Eldorado der Produktpiraten

Messen ziehen auch Besucher an, die lieber abkupfern statt ordern. Veranstalter nehmen das Thema ernst, reagieren mit Initiativen und bieten Rechtsberatung.

Wer große Meister kopiert, erweist ihnen Ehre, wusste schon Konfuzius. Doch diejenigen, denen diese Anerkennung heute zuteil wird, spüren die wohltuende Kraft fernöstlicher Anerkennung mitnichten. Wer Markenartikler kopiert, erweist ihnen keine Ehre, er bereitet ihnen Kopfschmerzen und eine klaffende Lücke in der Bilanz. Die Europäische Kommission schätzt, dass heute bis zu 10 % des Welthandels auf Fälschungen und Plagiate zurück gehen. Dadurch entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden von 200 bis 300 Mrd. EUR. Die World Customs Organization, ein internationaler Verband der Zollbehörden, kommt auf ganz ähnliche Zahlen: 5 % bis 7 % des Welthandels gehen nach ihren Berechnungen auf das Konto von Fälschern und Raubkopierern - in Euro: Dreihundertneunzigmilliarden.
Doch nicht immer schmerzt nur der Blick auf's Konto: Als vor vier Jahren durch den Absturz der Concorde rund 113 Menschen ums Leben kamen, stellten Experten als Unfallursache ein fehlerhaftes Titan-Austauschteil fest. Es hatte nicht, wie vorgesehen, abgerundete Ecken, sondern kantige. Die scharfen Kanten zerstörten den Flugzeugreifen und der wiederum zerschlug die Tankwand, was die tödliche Explosion zur Folge hatte. Das Titan-Austauschteil, das die Kettenreaktion in Gang brachte, war ein Plagiat. Auch das Geschäft mit kopierten - und wirkungslosen - Medikamenten blüht. Erst vor kurzem mussten 16 Mio. Tabletten des Cholesterin-Senkers Lipitor von Pfizer vom Markt genommen werden - es waren Plagiate. Der Schaden für die Gesundheit der Verbraucher und die Werte der über Jahre aufgebauten Marke liegen auf der Hand.

Ebenso klar ist die Bedeutung, die Messen in der Plagiate-Industrie spielen: Hier präsentieren die Hersteller von Originalprodukten erstmals ihre neuen Sortimente. Auch wenn sie im Vorfeld der Messe alles Erdenkliche unternommen haben, um ihre neue Ideen, ihr neues Produkt zu schützen - spätestens am Messe-Eröffnungstag müssen sie die Hosen herunter lassen. Schließlich ist das ja die Idee einer Messe: Produkte einem internationalem Fachpublikum zu präsentieren, auf der Suche nach Käufern, Interessenten und Kooperationspartnern. Doch während nicht jeder Hersteller seine Wunschzielgruppen findet, kann er sich auf eins ganz sicher verlassen: Der Plagiator findet ihn. Es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma: "Wer sein Produkt auf der Messe versteckt, der wird es nicht verkaufen", sagt Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Leipziger Messe.
Marzin führt den vielzitierten Satz von der Messe als "Spiegelbild der Wirtschaft" an: "Wer etwas klauen will, der macht das auch so, ohne Messe". Allerdings räumt er ein, dass eine Messe einen solchen Ideenklau "vielleicht noch einfacher" macht. Mit Zeitverzögerung, so viel sei jedenfalls sicher, werde es aber in jedem Fall zum entsprechenden Plagiat kommen, Messe hin oder her. Generell gelte das Motto: "Je komplizierter eine Produkt, desto weniger gefährdet ist es." Raimund Hosch, Vorsitzender der Geschäftsführung bei der Messe Berlin stimmt zu: "Für unsere meisten Messen sind Plagiate kein großes Thema, schließlich kann man einen Plasmascreen von Philips nicht kopieren, indem man auf der Internationalen Funkausstellung ein Foto davon macht." Mit Blick auf seine neue Veranstaltung B-in-Berlin ist er allerdings nachdenklicher: "Stoffe können schnell kopiert werden". Entsprechend gibt es ein Fotografierverbot - "das gilt natürlich nicht für die Modenschauen".
Margit Jandali, Geschäftsführerin der Igedo Company, welche die Modemesse cpd woman_man_kidz Düsseldorf ausrichtet, lässt auch auf den Modenschauen nur akkreditierte Journalisten fotografieren. "Das Thema wird sehr ernst genommen. Das beginnt bereits in den Teilnahmebedingungen zur Messe, die auf die Wahrung der Urheberrechte hinweisen." Wie bei den meisten anderen Veranstaltungen haben Aussteller auf der cpd die Möglichkeit, Verstöße gegen das Urheberrecht sofort auf der Messe zu melden. Jandali: "Sowohl die ansässige Polizei als auch der Zoll übernehmen hier die Aufgaben."

Was es bedeutet, eine Messe für leichtkopierbare Produkte wie Stoffe auszurichten, weiß man auch bei der Messe Frankfurt. Für ihre Textilienfachmesse Heimtextil haben die Frankfurter die Initiative "Heimtextil against Copying" gegründet. Im Rahmen der Aktion stand auf der vergangenen Veranstaltung im Januar dieses Jahres eine Anwaltskanzlei für Rechtsberatung bereit. Gleichzeitig informierte das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt über die Möglichkeiten des Musterschutzes. Ziel war es, im Plagiatsfall die Beweislage zu erleichtern oder zwischen den Unternehmen zu schlichten. Der Ausschluss eines Ausstellers ist laut Messeangaben aber nur dann möglich, wenn die Beweislage klar ist und der Kopist verurteilt wird. Eine Maßnahme, vor denen die meisten Messen nicht zurückschrecken: "Man muss rigoros eingreifen, um die Originalhersteller nicht zu beschädigen", sagt etwa Messe Berlin-Chef Hosch: "Notfalls müssen Standschließungen vorgenommen werden."
Doch trotz Fotografierverbot, Zoll auf dem Gelände und der Drohung von Standschließungen - die Plagiateure sind nicht klein zu kriegen. Schließlich bleibt das Risiko relativ gering für die Kopisten. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen haben nach Expertenmeinung kaum die Ressourcen einen asiatischen Plagiateur in seinem Heimatmarkt zu verklagen. Zudem fehlt oft das Bewusstsein für die Gefahren. Um Abhilfe zu schaffen, arbeitet die Koelnmesse derzeit an einer Infobroschüre zum Thema "Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie". Die Broschüre wird zukünftig im Vorfeld einer Veranstaltung an die Aussteller geschickt und auch auf den Internetseiten der Koelnmesse abrufbar sein.

Für die größte öffentliche Resonanz hat in den vergangenen Jahrzehnten die Aktion Plagiarius gesorgt. Kommendes Jahr wird der gefürchtete Negativpreis "Plagiarius" zum 30. Mal auf der Frankfurter Konsumgütermesse Ambiente verliehen. Ausgezeichnet werden Unternehmen, die sich durch besonders unverfrorene Plagiate hervor tun. Der vom Designer Rido Busse initiierte Preis hat seitdem eine unvergleichliche Medienresonanz erfahren und die Öffentlichkeit für den Schaden sensibilisiert, die Plagiate alljährlich anrichten. Dieses Jahr konnte Busse als Gastredner für seine Aktion Michel Friedmann gewinnen. Der Politiker wies darauf hin, dass sich auch die Verbraucher die Hände schmutzig machen, wenn sie zur gefälschten Ware greifen: "Es ist nicht nur kein Kavaliersdelikt die Originalität und die Kreativität eines anderen Menschen zu stehlen, es ist genauso wenig kein Kavaliersdelikt Konsument solcher nachgemachter Waren zu sein."

Auch Friedmann hebt den Vorteil hervor, den Großunternehmen in der Auseinandersetzung mit Kopisten haben: "Sie haben große Rechtsabteilungen, sie haben die Möglichkeit, durch ihre Patentanwälte und ähnliche rechtliche Schritte sehr kontrolliert dies festzustellen. Aber für einen Mittlerständler, für einen Kleinunternehmer kann dies unter Umständen existenzgefährdend sein." Der Weg durch alle Instanzen ist nicht nur zeitraubend, sondern verschlingt jede Menge Geld. Busse nennt als Beispiel für ein Unternehmen, das sich gegen Abkupferer durchsetzen konnte den Rasierapparate-Hersteller Braun. Als der von einem chinesischen Hersteller plagiiert wurde, hat der Rasierapparategigant den Kopisten in Hongkong verklagt - mit Erfolg. Gewonnene Rechtsstreitigkeiten dieser Art wirken abschreckend auf die Branche der Kopierer. Busse: "Man muss sich den Ruf des Fürchterlichen schaffen, dann hat man einen guten Schutz."
Doch nicht immer muss man bis nach Asien schauen, wenn man einen Blick in die Sünderkartei der Abkupferer werfen will. Auch europäische Unternehmen wie unter anderem Tchibo, Boehringer Ingelheim, Deichmann, Ikea und Toom-Markt haben die "Auszeichnung" Plagiuarius schon erhalten. Dass man den Copykönigen auch hierzulande nicht immer vor Gericht das Handwerk legen kann, musste der ehemalige Konsumgüterhersteller Erhard & Söhne in Schwäbisch Gmünd schon vor Jahren feststellen.
Seit den 30ern hatte das traditionsreiche Unternehmen eine verchromte Thermoskanne für rund 120 Mark im Sortiment. Als Tchibo ein täuschend ähnliches Pendant fertigen ließ und es für einen Bruchteil des Preises verkaufte, gingen die Schwäbisch Gmünder vor Gericht. Recht bekamen sie aber nicht, offenbar war das Produkt nicht originär genug.

Eine Hilfe im Streit mit seinem Plagiator bietet das neue "nichteingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster": Wer seine neue Idee oder sein neues Produkt "offenbart", hat automatisch drei Jahre lang zumindest rechtlichen Schutz gegenüber Kopisten. Innerhalb des ersten Jahres kann man zudem ein richtiges Geschmacksmuster beim Harmonisierungsamt im spanischen Alicante anmelden, um dann weitere 25 Jahre geschützt zu werden. Doch was verbirgt sich hinter der Vokabel "Offenbarung"? Reicht die Teilnahme an einer Messe aus? Plagiatsexperte Busse rät zur Vorsicht: "Es ist noch nicht eindeutig geklärt, was hiermit gemeint ist". Wer Sicherheit wolle, solle sein Produkt unter seiner neuen Website www.designpublisher.com anmelden.
Doch ob ein Eintrag hier im Zweifelsfall ausreicht, um die ersten Rechte an einem Produkt zu reklamieren, bleibt ebenfalls unklar. Schließlich hat Busse die Seite erst vor einigen Monaten gestartet. Bis das PR-Genie Busse sie bekannt genug gemacht hat, damit Unternehmen auf ihr innovatives Design nachhaltig "offenbaren" können, wird noch einige Zeit vergehen. Zuletzt hilft es vielleicht doch, sich wieder auf Philosophen und Dichter zu besinnen, meinte Theodor Fontane doch: "Über Plagiate sollte man sich nicht ärgern. Sie sind wahrscheinlich die aufrichtigsten aller Komplimente." Wenn es doch so einfach wäre. Markus Ridder

m+a report Nr.2 / 2005 vom 23.03.2005
m+a report vom 23. März 2005