Neue Wertigkeit gesucht

Sie sparen Zeit und Geld, sind überall einsetzbar und schaffen modulare Räume. Können Messebausysteme auch dem Wunsch nach mehr Individualität entsprechen?

Unser Messe- und Ausstellungswesen wäre ohne den Systembau gar nicht mehr denkbar. Durch die Vielzahl der Veranstaltungen werden die Auf- und Abbauzeiten immer kürzer, so dass nur eine bis ins kleinste Detail durchdachte Rationalisierung die Anforderungen erfüllen kann.
Seit bald 40 Jahren sind vielfältige Systeme auf dem Markt, um Planung und Abwicklung der Messestände zu vereinfachen und zugleich alle Anforderungen eines Unternehmens zu erfüllen von der einfachen Produktpräsentation bis hin zur aufwendigen Erlebniswelt. Aufbauend auf einem Rastermaß bieten die Systemanbieter mit wenigen Grundtypen einen Bausatz an, aus dem viele Lösungsmöglichkeiten und architektonische Formen entwickelt werden können von einfachen Kuben über Pyramiden und Kugeln bis hin zu raffinierten Baustrukturen und amorphen Gebilden. Große Spannweiten ermöglichen weite Räume, die Freiraum bieten für große Produkte und Produktinszenierungen, für Lounges und Events.
So komplex die Systeme auch sind, so werden auch die Ansprüche, die heute an einen Messestand gestellt werden, immer größer. Im kleinen Maßstab mag es noch um Produktpräsentation gehen, im großen werden längst Unternehmensideen und Markenwelten übersetzt, die zu solch komplexen Standstrukturen führen, dass sie als Form gar nicht mehr erfass- und beschreibbar sind. Und doch sollen auch diese komplexen Stände noch unverwechselbar sein und individuell.
Kann ein Systemstand heute individuell sein? Fragen an die Systemanbieter hierzu zeigen Selbstbewusstsein, aber auch Verwirrung und Verletzlichkeit. Ein heikles Thema, wird doch seit Jahren versucht, die Systeme mit Macht zu verkleiden, zu kaschieren, um sie schamhaft zu verstecken zugunsten einer "individuellen" Messearchitektur, die zugleich aber alle Vorteile des Systembaus hat: kurze Auf- und Abbauzeit, geringes Transportvolumen, Konstruktionsvielfalt, Langlebigkeit, Flexibilität.

Lassen sich individuelle Stände mit Systemen realisieren? Isogon Messebau, Trochtelfingen, spricht von seinen Profilen, die eine Vielfalt an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten anbieten und somit eine gestalterische Freiheit mit System. Auch Hans Bruder von Octanorm, Filderstadt, ist der Meinung, dass es immer vom Planer abhängt, ob er aus dem System einen individuellen Stand entwickelt oder nicht. Das System stelle genügend Möglichkeiten zur Verfügung wie zum Beispiel Spannweiten bis zwölf Meter, Doppelstock, ein System, das in 180 verschiedenen RAL-Tönen zu haben ist, vorgehängte Fassaden aus Glas oder Stoff, Ausfachungen mit vielen verschiedenen Plattenarten und nicht zuletzt auch Zusatzprofile zum Aufclipsen, um das System völlig zu kaschieren.

SYMA in Hilden, der mit zu den ältesten Systemanbietern gehört, hat allein mehr als 250 verschiedene Profile und 500 Zubehörteile im Programm, um unterschiedlichste Bauformen und mehrere Geschosse zu ermöglichen. Es gibt Gitter- und Tragwerkssysteme für Eventtechnik und Modulsysteme, die große Spannweiten erlauben. Und auch sie bieten Möglichkeiten an, Profile auf vorhandene Profilsysteme aufzuclipsen, um zum Beispiel Elemente aus Sperrholz, Glas oder Kunststoff aufzubringen und damit das System zu verbergen.
MilaWall von MBA Modulbautechnik, Reutlingen, ist offenbar der Verkleidungsspezialist für die Systemanbieter. Bis zu 160 Folien stehen zur Verfügung, um Oberflächen dem individuellen CI der Aussteller anzupassen.
Syscon, Hockenheim, bietet für Messestände modulare Tragwerkssysteme an, einfach oder als Doppelstock individual oder in Modulbauweise, die ohne Windverbände bis sieben Meter überbrücken können. Die Stände können auch Rundbauten sein, Rolltreppen oder Aufzüge haben und für den individuellen Touch werden Verkleidungen angeboten.
Mit dem Raumfachwerk von Mero, Würzburg, lassen sich architektonische Formen bauen vom Kubus bis zur Kugel. Neueste Entwicklungen mündeten in biomorphen Strukturen, die der Natur abgeschaut sind wie der "Nautilus", eine konvex-konkave Form, die auf dem M12-Stab-Knoten-System basiert. Daneben schaffen vielfältige Verkleidungen von Glas- über Metallplatten bis hin zu transparenten Projektionsfolien in Krinkleoptik gestalterischen Spielraum.
Ein Beispiel: In der Wanderausstellung "Abenteuer Weltraum" wurden aus der Arcus-Elemantarform offene und geschlossene Teile gebaut und mit Metallplatten verkleidet (Entwurf Rappich Systembau, Callenberg). Für Mero sind System und Individualität kein Widerspruch, sondern bieten Flexibilität und Kompatibilität, bieten ein "Fundament für Visionen".

Expotechnik, Taunusstein, geht mit seinem Sstembaukasten ebenfalls auf die aktuellen Anforderungen ein, die an einen heutigen Messeauftritt gestellt werden: Das Überbausystem bietet eine stützenfreie Überdachung bis zehn Meter, unter der sich ein Aussteller frei entfalten kann. Es bietet aber auch Wandsysteme an, die bis zu einer Höhe von über sieben Metern ohne zusätzliche Stützen auskommen und damit auch gut für Multimediabespielungen geeignet sind. In den Stützen befindet sich die technische Infrastruktur, von den Decken können problemlos Segel, Banner, Displays und anderes abgehängt werden, um individuell auf die Bedürfnisse der Unternehmen eingehen zu können.
So suchte die Lufthansa AG ein modulares System, das unterschiedliche Veranstaltungen weltweit ermöglichte, von Roadshows über Kundenveranstaltungen bis zu Messen von klein bis riesengroß. Ausschlaggebend für die Wahl des Systems war für den Kunden, dass sich die Werte des Ausstellers mit denen des Systems deckten: Es sind die Technik, die Qualität und die Zuverlässigkeit, genau das, was die Lufthansa auch transportieren will. Die Anmutung des Systemmaterials passt zum Flugzeug und darüber hinaus waren es die unendlich vielen Bauteile, die die hohen Ansprüche an den Stand erfüllen konnten.
Fractal bietet den Gestaltern Spielraum mit unzähligen Profilen und Verbindungen, die in ihren Abmessungen und ihrem Erscheinungsbild nicht nur für Messestände geeignet sind, sondern aus denen auch Raumstrukturen für die Innenarchitektur oder den Hochbau entwickelt werden können. Alle Profile sind kompatibel und können mit verschiedensten Materialien bestückt werden.
ION, das Messesystem von Assoziation Bergmann aus Fellbach ist ebenfalls ein System, das sowohl für Messestände als auch für Läden und den gehobenen Innenausbau verwendet wird. Säule, Decke, Wand sind die Grundelemente des eleganten Stahlsystems, das bis sechs Meter hoch gebaut werden kann. Markant ist vor allem die Säule mit Infrastruktur und Andockmöglichkeit für Wände, Rahmen, Beleuchtungskörper, Deckenkonstruktionen. Unverwechselbar wird dieses Standsystem durch die Farbgestaltung der Ausfachungen, die vielfältigen Accessoires im Programm und Firmenlogos. Das Standsystem selbst tritt dabei immer in den Hintergrund, um das Produkt zum Star zu machen.

Burkhardt Leitner constructiv, Stuttgart, geht es darum, mit seinen Systemen einfach, schnell, reduziert und ökonomisch neue Räume zu erschaffen. Dafür werden Raumsysteme angeboten, die zum einen Innenräume schaffen, um abzugrenzen, puristische Denkräume. Zum andern Systeme, die architektonische Räume formen, von fast schwereloser Leichtigkeit aus Aluminium. Diese können offen sein, mit verschiedenen Platten beplankt oder gar mit Stoff bespannt werden. Das System Pila ist als Doppelstock möglich, bis zehn Meter freitragend. Mit Leichtbauplatten lassen sich daraus geschlossene Räume bauen, mit Displaytafeln, Containern, Theken, Tischen oder Vitrinen sind diese Systeme auch für Shop-in-Shop oder den Officebereich einsetzbar. Burkhardt Leitner, der "Herr der Ringe", platziert seine Systeme selbstbewusst am Markt. Da in Zukunft die einfache Produktschau noch mehr als bisher von der Produktinszenierung oder inszenierten Unternehmenspräsentation abgelöst werden wird, heißt es für ihn nicht "Individualität kontra System", sondern immer "Individualität als System". Einfachheit in Ästhetik und Funktion lässt das System als selbstverständliches Bauelement in den Hintergrund treten. Saubere Detaillösungen und die Durchschaubarkeit von Montageprinzipien stehen dabei für die Langlebigkeit eines Produktes. Aber auch für dieses System wird eine Haut angeboten, durchscheinend und elastisch, die noch subtiler auf das System aufmerksam macht.

Das Messesystem muss im Dialog mit den Kunden geeignet sein, unverwechselbare Lösungen anzubieten, welche die Haltung des Unternehmens vermitteln. Was leisten Systemstände in diesem Zusammenhang? Umfangreiche Baukästen, mit denen vielfältigste Standformen entwickelt werden können, Standkörper mit großen Spannweiten, um einen überdachten freien Platz zur Präsentation und "Bespielung" zur Verfügung zu stellen, System- und Zubehörteile, die in Farbe, Material und Vielfalt auf das CI und die Individualität eines Unternehmens eingehen, aufclipbare Verkleidungen, um das vorhandene System zu kaschieren, Systemübertragung (Standsysteme, die als Systemidee mit dem Aussteller korrespondieren, indem sie zum Beispiel den Systemgedanken eines Produktes deutlich machen) und Werteübertragung (Standsysteme, die in der Wertigkeit der Technik und Designqualität sich mit den Werten des Ausstellers decken).
Systeme sind Bestandteile unserer Messewelt und unverzichtbare Teile, aber auch Ausdruck unserer Gesellschaft. Sie werden vielfach benutzt und für viele Aussteller eigens neu erfunden. Doch noch immer scheinen System und Individualität ein Widerspruch in sich zu sein, sonst würden nicht so viele Systeme schamhaft versteckt. Systeme bieten unendliche Möglichkeiten, die längst noch nicht ausgereizt und ausgespielt wurden. Was sie aber dringend brauchen, ist offenbar eine neue Wertigkeit. Ingrid Wenz-Gahler

m+a report Nr.4 / 2004 vom 11.06.2004
m+a report vom 11. Juni 2004