indische Markt mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Drum hat die Bundesregierung ein gesteigertes Interesse daran, auch den deutschen Mittelstand auf dem Subkontinent zu etablieren. Daher werden Mittel für das Marketing- und Vertriebsinstrument Messe bereitgestellt. Für das Jahr 2005 befinden sich zurzeit acht Messen in Indien im Auslandesmesseprogramm des Bundes.

m+a report Nr.3 / 2005 vom 27.04.2005
m+a report vom 27. April 2005