Ideenzündstoff par excellence

Zur Freude aller Kreativen wird der Markt der Materialentwicklungen, -verbindungen und neuen Anwendungs- und Kombinationsmöglichkeiten immer spannender.

War Aluminium im 19. Jahrhundert aufgrund seiner Seltenheit so kostbar und teuer wie Gold, so hat sich dieses Metall mittlerweile zum High-Tech-Material entwickelt und steht wie kein anderes für Innovation. Oder Glas: Wurde es vor mehreren tausend Jahren nur für Gefäße eingesetzt, so war es doch dieser Werkstoff - verändert und in ultradünne, biegsame Fasern umgeformt -, der heute Licht über Tausende von Kilometern übertragen kann und die moderne Kommunikation überhaupt erst ermöglicht hat. Auch Polypropylen, das man bereits seit den 50er Jahren für Formteile verwendet hat, ist erst in den letzten zehn Jahren als Flachbogenmaterial genutzt worden.
Was die Entwicklung und Weiterentwicklung von Material auch im Alltag bedeutet, zeigt sich an einem neueren Beispiel: Laut einer Studie von Mercer Management Consulting und der HypoVereinsbank werden die heute in der Automobilindustrie verwendeten Werkstoffe durch Innovationen zu einer deutlichen Gewichtsreduzierung von derzeit 1400 auf 1150 kg in den Fahrzeugen bis zum Jahr 2010 führen. Die Folgen: weniger Gewicht, weniger Energie, weniger Kosten.

Das Potenzial der innovativen Werkstoffe von heute führt zur Entwicklung neuer Technologien - Metall wird gestrickt, Keramik spritzgegossen und Holz geschäumt. Dabei geht es aber auch um die Erforschung von neuen Anwendungsbereichen. Wenn ein Pylon in der Lage ist, sich zu seiner ursprünglichen Form zurückzubilden, nachdem ein Zehntonner darüber gefahren ist, worin besteht dann das Potenzial dieses Materials - Polyethylen - in einem anderen Zusammenhang? (Quelle: Christ Lefteri: "Kunststoffe") Oder Bambus. In einigen Ländern wird jede Faser dieses Holzes verarbeitet, sei es für Textilien oder für den Häuserbau. Aber dass man daraus auch Sportgeräte machen kann, hätte sich bis zur Präsentation der neuen Ski von Bogner wohl kaum jemand vorstellen können. Und auch die nahtlosen Schaumstoffschalen für BHs gibt es erst, seitdem Autohersteller ein Verfahren für das Pressen von Armaturenbrettern erfunden haben.

Die Weiterentwicklung bestimmter Technologien führt zu erstaunlichen Kombinationen - im folgenden Fall zwischen Mikroelektronik und Teppichboden - und beschert uns demnächst sogar einen "Intelligenten Teppich". Denn Vorwerk und Infineon weben gemeinsam an der Zukunft. Ende 2004 ist es soweit. Das Konzept zur Integration von Mikroelektronik in textile Flächen hat Infineon erstmals im Mai 2003 vorgestellt. Ein sich selbst organisierendes Netzwerk von robusten Chips in textilen Bodenbelägen macht es möglich: Sensoren zur Überwachung von Druck, Temperatur oder Vibration lassen einen Teppichboden zum Beispiel zum Bewegungs- oder Feuermelder werden oder steuern Klima- und Alarmanlagen. Eingewobene Leuchtdioden machen den Boden zum flexiblen Wegweiser oder Werbeträger.
Johannes Schulte, Vorsitzender der Geschäftsführung der Vorwerk Teppichwerke: "Wir sind davon überzeugt, dass die Integration von Mikroelektronik im Teppichboden ein innovativer und Erfolg versprechender Schritt ist." Fachleute der Branche, Gestalter und Architekten sehen in dem Projekt eine interessante Entwicklung, die zukünftige Bau- und Gestaltungsplanungen beeinflussen könnte. Installationen, die heute in Decken oder hinter Wandverkleidungen verborgen sind, könnten künftig durch neue Bodenlösungen ersetzt werden. Doppelbodenkonstruktionen, zusammen mit einem Teppichboden, der beispielsweise die Aufgaben von Temperatursteuerungs- oder Bewegungsmelderfunktionen übernimmt, könnten hier wegweisende Lösungen sein.
Noch erstaunlicher klingt das folgende Szenario: Unter der Dusche spielen die Badezimmerfliesen Händels Wassermusik und der Rauputz erbebt unter Dinosauriergetrampel. Und das ohne Lautsprecher. Entwickelt wurde das Wunderwand-Raumklangsystem vom Polyurethan-Spezialisten Purben GmbH in Kooperation mit der Siemens AG und der Bayer MaterialScience AG, einem der größten Kunststoffproduzenten der Welt. Die nur wenigen Millimeter dünnen Soundboards werden in die Wand versenkt. Anschließend kommen Tapete, Rau- oder Feinputz, Fliesen oder auch Marmor darauf. Durch eine Schwingspule wird die Fläche in Biegewellenschwingungen gebracht.

Materialien stehen auch immer häufiger im Mittelpunkt von Messen und Ausstellungen. Der hohe Stellenwert des Themas zeigt sich beispielsweise am extremen Besucheranstieg der Materialica in München: Die Steigerungsrate zwischen 2002 und 2003 betrug über 500 %! Und bereits weit vor Anmeldeschluss haben mehr Unternehmen als in den letzten Jahren ihre Teilnahme an der Materialica 2004 (21. bis 23. September) zugesagt. Die Veranstaltung hat sich in den letzten Jahren von einer forschungsorientierten Werkstoffmesse zu einer anwendungsorientierten Zuliefermesse entwickelt. Wie im vergangenen Jahr wurde auch diesmal wieder der Materialica Design Award, ausgelobt von der Munich Expo GmbH, vom iF International Forum Design organisiert.
23 Beiträge wurden ausgezeichnet, einer davon ist ContiVitroflex R der ContiTech Elastomer-Beschichtungen GmbH, Northeim. Dieser flexible, transluzente Verbundwerkstoff aus lichtstabilem Synthesekautschuk und Glasfasergewebe wird in einer Basisvariante bereits für mobile und temporäre Bauten eingesetzt. Das Material zeichnet sich durch Reißfestigkeit, Witterungsbeständigkeit und eine Schmutz abweisende Oberfläche aus und kann überall als eine Art "flexibles Glas" eingesetzt werden.

Da die Werkstofftechnik für die Industrie immer wichtiger wird, hat auch die VDI-Gesellschaft für Werkstofftechnik einen Preis für innovative Werkstoffanwendung ausgeschrieben. Denn Werkstoffe oder Oberflächen mit einem gezielt entwickelten Anwendungsprofil haben einen entscheidenden Einfluss auf die Realisierbarkeit und auf die Wettbewerbsfähigkeit von Produkten und Unternehmen. Die Umsetzung dieses Wissens stellt Ingenieure und Naturwissenschaftler in der Entwicklung, Konstruktion, Fertigung und Qualitätssicherung ständig vor neue Herausforderungen, die nur in enger Zusammenarbeit von Werkstoffherstellern, Verarbeitern und Anwendern gelöst werden können.
Die E3S, die European Solid Surface Show & Engineered Stone Exhibition, wird sich im November in Bad Salzuflen auf einen Teilbereich konzentrieren: auf moderne Oberflächenmaterialien.

Apropos Oberflächen: Sie werden immer intelligenter, können Staub abweisen, Barrieren gegen unerwünschte Stoffe bilden oder empfindliche Materialien vor Umwelteinflüssen schützen. Dafür werden Kunststoffoberflächen entweder mit speziellen, für das gewünschte Produkt maßgeschneiderten optischen, chemischen oder elektrischen Eigenschaften versehen oder bereits vorhandene Werkstoffe mit Funktionspolymeren beschichtet. Im Themenverbund "Polymere Oberflächen", POLO, erarbeiten Wissenschaftler von sieben Fraunhofer-Instituten neue Anwendungen für die Oberflächentechnik. Ziel ist es, zusammen mit Partnern aus der Industrie technische Möglichkeiten zu schaffen, leistungsfähige und innovative Produkte in großen Stückzahlen leicht, flexibel und kostengünstig herzustellen.
Der INM-GmbH (Institut für Neue Materialien), Saarbrücken, ist es gelungen, eine Beschichtung zu entwickeln, die auf allen denkbaren Materialien angewendet werden kann, auch auf Kunststoffen, und so einfach herzustellen ist wie eine normale Lackierung. Selbst reinigende und Keim tötende Oberflächen gibt es zwar schon, aber die bisherige Technik dafür ist aufwändig und ließ sich bislang auf Kunststoffen kaum nutzen. "Diese technologische Komplettlösung macht weltweit außer uns bislang niemand", so Helmut Schmidt, Geschäftsführender Direktor des INM.

Auch immer mehr Datenbanken, Institutionen, Unternehmen und weitere Einrichtungen befassen sich mit diesem spannenden Markt, bilden sogar wie im Fall Vorwerk/Infineon Kooperationen oder gründen Offensiven. So hat sich beispielsweise die Bayer MaterialScience AG zu einer Innovationsoffensive entschlossen. Kern des Konzepts ist ein Creative Center, in dem sich Experten des Unternehmens gemeinsam mit Kunden, Zukunftsforschern, Designern und Vertretern von Universitäten als Trendscouts betätigen. Ein aktuelles Beispiel liefert die so genannte Smart Surface Technology. In enger Zusammenarbeit mit der Lumitec AG haben die Entwicklungen schließlich zu den ersten dreidimensional formbaren, leuchtenden Kunststoffteilen geführt. Im Zuge der Entwicklungen stellte sich heraus, dass sich die leuchtenden Kunststoffteile auch als Signalflächen auf Kleidungsstücken eignen - und sogar "Licht ins Dunkel" bringen können. Interessanterweise hat der Lederwarenspezialist BREE die Idee aufgegriffen und bietet die ersten Damenhandtaschen mit "Innenbeleuchtung" an.
Andere zukunftsweisende Entwicklungen der Bayer MaterialScience AG betreffen Lacke, bei denen nicht nur die Optik, sondern auch die Haptik höchsten Ansprüchen gerecht wird. Kunden fragen verstärkt nach Produkten, bei denen die Berührung der Oberfläche positives Empfinden auslöst, wobei in der Regel ein warmer, samtiger Touch auf der Wunschliste ganz oben steht. Erreicht wir dieser Effekt unter anderem durch nanoskalige Siliconpartikel.

Das Münchener Designbüro designafairs hat in diesem Jahr gemeinsam mit Bayern Design und den Ausstellungspartnern des Colour & Material Lab "Material Talks" ins Leben gerufen. In dieser Gesprächsreihe steht die Wechselwirkung von Materialinnovationen und Industrial Design im Mittelpunkt. Im Dialog und Zusammenspiel mit Herstellern, Entwicklern und Designern sollen Gestaltungsräume diskutiert und aufgezeigt werden, die durch die Zusammenarbeit von Materialinnovatoren und Kreativen stimuliert werden. Einer der Partner des Colour & Material Lab, plan+b, eine Beratungsfirma für innovative Oberflächen, bringt Anbieter und Nachfrager von ausgefallenen Werkstoffneuheiten zusammen. Das Münchner Unternehmen hat beispielsweise die Generalvertretung in Deutschland für die Weltneuheit "Laminam", einen Porzellanlaminat für Möbeloberflächen und Wandverkleidungen der gleichnamigen italienischen Firma, übernommen. "Wir wollen Oberflächen tragen und keine Gewichte", beschreibt Pier Paolo Prodi, Geschäftsführer der Laminam S.r.l., diese Weltneuheit. Die Keramikplatte im Modulformat von 1000 x 3000 mm ist 3 mm dünn und ein echtes Leichtgewicht.

Das Berliner Unternehmen Modulor hat seit Jahren Informationen zu neuen Werkstoffen gesammelt und verfügt heute über ein umfangreiches Know-how zu diesem Thema. Christoph Struhk, Geschäftsführung: "Um dieses Wissen unseren Zielgruppen in Architektur und Design zugänglich zu machen, haben wir zusammen mit der Firma Stylepark das Unternehmen Materialworks gegründet." Unter www.materialworks.com bietet es ab Anfang 2005 die Möglichkeit, in einer Datenbank Materialien nach ihren Eigenschaften zu suchen und anschließend mit Herstellern in Kontakt zu treten. Darüber hinaus erhält der User die Möglichkeit, Muster der aufgeführten Materialien zu bestellen. Materialworks.com ist bereits seit Ende Juni 2004 online und hält schon jetzt viele interessante Informationen bei der Suche nach dem richtigen Material für einen bestimmten Anwendungszweck bereit.

Materialatlas.com ist eine Datenbank im Internet, in der - nach Kapiteln gegliedert - die Materialien Gläser, Hölzer, Kunststoffe, Natursteine und Putze vorgestellt werden. Hier finden sich Gläser mit Energie sparenden Effekten und Putze mit dreidimensionalen Oberflächen. Christiane Ern, Architektin im Team materialatlas: "In unserer Datenbank befinden sich über 300 Materialien für den Innen- und Außenbereich für das Bauwesen. Dabei haben wir sowohl neue Materialien aufgenommen als auch ganz traditionelle oder alte, die heute schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Auf Grund der Anforderungen für den Messebau sind Materialien aus dem Bereich der Kunststoffe sehr interessant, zum Beispiel hochstabile Waben- und Röhrenplatten mit guten akustischen Eigenschaften." Das Polyurethan-Gel Technogel R beispielsweise ist eine neue Entwicklung im Bereich der elastischen Kunststoffe. Es zeichnet sich durch eine hohe Dehnbarkeit und sehr gute Druckverteilung aus und kann sich unter Belastung dem Körper extrem gut anpassen. Polyurethane sind gut einfärbbar, lichtstabil und hautverträglich und können in beliebige Formen und mit anderen Materialien vergossen werden.

Und auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Zeichen der Zeit erkannt: Es wird über 250 Millionen EUR in die Entwicklung neuer Werkstoffe investieren. Anlässlich der internationalen Werkstoff-Tage in Weimar präsentierte der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Matschie das neue Förderprogramm WING (Werkstoffinnovation für Industrie und Gesellschaft). "Mit WING stärken wir die Innovationskraft der deutschen Industrie", so Matschie. "Praktisch jedes neue Produkt basiert auf einer Weiterentwicklung von Werkstoffen. Mit unserer Innovationspolitik greifen wir neueste Forschungsergebnisse und Ideen der Werkstoffentwicklung auf und stoßen die Entstehung neuer Produkt an." Angela Wiegmann

m+a report Nr.5 / 2004 vom 13.08.2004
m+a report vom 13. August 2004