Jeder soll mit jedem kommunizieren

Immer mehr Messegesellschaften wollen ihre Kunden mit Online-Communitys stärker an sich binden. Die Kosten für das neue Tool sollen die Aussteller tragen.

Wem zum Thema Online-Community nur die Flirtseiten von dating.de und flirtscout24.de einfallen, hat seine Rechnung ohne die deutsche Messeindustrie gemacht. So richten immer mehr Messen auf ihren Homepages eigene Communitys ein. Allerdings findet man hier weniger den Partner fürs Leben (obwohl auch das nicht ausgeschlossen ist), sondern den Partner fürs Geschäft. "Das vorrangige Ziel der Communitys ist das Business-Matching zwischen Ausstellern und Besuchern", sagt Robert Drblik, Geschäftsführer des Dienstleisters NGN, der die Communitys für die Messe Berlin betreut.

Vor dem Hintergrund der immer kürzeren Verweildauer von Besuchern auf Messen sei es heute extrem wichtig, schon im Vorfeld des Veranstaltungsstarts genau zu wissen, wann man sich wo mit wem trifft, sagt Drblik. Eine Community sei dazu das Tool schlechthin. Aussteller können sich hier nicht nur ein- oder zweimal im Jahr präsentieren, sondern stellen hier auch zwischen den Messeterminen ihre Produkte online vor. Der Besucher kann so unabhängig vom Event wichtige Produkt- und Brancheninformationen sammeln. Und vor allem kann er schon vor der Messe genau festlegen, welches Produkt er sich während der Messe ansehen möchte und mit welchen Personen er sich treffen will.

Eine gute Sache, haben sich unter anderem die Messen Berlin, München und Düsseldorf gesagt. Wer über ihre Homepages surft, trifft schnell auf die Branchengemeinschaften im Netz. Allein die ispo hat acht Kerncommunitys für ihre Kunden eingerichtet. "Die umfangreichste Produktdatenbank, die es im Bereich Sport gibt", beschreibt Peter Knoll, Exhibition Director der ispo, seine Plattform. Hinzu kommen aktuelle Branchennews - in acht Sprachen und abgestimmt auf die jeweiligen Interessensschwerpunkte in den Ländern. "Schließlich interessiert sich in Südeuropa niemand für Inline-Skating und Nordic Walking." In Deutschland sind das aber zurzeit die Boomthemen.

Der Drang der Messen ins Netz hat seinen guten Grund: Die Unternehmen wollen Themen besetzen, Aussteller und Kunden näher an sich binden und den Messebesuch noch effizienter machen. "Wir sehen uns schon lange nicht mehr als reine Quadratmeterverkäufer, sondern begleiten den Markt das ganze Jahr und schaffen Transparenz", sagt Knoll. "Was wir als Messeveranstalter verkaufen, ist Kommunikantion", ergänzt Olaf Freier, Geschäftsführer bei Hinte, der für seine Geodäsie-Messe Intergeo ebenfalls ins Community-Geschäft eingestiegen ist: "Jetzt machen wir das auch über unseren Internetauftritt."

In die Kannibalisierungsdebatte wollen die Community-Macher nicht schon wieder einsteigen: "Eine Messe wird sich nie durch ein anderes Tool ersetzen lassen", wiegelt Freier ab. Und Drblik meint sogar, dass Besucher durch die schmackhaften Produkt-Teaser im Netz erst richtig Lust auf das eigentliche Event bekommen. "Die Besucher werden so noch neugieriger auf die Veranstaltung. Die Zurückhaltung von Informationen im Vorfeld der Messen ist deshalb falsch - Messen müssen zu dauerhaften Informationsprovidern werden."

Infos, Infos, Infos heißt es entsprechend in den Communitys. Allerdings soll nicht jeder alles bekommen. Freier setzt bei der Intergeo auf die gezielte Versorgung der User mit Information. So soll möglichst jeder ein Profil mit seinen Interessen auf der Plattform hinterlegen. In einem regelmäßigen Newsletter bekommt der User dann mindestens einmal pro Monat Produktinformationen zugesendet - und zwar nur zu Themen, die ihn interessieren. Ispo-Mann Knoll setzt hingegen auf die Schrotschusswirkung und schickt einmal pro Woche eine Mail mit Infos an alle raus.

Viel hilft viel ist auch das Motto der von Drblik gemanagten Communitys. So sollen nach seinem Modell, das neben der Messe Berlin auch Hinte einsetzt, alle Aussteller einer Messe für die Community zwangsverpflichtet werden. In Berlin müssen so beispielsweise alle Aussteller eine obligatorische Gebühr von 299 bis 499 EUR pro Messe für ihren Community-Auftritt zahlen. Allerdings bekommen sie etwas für ihr Geld: Das 25-köpfige Team Drbliks ruft alle drei Monate bei den Unternehmen an und lässt sich mit Informationsmaterial versorgen. Kommuniziert wird in 17 Sprachen und Drbliks Leute nehmen alles, was sie kriegen können: Prospekte, Faxe, Loseblattsammlungen, Fotos, CD-Roms - Hauptsache Informationen. Diese setzen sie möglichst einheitlich auf der Homepage um, so dass jederzeit eine aktuelle Vergleichbarkeit besteht.

Die zwangsweise Geldabgabe ist auch die größte Hürde, die Drbliks Konzept bei den Gesprächen mit den Messeveranstaltern nehmen muss. Zwar kostet die Messen eine Community-Eröffnung so gut wie nichts, doch überlegen es sich die Messechefs in Zeiten rückläufiger Budgets gut, ob sie ihren Kunden tatsächlich neue Abgaben aufbürden sollen. "Die Gebühr ist notwendig", rechtfertigt Drblik: "Ohne sie verspürt der Kunden keine Priorität die Informationen bereitzustellen." Und der Content sei das alles Entscheidende: Denn nur aktuelle Informationen ziehen die Leute auf die Plattform und nur wenn genug Traffic auf der Website herrscht, kann auch "gematcht" werden. Bei der ispo dürfte das jedenfalls kein Problem sein: Knoll zählt von September 2003 bis zum August dieses Jahres 43 Millionen Page Impressions, also Seitenabrufe durch die User.

Für seine Community-Mitglieder hat sich der Bayer aber auch ein paar ganz besondere Schmankerl einfallen lassen. So bekommt jeder Kunde einen eigenen Mitgliedsausweis. Mit dem kann er sich nicht nur während der Messen in speziellen Lounges tummeln, auch außerhalb des Messezentrums ist die Karte etwas wert. So bekommen die Inhaber beispielsweise 50 % Preisnachlass beim Besteigen der Zugspitze, es gibt Ermäßigung beim Autoverleiher Europcar und eine Vielzahl von Hotels und Gastronomien in und um die Biergartenmetropole gewähren Sonderpreise.

Auch Freier glaubt, dass die Vernetzung mit der Offline-Welt der richtige Weg ist. So will auch er bei der nächsten Intergeo eine Mitgliederlounge einrichten. Zudem sollen alle Produkte, die in der Produktdatenbank recherchierbar sind, auf der Messe gekennzeichnet werden. "Wir wollen das Tool aber noch weiter entwickeln", sagt der Hinte-Geschäftsführer und stellt in Aussicht, zukünftig Live-Mitschnitte von der Messe auf die Online-Plattform zu transportieren. Auch ein Diskussionsforum soll es geben. Eine Idee, die auch Knoll interessant findet. Er kann sich vorstellen, spezielle zugangsgeschützte Areale zu schaffen, in denen sich Teilnehmer über Branchenprobleme austauschen können. Da Knoll für sowie mit Fachzeitschriften zusammenarbeitet, könne er sogar eine Jobbörse auf seiner Homepage installieren. Allerdings will er es sich nicht mit den kooperierenden Medienpartnern verderben. Diese würden schließlich nicht alle himmelhoch jauchzen, wenn ihnen auf diese Weise die Anzeigenkunden flöten gingen.

Die technische Umsetzung der vielen Tools ist, so Knoll, relativ einfach. Schwerer sei es, Akzeptanz für die neuen Möglichkeiten zu schaffen. Immerhin seien nicht alle Messebesucher Anfang 20 und mit dem Internet aufgewachsen. Auch die Berliner wissen, dass die schöne neue Welt nichts wert ist, wenn sie keiner mehr durchblickt. Ihre Lösung ist eine virtuelle Hostess, welche die neuen Möglichkeiten online überraschend praxisnah erklärt. Freier hat auf seine gerade erst gelaunchte Community schon mit der Aussteller-Anmeldung aufmerksam gemacht. Bereits 80 % der Firmen und weitere 600 bis 800 Nutzer haben sich nach seinen Angaben registriert. Seine "Vision" hat Freier aber noch nicht ganz erreicht: "Wir wollen Moderator der gesamten Branche werden!" Markus Ridder

m+a report Nr.6 / 2004 vom 24.09.2004
m+a report vom 24. September 2004