Kunden - unbekannte Wesen im Eventgeschäft

In anderen Branchen ist die Zielgruppenanalyse längst selbstverständlich. Nur bei Events und Messeauftritten fehlt Auftraggebern und Agenturen der Durchblick.

Was genau wissen Messe- und Eventplaner in Unternehmen und Agenturen von denen, die sie erreichen wollen? Geben die Auftraggeber von Messeauftritten und Events ihren Dienstleistern wirklich ausreichende Informationen über ihre Zielgruppe oder müssen diese sich solches Wissen selbst beschaffen? Wenn es Informationen gibt, sind diese allein demografischer Natur oder stehen auch Informationen über die Wertorientierung der jeweiligen Zielgruppe zur Verfügung? Wie gehen Agenturen mit einem etwaigen Wissensdefizit um und mit welchem Instrumentarium beschaffen sie sich einen besseren Einblick? Eines jedenfalls scheint sicher: Die Angaben, die von Kundenseite über die jeweilige Zielgruppe vorliegen, reichen meist nicht aus. Die Konsequenzen, die in den einzelnen Agenturen daraus gezogen werden, fallen allerdings recht unterschiedlich aus.

Johannes Milla, Milla + Partner, Stuttgart, bedauert: "Es ist leider wahr. Wir erhalten in der Regel für unsere Vorstellung zuwenig Informationen über die Zielgruppen." Eine Ausnahme bildeten lediglich Automobil- und die Konsumgüterbranchen. Gründe für die mangelnde Information seien, dass zum Beispiel die Messeabteilungen in der Regel zuwenig in hausinternem Austausch mit ihren Costumer-Research-Kollegen stünden. Eine Erfolgsmessung anhand einer Analyse der Standbesucher als Zielgruppe nähme nur ein Bruchteil der Kunden vor. "Die immer häufigeren Personalwechsel auf Kundenseite gehen in der Regel ohne ausreichenden Wissenstransfer vonstatten. Es wird zu oft neu angefangen", meint Milla. Eine Lösung: "Wir gehen damit so um, dass wir in bestimmten Branchen auch ohne Kundenauftrag laufend forschen, untersuchen, uns bilden. Damit wir mehr wissen und die richtigen Fragen stellen. Das qualifiziert uns dann auch dazu, initiativ Maßnahmen vorzuschlagen oder auch von Messemaßnahmen abzuraten. Das macht uns unabhängig von bestimmten Kommunikationstools".

Claudius Colsman, Bereichsleiter Event bei der Bob Bomliz Group, konstatiert: "Gerade der Verhaltens- und Erwartungshintergrund der Zielgruppen wird selten bis nie geliefert, ist aber, insbesondere für die Schaffung emotionaler Erlebnisse, sehr entscheidend. Oft haben die Kunden selbst keine fundierten Informationen, erkennen aber mehr und mehr die Notwendigkeit solcher, eher ,weicher' Faktoren." Weiterführende psychografische Merkmale wie das jeweilige Lebensumfeld, Einstellungen, Hobbys und Vorlieben lägen meist kaum vor." Die Bonner nutzen in diesem Fall bereits existierende Marktmedia-Studien oder empirische Studien, die in Zusammenarbeit mit Marktforschungsinstituten erhoben werden. Darüber hinaus greift man gerade bei der Konzeption von integrierten Kommunikationskampagnen auf Ressourcen des BBDO-Netzwerks zurück.

André Rasel, Mitglied der Geschäftsleitung der kogag, beschreibt eine oft unzureichende Briefingkultur auf Kundenseite. Die Veranstaltungsbriefings seien vielleicht aus zeitlichen Gründen, vielleicht, weil einfach nicht die Notwendigkeit von Details gesehen werde - häufig sehr pragmatisch, kurz, wenig strukturiert und konzentrierten sich auf die Vermittlung von reinen Hardfacts. "Scheinbar geht der Kunde gerade bei Veranstaltungsaufgaben oft davon aus, dass die so vermittelten Basisinformationen für eine gute Idee ausreichen." Der Kunde denke oft mehr in Kommunikationszielen und nicht so sehr aus der Perspektive der Teilnehmer. Doch für einen Konzeptansatz, der von den Bedürfnissen der Zielgruppe aus einen kreativen und authentischen Lösungsansatz zu finden versucht, greife diese Vorstellung leider zu kurz. "Wir versuchen, das Event von der Adressatensicht aus zu entwickeln und messen es dann an den vorgegebenen Marketing- und Kommunikationszielen." In Solingen baut man daher auf die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen, um dem Kunden weitergehende Informationen zu "entlocken", versucht selbst tiefer über sekundäre Quellen zu recherchieren, um auch ,weiche' Faktoren über die Zielgruppe zu erhalten. Genutzt werden das Internet, Analysen und Studien jeder Art, aber auch ausführliche Befragungen des Kunden auf der Basis eines selbst entwickelten Re-Briefing-Papiers, ergänzt mit aufgabenspezifischen Fragestellungen, in dem sowohl strategische und kommunikative Aspekte, als auch "operative" Fakten ermittelt werden. Bei der kogag werden zudem Käuferstudien analysiert und man setzt - häufig unabhängig vom Kunden - auf Unterstützung durch Research Partner. Dann kommen auch tiefer reichende Informationen zum Lebens- und Arbeitsumfeld, Einkommensverhältnissen, zur familiären Situation und zum Käuferverhalten, Wertevorstellungen und Markenloyalitäten zusammen, Auskünfte über die Bindung der Zielgruppe zum Unternehmen, ihre Einstellung zum Kommunikationsziel einer Veranstaltung, ihre Erwartungshaltungen bezüglich eines Events oder einfach ,nur' ihre aktuelle Grundstimmung.

Matthias Kindler von der Münchener Event Company stellt fest: "Mit den Zielgruppen ist das so eine Sache. Man kann eigentlich nie genug über sie wissen, aber oft weiß auch niemand so richtig etwas über sie." Bei Public Events könne man ehrlicherweise lediglich einen gesunden Bevölkerungsquerschnitt erwarten und versuchen allen ein außergewöhnliches Erlebnis zu verschaffen. Auch bei Corporate Events sehe es nicht viel besser aus." Was verbinde denn alle Siemens-Führungskräfte, außer dass sie bei Siemens arbeiten? Verhältnismäßig wenig. Fakt sei, man wisse fast immer zu wenig über seine Gäste. "In diesem Fall helfen uns Instrumente aus der klassischen Werbung leider auch nicht weiter. Bei der Konzeption von Events müssen wir daher viele intelligente Annahmen über unsere Gäste und ihre Wünsche treffen - und uns oft auch auf unsere Erfahrungen mit ähnlichen Anlässen verlassen." Vom Kunden kämen in der Regel nur die Basis-Informationen.

Für Martin Stenzel, Sprecher der Geschäftsführung von max.sense Live Marketing, haben vor allem die Kunden aus der Automobilbranche in Sachen Zielgruppe ihre Hausaufgaben gemacht: "Wenn wir hinzugezogen werden, ist das Neuprodukt bereits entwickelt und in der Produktion, so dass uns Marktstudien und eine ausführliche Produktpositionierung zur Verfügung stehen. Daraus lassen sich Zielgruppen und weitere für die Veranstaltungsplanung wichtige Parameter ableiten." Gerade bei mittelständischen Unternehmen existiere jedoch oft kein klares Bild ihrer Zielgruppen. "Wir raten unseren Kunden, im Vorfeld die Zeit zu investieren, um Ziele, Zielgruppen und Botschaften genau herauszuarbeiten. Dies spart auf lange Sicht Zeit und Geld und garantiert den Erfolg des Konzepts." So führt die Agentur gern mit Kunden einen Workshop durch, in dem vorab gemeinsam Ziele festgelegt und Parameter wie Zielgruppen im Detail diskutiert werden. "Unsere langjährige Erfahrung hilft uns dabei, die richtigen Fragen zu stellen. Meist kennen die Kunden ihre Zielgruppe besser, als ihnen bewusst ist, so dass wir zusammen die Basis für ein erfolgreiches Konzept legen können. Natürlich fließen auch eigene Recherchen und uns vorliegende Studien in die Zielgruppendefinition mit ein."

Andreas Leonhard, Quasar Communications aus Wiesbaden: "Da die Qualität und Quantität der Informationen in den Briefings sehr unterschiedlich sind, ergreifen wir selbst die Initiative." Leonhard weiter: "Wir haben einen ausführlichen Fragebogen entwickelt, den der Kunde von uns erhält. Wenn er alle Fragen beantworten kann, haben wir ausreichende Informationen zur Zielgruppe. Ist dies nicht der Fall, recherchieren wir selbst", damit im Anschluss über die rein demografischen Daten auch Angaben zur Wertorientierung der Zielgruppe, zur allgemeinen Stimmungslage, historischen Hintergründen, Bedürfnissen und Zielen vorliegen.

Colja M. Dams, Vok Dams, kann nur bestätigen, dass die Informationen der Kunden über ihre Zielgruppen abhängig von der Branche alles von oberflächlich bis sehr detailliert sind. "Informationen über die Zielgruppe sind entscheidend, da wir als strategisch orientierte Agentur sicherstellen müssen, dass die Kommunikationsziele des Messeauftrittes erreicht werden. Das bedingt, dass die Zielgruppe klar identifizierbar und damit "ansprechbar" ist. Die verschiedenen Anspracheebenen müssen auf die Zielgruppe abgestimmt werden". Die Wuppertaler Agentur erhält von ihren Kunden die unterschiedlichsten Auskünfte über deren Zielgruppen von klar strukturierten Milieustudien, die Werteorientierungen deutlich widerspiegeln, über demographische Informationen bis hin zu noch zu strukturierenden qualitativen Befragungsergebnissen. Abhängig von der Detailtiefe und der Kommunikationsaufgabe ergänzt die Agentur die ihr zur Verfügung stehenden Informationen über die Zielgruppen. "Vor allem eine Typisierung innerhalb der angesprochenen Zielgruppen wird von uns vorgenommen, um diese gezielter ansprechen zu können."

Das gelte nicht nur für Events sondern auch für Messeauftritte. "Neben der Kundenzielgruppe berücksichtigen wir auch die allgemeine Besucherstruktur der jeweiligen Messe. Wir führen eigene Untersuchungen der Zielgruppe in Kundenauftrag durch. Mit Unterstützung einschlägiger statistischer quantitativer Methoden und gezielter Tiefeninterviews schaffen wir uns einen Überblick über die Zielgruppen." Bei Messeauftritten sei besonders das Ansprechverhalten auf die zu vermittelnden Kommunikationsbotschaften entscheidend. Im Verlauf und Nachgang der Messeauftritte werde dies weiter verfolgt. Neben Befragungen der Messebesucher unmittelbar nach Besuch der Messe spielten hier quantitativ messbare Untersuchungstools eine immer stärkere Rolle, so Dams weiter. "Beispielsweise nutzen wir videogestützte Besucherflussuntersuchungen und fokussierte Auswertungen der Messe-Interaktionen wie beispielsweise anonymisiert das Reaktionsverhalten an Terminals, um weitere Informationen über die Zielgruppen zu gewinnen. Diese Informationen bilden dann reflektiert die Grundlage der Folgejahrkonzeptionen".

Brigitte Nussbaum, trendhouse: "Wenn bei uns in München nicht genug Angaben über die Zielgruppen vorliegen, setzt eine detaillierte Informationsrecherche ein, so die Geschäftsführerin. "Die Wahl des richtigen Instrumentariums ergibt sich meist durch ein weiteres Interview mit dem Kunden. Je besser die Grundinformationen sind, desto gezielter können weitere Informationsquellen erschlossen werden. Im B2C-Bereich bieten neben den Sinus-Milieus zahlreiche Branchenbilder und Marktdaten verschiedener Medien und Verlage oft gute Informationen, ebenso wie verschiedene Marktforschungsinstitute wie etwa Allensbach oder GfK. Auch den statistischen Landesämtern lassen sich ab und zu hilfreiche Informationen entlocken".
Im B2B-Bereich gestaltete sich die Informationsbeschaffung schwieriger, da sich Unternehmen bei ihrem Beschaffungspräferenzen und ihrem Verhalten oft weniger beobachten ließen als der private Konsument. Hier müsse häufig in der spezifischen Fachpresse zwischen den Zeilen gelesen oder es müssten Rückschlüsse aus den bereits bekannten Daten gezogen werden. Eine pauschale Antwort auf die Frage, welche Informationen ihre Agentur über die jeweilige Zielgruppe abfrage, könne es nicht geben, meint Nussbaum: "Oft sind es jedoch diverse und sehr differenzierte Informationen wie Freizeitverhalten, Konsumverhalten, Mediennutzung ebenso wie das Haushaltsnettoeinkommen, die in ihrer Kombination ein möglichst vollständiges Bild der Zielgruppe ergeben. Aus diesem Bild kann man anschließend emotionale Haltungen, Wertorientierungen und Einstellungen generieren - mit dem Ziel diese Zielgruppe zu aktivieren, emotional zu berühren und nachhaltig positiv zu beeindrucken. Dies ist, bis ins kleinste Detail, nicht nur unsere Aufgabe als Agentur, sondern vielmehr unser Anspruch an unsere Arbeit".

Fazit: In Sachen Zielgruppenforschung gibt es in Deutschland im Eventbereich noch viel Nachholbedarf. Kunden dürfen sich nicht auf die unzureichende Recherche von Agenturen herausreden. Agenturen können sich nicht allein dadurch exkulpieren, dass sie vom Kunden "zu wenig Konkretes" in Erfahrung bringen konnten. Keine Frage: Die genaue Analyse von Zielgruppen kostet Zeit und Geld, aber beides ist sinnvoll investiert. Denn nur, wer sich hinsichtlich seiner Zielgruppen nicht auf Mutmaßungen verlässt, kann sie auch so ansprechen, dass dabei "etwas herauskommt": Dass es möglich ist, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ-inhaltlich sehr tief greifende Informationen über Zielgruppen zu ermitteln, beweisen so genannte "Milieumodelle" wie beispielsweise das Sigma-Zielgruppensystem oder die so genannten "Sinus-Milieus" (siehe Kasten). Zahlreiche Global Player der Industrie nutzen solche Instrumente bereits seit Jahren sehr erfolgreich, um in ihrer Zielgruppenansprache den richtigen Ton zu treffen. Im Mittelstand ist hier noch großer Nachholbedarf. Antje Peters-Reimann

m+a report Nr.1 / 2005 vom 11.02.2005
m+a report vom 11. Februar 2005