Stoff der Zukunft

Stoff ist ein entwicklungsträchtiger Baustoff, der neue Türen im Gestalten von Messeständen öffnet: leicht und praktisch, vielfältig und inszenierbar.

Ob räumliche Strukturierung oder Besucherführung, ob gewünschte Transparenz oder Hintergrund für Projektionen oder Lichtinszenierung: Jedes Bedürfnis lässt sich mit modernen textilen Materialien erfüllen. Dabei kommt dem Ergebnis eine eigene, Emotionalität ausdrückende Komponente zugute.
Jürgen Bahls, Geschäftsführer von Zeeh Bahls & Partner Design, Diessen-Ammersee, misst der Bedeutung textiler Materialien im kreativen Messebau eine zunehmende Bedeutung bei: "Wie mit fast keinem anderen Baustoff lässt sich jede beliebige Form herstellen, die in vielen Bereichen eine neue Formensprache ermöglicht. Hierfür wird derzeit eine breite Produktpalette, für spezifische Einsatzgebiete, angeboten. Die Entwicklung von immer leistungsfähigeren CAD-Programmen ermöglicht den Entwerfern diese Formensprache für sich zu gewinnen. Modernere Materialien und Weiterentwicklungen von Systemlösungen in der Umsetzung zeigen einen klaren Trend an. Die Zukunft der textilen Architektur hat gerade erst begonnen."
Welche Möglichkeiten im Textilen stecken, weiß Bahls aus eigener Erfahrung: "Der Baustoff ,Textile Konstruktionen' bildet neben den traditionellen Baustoffen sicherlich eine eigene Sparte, in Formensprache und Umsetzung. Grundprinzipien hierfür sind Rahmenkonstruktionen oder Seilstrukturen, über die Stoffe gespannt werden. Mittels moderner Vorkonfektionierung des Materials lassen sich oft alle Zuschnitte vorbereiten. In kürzester Zeit aufgespannt, sind die Oberflächen meist jetzt schon im fertigen Zustand. Lediglich sehr komplizierte Details werden noch vor Ort gefertigt und montiert. Diese zügige Montage spart Zeit und Geld."
Der Trend nach leichter, lichter Bauweise mit ausgefeiltem Lichtkonzept ruft geradezu nach dem soften, flexiblen Material. Dreidimensionale Gebilde werden durch Licht zum Leben erweckt und eröffnen vielerlei Ausdrucksmöglichkeiten. "Der Umgang mit Licht ist ebenso ein wesentliches Element textiler Architektur", erklärt Bahls weiter. "Es kann Stoffe in farbig leuchtende Flächen verwandeln oder mit entsprechender Ausrichtung transparente Flächen schließen. Mit all diesen Eigenschaften sind Textilien auf dem besten Weg eine feste Größe in der Messearchitektur zu werden."

Transparenz war das buchstäbliche Thema des Siemens-Auftritts auf der Hannover Messe 2004 im April, realisiert von Zeeh Bahls & Partner zusammen mit luxoom, Berlin, und Publicis, Erlangen. Im Zentrum standen vier transluzente, vielflächige Körper, die "transparente Fabrik". Mit Lasergaze bespannte Stahlskelettkonstruktionen bildeten eine durchlässige Haut. Durch die Durchlässigkeit des Materials wurde auch der Mensch neben der Technik als ein Bestandteil der Fabrik wahrgenommen. Durch die Gaze hinweg konnten außerdem Showeinlagen beobachtet werden.
Im hinteren Standbereich bildeten mit schwarzem Stoff abgespannte Infrastrukturblöcke den Rahmen der Bühne. Darüber erhob sich eine weitläufige Kommunikationsebene, die über zwei großzügig angelegte Treppenanlagen erschlossen wurde. Die mit weißem Stretchstoff bespannten Außenwandflächen entwickelten sich sowohl in der Neigung als auch in der Höhe und bildeten mit den Treppenanlagen ein Raumkontinuum. Das leichte, flexible Material erfüllte dabei die Anforderungen der Zeit: Es reagierte auf sich verändernde Determinanten mit Anpassungsfähigkeit und Wandelbarkeit. Die harte Ausleuchtung der matten Oberfläche spielte mit Licht und Schatten.

Auf Textil setzte auch Loewe auf der letzten IFA in Berlin. Glasfaservorhänge trennten die Erlebnislounges vom Zentrum ab - ohne die Sicht auf das Gesamtgeschehen zu versperren. Sie vermittelten dem Besucher zudem ein wohlig-eingesponnenes "cocooning feeling". "Ein Wechsel von freier Sicht auf Imagemotive an den Wänden und Semitransparenz durch vorgelagerte Glasfaservorhänge steigerten zusätzlich die Dramaturgie", so Braun Wagner, Aachen, zum Konzept, das in Kooperation mit KMS Team, München, entstand.
Galeriecharakter entstand durch deckenhohe, semitransparente Motivgazen, die ein räumliches Zentrum und somit einen Raum im Raum bildeten, unterstützt durch eine lichttechnische Inszenierung. Die Gazen griffen jeweils allgemeine Markenthemen von Loewe auf und verwiesen auf die einzelnen Standbereiche, in denen die vertiefende Kommunikation stattfand.

Viel Raum für neue Ideen: Für das Dresdner Bank-Forum "mind Change" im letzten Jahr in Bonn schuf der Karlsruher Veranstaltungsbauer Eins Plus mit der verantwortlichen Agentur add on eventmanagement, Neu-Isenburg, im alten Bundeshaus kommunikative Räume für Workshops und Diskussionen. Transparente Stoffbahnen rahmten diese Räume ein. Hinter jeder der geheimnisvoll beleuchteten hauchdünnen Stoffbahnen führten Gaukler, Tänzer und andere Artisten ihre Künste vor. Nach und nach fielen die Gazeschleier und gaben den Blick frei auf die Darbietungen. Hinter dem letzten Vorhang erschien die Bar. Um sie zu erreichen, mussten die Besucher die Bühne überqueren - und wurden Teil der Show. Die Dramaturgie wurde gemeinsam mit Light & Magic, Hohenstein, erstellt.
Dramaturgie war auch Sinn der textilen Konstruktion bei Siemens auf der CeBIT 2004 in Hannover. Erstmalig unter der Regie von WengerWittmann, Haar, inszeniert, war die Produktpräsentationsshow mit einer interaktiven Mischung aus Tanz, Spiel und Moderation. Besonders spektakulär war dabei eine durchschreitbare Lamellenleinwand, eine technisch aufwändige Installation, durch die die Tänzer hindurch wechselten und so mal vor, mal auf der Leinwand zu sehen waren - von der echten in die Filmwelt und umgekehrt.

Dass ganze Wände aus bielastischem Stoff realisiert werden können, demonstrierte Burkhardt Leitner constructiv, Stuttgart, mit dem eigenen Auftritt auf der MUTEC 2003 in München. Stoffwände gewährleisten kleine Packmaße und geringes Gewicht beim Transport. Eine doppelwandige Konstruktion schafft im Innern genügend Stauraum, ermöglicht aber auch bei multimedialen Ausstellungen die unsichtbare Platzierung von Lautsprechern oder Projektoren, ist doch der Stoff auch für Rückprojektionen geeignet. Präsentationselemente können entweder vorgehängt oder integriert werden, so dass sie den glatt gespannten Stoff nicht deformieren.
Die Verwendung von Textilien braucht sich aber nicht auf Wände und Segel zu beschränken. Ein Spezialist für textile Raumgestaltung ist GEFA-airworxx, ein Unternehmensbereich der GEFA-Flug, Aachen: Luftgefüllte Wandmodule, schwebende Umkleidekabinen, transluzente Gewebe gehören zu ihrem Metier. Ihre Einsatzgebiete sind in der Regel der Laden- und Messebau - vom Designeinzelstück (etwa Pylone oder Raumteiler) über die Raumausstattung (Säulenverkleidung, Deckenkonstruktionen) bis hin zu kompletten Installationen wie begehbare Suppenterrinen oder Messestände. So stammten Teile des Loewe-Standes auf der IFA von airworxx. Dabei benutzt das Unternehmen durchweg hoch reißfeste, extrem belastbare und schwer entflammbare (nach B1) Gewebearten. Neben langer Lebensdauer und kurzer Aufbauzeit locken leichtes Baumaterial und große Mobilität.
Wenn das Bedürfnis nach Offenheit und Kommunikation in der Messepräsentation anhält - wie auch das nach Kosten- und Materialeinsparungen - dürfte Stoff ein wichtiger Stoff der Zukunft sein.

m+a report Nr.4 / 2004 vom 11.06.2004
m+a report vom 11. Juni 2004