Aller Anfang ist schwer

Das Online-Ticketing (E-Ticketing) im Messewesen steckt noch in den Kinderschuhen. Besucher nutzen diesen Service selten. Fehlt den Kunden der Anreiz?

Die Unternehmen der Old Economy haben wieder das Zepter übernommen. Man könnte fast meinen, es ist nichts von der viel beschworenen Online-Philosophie übrig geblieben. Und doch hat sich die Welt verändert. Experten setzen die Bedeutung der Entwicklung des Internets der der Dampfmaschine gleich. E-Commerce ist eine der Säulen der heute sehr erfolgreichen Net-Economy. Einige Branchen wie der Personentransport, die Touristik und das Veranstaltungswesen setzen mit Online-Ticketing auf den Vertriebsweg Internet.

So investiert auch die Mehrheit der großen Messegesellschafen und -veranstalter im Rahmen ihrer Multichannel-Vertriebsstrategie in Richtung Besucher in Online-Ticketing. Messebesuchern wird der Kauf der Eintrittskarte über das Medium Internet angeboten. Was so simpel klingt, ist hoch komplex. Die Tücken und Herausforderungen liegen wie immer im Detail. Stichworte: Sicherheit beim Bezahlen im Netz sowie die Abstimmung mit den Systemen der Einlasskontrolle und Datenbanken. Grundsätzlich ist Online-Ticketing so aufgebaut, dass der Käufer nach Aufruf der Messe-Homepage die Ticketseite öffnet. Hier werden die zum Kauf notwendigen Daten wie Name, Firma, E-Mail-Adresse eingetragen (Registrierung), das Ticket ausgewählt (Warenkorb) und die gewünschte Zahlungsart akzeptiert. Die Zahlung kann meist unterschiedlich erfolgen, online (E-Payment) via Kreditkarte bis hin zur traditionellen Form nach Rechnungsstellung oder per Nachnahme. Wird das Ticket per Post zugesandt, erhält der Käufer im Anschluss zum Buchungsvorgang eine E-Mail-Bestätigung. Bei alternativen Systemen kann der Käufer das Ticket mit einem 2-D-Barcode sofort selbst ausdrucken (PDF) - echtes Online-Ticketing.

In der Praxis zeigen sich bei genauer Betrachtung große Unterschiede. Festzustellen ist, dass nicht alle Messegesellschaften Online-Ticketing und nur wenige den Service für alle ihre Messen anbieten. "Die Koelnmesse plant den Start für ihren Besucher-E-Shop im Frühjahr 2005", sagt Guido Gudat, Unternehmenskommunikation/PR.
Besonders kreativ sind die Verantwortlichen der Messe Berlin. Neben dem Kauf der Tickets über die Homepage der Messe Berlin ist auch der Abruf von Gastkarten in so genannten Gutscheinshops der Aussteller für den Besucher möglich. Bei allen individuellen Shops bieten die Berliner durchdachte Extras wie zum Beispiel die kundenwunschbezogene Gestaltung der Texte auf den Webseiten und dem Ticket.
"Wir haben Online-Ticketing seit 2002 für alle Fachmessen, Messen mit Fachbesucheranteil und diverse Gastveranstaltungen eingerichtet", so Dietmar Klöcking, Leiter Information Technology der MB Capital Services GmbH, einer Tochter der Messe Berlin. "Zu den Vorteilen für die Besucher gehört die Möglichkeit zum Ticketkauf noch am Besuchstag. Ein Namensbadge ist beim Ausdruck des Tickets gleich dabei", ergänzt Klöcking. In Berlin sind E-Tickets via PDA oder Handy optional mit dem eingesetzten System bereits möglich und werden zukünftig auch angeboten.
Eine außergewöhnliche Umsetzung findet der Besucher bei der Messe Essen vor. Das gesamte Ticketing wurde outgesourct. "Aus Rentabilitätsgründen kam eine hauseigene Lösung bisher nicht in Frage. Ein reibungsloser Ablauf, eine fehlerfreie Logistik und ein sicheres Bezahlsystem werden von den beiden beauftragten Ticketing-Profis Eventim und Ticketcorner gewährleistet", so Stefan Hannen, Leiter Unternehmenskommunikation der Messe Essen.

Grundvoraussetzung für Online-Ticketing ist die Verfügbarkeit von PC/Laptop und Internetzugang. Laut einer Studie (2003) des Statistischen Bundesamtes besaßen 71 % der deutschen Unternehmen und 70 % der Haushalte einen Computer. Davon verfügten 62 % der deutschen Unternehmen und 44 % der Haushalte über einen Internetzugang. 24 % kauften und 8 % der Unternehmen verkauften über Internet. Lediglich 1 % des Gesamtumsatzes und -aufwandes wurde in deutschen Unternehmen mit E-Commerce erzielt! Die privaten Internetuser sind etwas aktiver: 45 % kauften zumindest einmal online ein.
Deutschland liegt bei der PC-Verfügbarkeit und Anzahl der Internetanschlüsse im europäischen Durchschnitt. Im internationalem Vergleich führt Dänemark vor Großbritannien, Schweden, Norwegen und Finnland laut der Studie "E-Readiness" (64 Nationen umfassend) der EIU Economist Intelligence Unit vom April 2004. Weitere Platzierungen: USA (6), Singapur (7), Hongkong (9), Schweiz (10), Deutschland (13), Österreich (15), Estland (26) und China (52).

Schätzungsweise nutzen bei Messen mit Online-Ticketing-Angebot rund 3 % aller Messebesucher in Deutschland diesen Service. Im Vergleich dazu liegt der Gesamtanteil an Online-Ticketing in Deutschland bei durchschnittlich 10 % (112 EUR je Einkauf). Die Messe Düsseldorf meldet 5 % bei der drupa 2004. Die Messe Berlin freut sich bei der ITB nach 0,3 % in 2003 über 6 % Online-Tickets 2004. Hamburg liegt bei 2 bis 3 % (Online-Ticketing wird nur bei wenigen Messen eingesetzt).
Steigende Tendenz verzeichnet die Messe Schweiz. Eine überdurchschnittliche Akzeptanz meldet Reed Exhibitions Österreich mit 15 % Online-Tickets bei allen Reed-Messebesuchern in Österreich.

Zufriedenheit wird von den Messegesellschaften kommuniziert. Aber geben diese Zahlen im Benchmarking mit anderen Branchen wirklich Anlass zur Freude? Net-Economy-Gewinner wie amazon.de und eBay haben sich auf E-Commerce erfolgreich spezialisiert und erzielen Millionenumsätze. Personentransport- und Touristikunternehmen verkaufen bis zu 50 % ihrer Tickets per Internet. Nicht ohne Komplikationen, aber besonders erfolgreich lief die Einführung des Online-Banking in Deutschland. Finanzdienstleister haben es in kürzester Zeit als Alternative zur persönlichen Kundenbetreuung beim Standardgeschäft durchgesetzt. Trotz Sicherheitsmängeln und Unwegsamkeiten nutzten 2002 laut Statistischem Bundesamt bereits 475 000 deutsche Unternehmen (40 %) sowie 20 Mio. Privatpersonen (27 %) Online-Banking.

Nur bedingt können diese Beispiele auf das Messewesen übertragen werden. Flugpassagen und Konzertplätze sind grundsätzlich knappes Gut. Die Kunden fühlen sich hier durch die Kombination aus Verfügbarkeit und vor allem die lukrativen Preisvorteile angesprochen. Die Faktoren Kapazität und Schnäppchenpreise spielen im Online-Buchhandel keine Rolle. Amazon.de bietet den Vorteil des allzeit bereiten Homeshoppings in Kombination mit schnellen Suchergebnissen inklusive Kundenbewertungen und Empfehlungen. Die Beispiele zeigen: Online-Ticketing muss einen Kundennutzen bieten.
Warum also soll ein Messebesucher sein Verhalten ändern und den Eintrittskartenschalter vor Ort mit dem PC im Büro oder zu Hause tauschen? Die Messegesellschaften setzen auf Bequemlichkeit, Flexibilität, integrierte Leistungsangebote (Reise/Unterkunft, Katalog), Preisvorteile und Zeitersparnis. Sie sprechen damit bestimmte Gruppen an wie Schnäppchenjäger, organisierte Manager, Anhänger von Pauschalangeboten, Gruppenorganisatoren und Internet-affine Besucher. Der Anteil an Online-Tickets zeigt jedoch, dass die Mehrheit der Besucher die Anreize entweder nicht kennt - oder diese nicht als ausreichende Vorteile versteht (Verfügbarkeit von PC und Internet vorausgesetzt).

Es bleibt spannend: Zahlenmäßig wird sich das Verhältnis von PC-/Internetverfügbarkeit zu Online-Ticketing weiter verbessern. Damit können sich die Messegesellschaften schon heute bei gleich bleibendem Kundennutzen und Aufwand auf steigende Zahlen bei Online-Tickets freuen. Für eine wesentliche Steigerung in diesem Bereich müssen die Messegesellschaften jedoch aktiver werden.
Ein große Hürde liegt in der Psychologie der Besucher bei Themen wie sichere Bezahlsysteme und glaubwürdiger Datenschutz. Hier sind die Messegesellschaften von der allgemeinen Stimmung und Entwicklung, aber auch von der Kompetenz ihrer Ticketing-Partner abhängig.
Ein wichtiger Faktor verändert sich täglich: die Technologie. Steckt das Messewesen beim Online-Ticketing heute erst in den Kinderschuhen, entwickeln innovative IT- und Telekommunikationsunternehmen bereits die nächsten Generationen, zum Beispiel Mobile-Ticketing. Die große Frage ist, wie Messegesellschaften mit diesem Innovationstempo umgehen werden. Der wesentliche Erfolgsfaktor wird aber immer der Nutzen der Besucher beim Online-Ticketing sein. Christian Mayerhofer

m+a report Nr.4 / 2004 vom 11.06.2004
m+a report vom 11. Juni 2004