Ganzheitlich kommunizieren

Nach Corporate Identity und Corporate Design ist heute der Begriff Corporate Architecture in aller Munde. Jons Messedat hat sich auf dieses Gebiet spezialisiert.

Wie wird der Begriff Corporate Architecture heute in Deutschland verwendet?

Er findet in zunehmendem Maße Verwendung für Immobilien, Innenräume oder temporäre Installationen, die im System der Corporate Identity Inhalte und Werte von Marken kommunizieren. Im angelsächsischen Sprachraum werden Gewerbebauten generell als Corporate Architecture bezeichnet. Eine Verbindung zum Arbeitsfeld Corporate Design ist nach meiner Erfahrung dort nicht unbedingt gegeben.

Was hat dazu geführt, dass Architektur als Markenträger derart ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist?

Corporate Architecture ist hierzulande in "aller Munde", weil der Begriff noch viel Interpretationsraum bietet und gerne von den verschiedensten Berufsgruppen zur Umschreibung ihrer Dienstleistungen genutzt wird. Der Begriff findet nicht nur in der Architektur und dem Design, sondern auch im Marketing, in der Werbung und in der visuellen Kommunikation Verwendung. Corporate Architecture bietet als Werkzeug in der strategischen Unternehmensführung das Potenzial, diese verschiedenen Disziplinen synergetisch zusammenzuführen. Dies dient nicht nur der Verbesserung nach ästhetischen Gesichtspunkten, sondern bedeutet einen klaren wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil. Obgleich diese Funktion nicht neu ist, erkennen Unternehmen, dass Architektur als übergreifende Gestaltungsdisziplin eine zentrale und auch prägende Funktion in der Markenkommunikation übernehmen kann.
Architektur wird bereits seit Beginn der Industrialisierung von weitblickenden Unternehmern und innovativen Gestaltern als Markenträger genutzt. Schon Camillo und Adriano Olivetti haben ihr Schreibmaschinenimperium durch die Zusammenarbeit mit avantgardistischen Architekten zu einem kulturellen Fokus gemacht, von dem die Marke noch jahrzehntelang gezehrt hat. Le Corbusier hat auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel die Markeninhalte des damaligen Global Player Philips mit dem "Poeme Electronique" ausschließlich über eine Installation aus Architektur und elektronischen Klängen präsentiert und verzichtete gänzlich auf die damals übliche Ausstellung von Produkten.
Ein weiterer Grund für die zunehmende Aufmerksamkeit für Architektur als Markenträger ist die Befreiung von einengenden Corporate-Design-Manuals, die meist von zweidimensional arbeitenden Gestaltern erstellt werden. Erstmals in der Mitte des 20. Jahrhunderts an der Hochschule für Gestaltung in Ulm entwickelt, werden diese vor allem von weltweit operierenden Filialisten eingesetzt, bei denen das räumliche Medium Architektur eher untergeordnet erscheint. An die Stelle von uniformen Erscheinungsbildern treten heute pluralistische Konzepte und Erlebniswelten, die mehr Vielfalt für die Architektur zulassen und Markenwerte bis hin zu einem bestimmten Lebensgefühl vermitteln.

Wie kann Architektur ein Lebensgefühl vermitteln und wie lässt sich dieses auf die verschiedenen Präsenzen vom Firmensitz bis zum Messestand übertragen?

Erste Ansätze für diese Funktion von Architektur lassen sich in der gesamten Baugeschichte finden, zunächst in Bereichen, in denen Architektur eine bestimmte Macht oder Weltanschauung verkörpern sollte. Neben den klassischen Mechanismen der architektonischen Szenografie stehen den Planern heute mehr technische Möglichkeiten zur Verfügung als jeder Generation vor ihnen. Die optimale Transformation und Integration dieser Medien kann alle Sinne ansprechen und ähnliche Stimmungen wie bei einem Konzert-, Theater- oder Museumsbesuch wecken.
Ein Lebensgefühl wird glaubhaft vermittelt, wenn eine Deckungsgleichheit von Inhalten und Werten einer Marke und deren räumlicher Umsetzung erzielt wird. Ob es sich dabei um eine Konzernzentrale, einen Industriebau oder einen temporären Messestand handelt, ist dabei zunächst unerheblich. Das soll nicht heißen, dass bei allen sichtbaren Präsenzen gleiche Elemente eingesetzt werden müssen. Corporate Architecture als Ausdruck eines Lebensgefühls kann durchaus verschiedene Erscheinungsformen annehmen. Ich habe in meiner Arbeit gleichzeitig symbolhafte, inhaltliche, einheitliche oder pluralistische Ansätze verfolgen können. Um ein Lebensgefühl erfolgreich und nachhaltig zu vermitteln, muss es zunächst vom Unternehmen selbst "gelebt" werden.

Welche Fehler werden hierbei häufig gemacht?

Die einfachste Antwort auf diese Frage wäre eine Tour durch die Peripheriegebiete unserer Städte. Obgleich es einige herausragende Beispiele gelungener Corporate Architecture gibt, bewegt sich ein Großteil der heutigen Firmenarchitektur in einer Grauzone aus gesichtslosen Gewerbe- und Verwaltungsbauten, die allenfalls durch kurzlebige Extravaganz hervorstechen. Hier dominieren austauschbare Hallen mit aufprojizierten Elementen des Corporate Design und autistische Gebäude, die auf dem Prinzip der Wiedererkennung basieren und an jedem beliebigen Ort wiederentstehen können. Meines Erachtens finden die vielfältigen Möglichkeiten, Firmenarchitektur als Ausdruck von inhaltlichen und kulturellen Werten von Unternehmen einzusetzen, zu wenig Berücksichtigung.
Es werden viele Chancen durch eine mangelnde Kommunikation zwischen den Planungsbeteiligten vertan. Um das Ziel einer glaubhaften Corporate Architecture zu erreichen, ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit nötig. Bedenken von den Budgetverantwortlichen wegen möglicher Mehrkosten muss der kulturelle und in der Folge auch wirtschaftliche Mehrwert entgegengesetzt werden. Die analoge Begegnung mit einer Marke ist eine gute Chance, die Zuneigung von Kunden zu gewinnen und kann nicht durch virtuelle Surrogate ersetzt werden.

Wie sollte ein Unternehmen strategisch vorgehen, das Wert auf eine ganzheitliche Darstellung legt?

Zunächst muss für ein Unternehmen grundsätzlich Klarheit über die zentralen Anliegen und Werte geschaffen werden, die es überhaupt zu einer eigenen Persönlichkeit machen. Ich habe vor allem bei mittelständischen Unternehmen erlebt, dass es für diese wichtigen Fragen intern keine geeigneten Strukturen und Zuständigkeiten gibt. Das Hauptanliegen eines Unternehmens ist es, ein optimales Produkt oder eine wettbewerbsfähige Dienstleistung anzubieten und nicht ein Pflichtenheft für die passende Architektur zu formulieren. Im Idealfall sollte schon in der Konzeptionsphase, noch vor Beginn des eigentlichen Planungsprozesses, auf Unternehmensseite ein Experte zugeschaltet werden, dessen Kernkompetenz es ist, die beste Strategie für eine ganzheitliche Corporate Architecture zu entwickeln. Diese muss dann projektbegleitend, von der Definition der Ziele über die Auswahl geeigneter Planer bis zur Kontrolle der Standards, verfolgt werden.
Eine ganzheitliche Darstellung bedeutet wesentlich mehr als die Gestaltung der sichtbaren Elemente des Erscheinungsbildes. Es geht darum, eine Haltung zu vermitteln, um verbindliche Maßstäbe für alle Bereiche des Unternehmens zu setzen. Dies können zum Beispiel Aspekte wie besondere Qualitätsansprüche, beste Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten oder eine avantgardistische Gestaltung von Produkten und Gebäuden sein. Sind diese zentralen Positionen einmal definiert, kann eine Corporate-Architecture-Strategie verfolgt werden, mit der diese Werte ganzheitlich kommuniziert werden.

Ist Corporate Architecture Trends ausgesetzt oder eine langfristige Strategie?

Ich würde diese beiden Begriffe gar nicht als Gegenpole sehen. Obgleich der Begriff Trend zunächst auf kurzfristige Strömungen hinweist, kann es durchaus positiv für ein Unternehmen sein, diese zu erkennen und frühzeitig darauf zu reagieren. Beispielsweise halte ich es für sehr spannend, aktuelle Entwicklungen, die sich in ganz anderen Bereichen wie der Wissenschaft, der Musik und der Kunst international abzeichnen, aufzuspüren und in der strategischen Arbeit zu berücksichtigen.
Natürlich sind der Integration von "trendigen" Elementen in Immobilien aufgrund des Nutzungszyklus Grenzen gesetzt. Ein Gebäude kann schnell zum Problemfall werden, wenn die Architektur sich nicht mehr mit der Haltung eines Unternehmens deckt. Es ist notwendig hier Luft für weitere Entwicklungen und Veränderungsprozesse zu lassen. Der ganze Sektor der temporären Messe-, Ausstellungs- und Eventarchitektur kann hier wesentlich schneller reagieren und ist beispielsweise für die Integration von avantgardistischen Ideen besonders geeignet. Corporate Architecture wird hier zu einem Instrument der Differenzierung im Wettbewerb und kann überraschende, bisweilen sogar provokante Erscheinungsformen annehmen. Die Einzigartigkeit der Unternehmenspersönlichkeit findet mit einem markanten und unverwechselbaren Messestand angemessenen Ausdruck. Dies bedeutet keine Abweichung von langfristigen Zielen, sondern ist ein Beweis für die Dynamik und Lebendigkeit einer Marke. Corporate Architecture ist eine langfristige Strategie, die das Potenzial besitzt, Trends zu setzen und eine kulturelle Leitfunktion zu übernehmen. Interview: Anja Müller

m+a report Nr.1 / 2005 vom 11.02.2005
m+a report vom 11. Februar 2005