Sexappeal

Kunst boomt, Kunstmessen sind gesellschaftliche Top-Ereignisse. Und das allerorten.

3, 2, 1 - Party und Kunst" titelte die "Bunte" im vergangenen Herbst anlässlich der Londoner Kunstmesse Frieze 2006. Dort traf sich die "internationale Top-Society zum Geldausgeben - und feierte das auch noch in vollen Zügen". Entsprechend groß sind Konkurrenz um Publikum, renommierte Aussteller und Medienaufmerksamkeit.
Seit Jahren schon ist Bewegung aufgekommen bei den großen Messen der aktuellen Kunst: Die Art Basel geht einmal jährlich höchst erfolgreich nach Miami, die Art Cologne geht vom 19. bis 23. September 2007 erstmals nach Palma de Mallorca und die "Berliner Liste goes Köln". Selbst wenn man den Blick auf Deutschland fokussiert, fällt auf, wie dynamisch - und damit offensichtlich attraktiv - dieser Markt ist: Nicht nur, dass 2007 mit der dc düsseldorf contemporary eine neue Kunstmesse an den Start geht (Gruner + Jahr Expo Media); abgesehen davon etablieren sich immer mehr regionale kleinere und spezialisierte Messen.
Vieles an dieser Unruhe oder - je nach Sichtweise - dem kreativen Chaos liegt wohl in der Sache selbst begründet: Kaum ein Marktsegment hat sich in den vergangenen Jahren derart Aufsehen erregend entwickelt wie die Kunst. Der Handel mit Bildern, Skulpturen & Co. ist von Zeitgeist, Geschmack, subjektiven Werturteilen und einer derart individualisierten Kundschaft abhängig.
Stillstand ist da unmöglich, weshalb sich nicht zuletzt der Aufbau der Messen permanent modifiziert wird. Konzerte samt DJs, Besucherprogramme, Sammlerschulen und VIP-Patenschaften, Kinderführungen und Fördervereine bilden das attraktive Rahmenprogramm. Vorbei die Zeiten, in denen die Stände gleich cooler Mini-Galerieräume, wie "Hasenställe", hintereinander aufgereiht standen. So engagierte Michael Neff auch für die diesjährige fine art fair frankfurt (faff) die Berliner Architekten Kühn/Malvezzi für die Gestaltung. Nach One-Artist-Shows 2006 ("high & low") setzt Neff heuer auf den aktuellen Skulpturen-Trend.
Dazu hat er diesem ",Zierfisch' im großen Becken der Kunstmessen" mit "Quality Street®" einen Namen gegeben und auch ein Motto, Nestlé hat eigens den Namen für die Skulpturenmesse freigegeben. Ob die Namensgebung freilich so ganz glücklich ist? Dem Unvoreingenommenen erscheint es doch eher so, als habe sich der Markeninhaber eine Messe "gekauft": Was sich im Sport und bei großen Musikveranstaltungen eingebürgert hat, wäre für die Kunst noch höchst gewöhnungsbedürftig. Dort wird der längliche Hallenraum in Längsrichtung durch einen Mittelgang für die Skulpturen - den Schwerpunkt der diesjährigen Veranstaltung - zerschnitten sein, die Kojen mäandern in strenger Formation zu beiden Seiten. Auf die klassisch weißen Wände wird freilich nicht verzichtet: Bei 60 Ausstellern hätte man sonst keine Skulptur mehr erkannt.
Wie Frankfurt setzt auch Köln auf deutliche Verschlankung, seit vergangenem Jahr finden dort 180 statt bislang 250 Aussteller ihre Bühne. Anders aber als am Main setzt man am Rhein auf die Tradition. Köln bietet die älteste Kunstmesse der Welt, ist nach wie vor der wichtigste Kunsthandelsstandort Deutschlands, bietet die Kunst eines gesamten Jahrhunderts - Gérard F. Goodrow setzt im Gespräch mit artfacts.net daher auf "langsame Kunst" und auf Internationalisierung; den Anteil ausländischer Galerien möchte er auf mehr als die bisherigen 50 % erhöhen. Hierzu sei die Verlegung des Termins auf April, wo keine anderen Messen statt finden, geeignet. Dies setzt ein Terminkarussell in Gang, denn im Gegenzug werden die Cologne Fine Art und die Exponatec in den Herbst verlegt.
Streng sind hier, wie bei den anderen Kunstmessen, die Auswahlkriterien. Eine Jury findet sich in allen Entscheidungsgremien. Und auch in diesem Messejahr werden wieder viel zu viele Galeristen um viel zu wenige Plätze rangeln, gerade auf den begehrten Messen wie Köln, Berlin und Frankfurt. Allzu undurchsichtig erscheinen manchem die Vergabekriterien, doch das ist ein alter Streit, der von der finanziellen Realität zeugt: Viele Galerien (Kunsthändler ohne Ladengeschäft werden bei den Messen nicht zugelassen) erhoffen sich dort das große Geschäft, die Ausstellungsplätze sind heiß begehrt.
Tatsächlich machen manche Aussteller hier weit über die Hälfte ihres Jahresumsatzes; aber auch wer weniger gut abschneidet, erhofft sich einen erheblichen Image- und damit Wertgewinn von der Teilnahme an der Veranstaltung. Dies wird unterstrichen etwa von der Forderung, die der Landesverband Bayerischer Galerien stellt: Es sei in anderen Bundesländern durchaus üblich, so die Vorsitzende Renate Bender, Messeteilnahmen zu bezuschussen. Schließlich sei der Kunstbetrieb ein wichtiger Standortfaktor, signalisiere zudem, dass Bayern "mehr bietet als Laptop und Lederhose". In Berlin hat man dies erkannt, dort zeichnet die "Landesinitiative Projekt Zukunft" jährlich die zwei "besten Stände" auf dem Art Forum aus.
Trotzdem werden andere Stimmen laut: Nicht nur die Münchner Galerie Rupert Walser nahm 2006 "wie im letzten auch in diesem Jahr nicht an einer Kunstmesse teil". Wie Walser selektieren immer mehr Galeristen sehr genau, an welcher der mittlerweile allenthalben aus dem Boden sprießenden Messen sie dabei sind. Die Kosten sind hoch, und die intensiven Vorbereitungen verhindern nicht selten einen effektiven Galeriebetrieb. "Schuld" daran, so jedenfalls sieht das selbstkritisch der ehemalige Kölner Galerist Rudolf Zwirner, sei er mit der Erfindung der Kunstmesse vor über 30 Jahren, dem Kölner Kunstmarkt, der heutigen Art Cologne.
In seiner Ansprache anlässlich der Verleihung des "Art Cologne-Preises" 2006 für seine Kunstmarkt-Verdienste gibt er zu, dass der Trend zum Kauf auf Messen und damit der Abzug (potenzieller) Käufer von den Galeristen "nicht nur auf der Konto der Auktionshäuser geht": "Keine Frage: Schuld sind die Erfinder der Kunstmesse und das Waren Hein Stünke und ich. Wir ahnten nicht, was mir damit anrichteten."
Andere, wie die Galerie Steinle, machen sich erst gar keine Hoffnung bei den "Großen" und freuen sich über die Chance, die Newcomern geboten wird. Wie bei der Art Karlsruhe, 2004 gegründet, die sich schnell einen guten Ruf erarbeiten konnte. Dass eine hohe Messlatte angelegt wird, hält Eva Kraus von der Münchner Galerie für wichtig: "Für Besucher wäre es mühsam, wenn nicht alles high end, prickelnd wäre", meint sie. Spannend findet die Kunsthistorikerin solche Messezonen, die ganz Junges zeigen wie "Open Space" (Köln) und "Skulpturenzonen" (Karlsruhe) - echter Luxus sei das, denn hier stehe weniger der Verkauf, als vielmehr das Image im Mittelpunkt.
Umsatz, Geld allein macht eben noch keine erfolgreiche Kunst(messe): So erstaunte dc düsseldorf-Direktor Walter Gehlen in einem "Welt"-Interview die Vertreter anderer Messen mit einem Eine-Million-Werbeetat. Werbung allein mache aber noch keinen Erfolg, konterte Goodrow (Köln), wenn eine Messe wirklich laufe, "dann braucht man gar keinen Werbeetat", denn "am Ende zählen nur die großen Namen" (Neff). Und die kämen derzeit nicht nach Deutschland.
So konnte sich "Preview Berlin" aus dem Stand und ohne Budget als Parallelveranstaltung zum Berliner Art Forum aus dem Stand behaupten; Anfang 2005 entstand diese Plattform aus der Initiative von vier Galerien und Kunsträumen; hier findet sich "eine junge Generation von nationalen und internationalen Galerien und Projekträumen" mit Fokus auf "emerging artists". Die erfolgreiche Jung-Messe versteht sich "als Bereicherung zum etablierten Messemarkt" und dokumentiert dies auch mit der Auswahl der Locations: 2007 zieht sie von der Backfabrik in den Hangar 2 des Flughafens Tempelhof um, in eine 4200 m2 große Halle mit einer Raumhöhe von knapp 20 m.
Das Art Forum selbst kann sich nach gut zehn Jahren im internationalen Betrieb als "Nummer Eins der internationalen Messen für Gegenwartskunst in Deutschland" auf Augenhöhe mit Frieze (London), Armory Show (New York) und Art Basel Miami Beach sehen lassen, fasst Pressesprecherin Anne Maier stolz zusammen. Die Messe setzt hierbei im Rahmenprogramm für Förderer und Sammler auf Kooperationen mit kleinen Parallelmessen wie Preview, Berliner Liste und Berliner Kunstsalon.
Dass Kunstmessen im Alltag der Messegesellschaften willkommene Akzente setzen, hört man beispielsweise aus Frankfurt: Die faff sei eine "schöne Abwechslung" mit viel Prominenz und illustrem Ambiente. Die Kunden seien hier keine gewöhnlichen Unternehmen, Galeristen verstünden sich selbst eher auch als Künstler. Trotz allem, das sei klar, gehe es hier letztendlich ums Geschäft. Doch streng genommen sei mit einer Kunstmesse für eine Messegesellschaft kein Geld zu verdienen, aber "Du kriegst vor allem Presse und Aufmerksamkeit", meint Sabrina van der Ley im "Welt-Interview".
Denn welche andere Messe hat schon einen Catwalk-Charakter wie van der Leys Berliner Art Forum, wo "man" sich sehen lässt und trifft? Auch die Kölner artfair 21 - so der neue Name ab 2007 - hat gesellschaftlichen Sexappeal. Warum sonst hätte die PR-Agentur peterka & rosenthal 2006 unter ihrer vor allem Juristen-Klientel exklusive Karten für deren Vernissage im Beisein von Guido Westerwelle, Patrick Adenauer und Kölns Bürgermeisterin Elfie Scho-Antwerpes samt Party verlost? Auf die Frage, wieviele Kunstmessen der deutsche Markt überhaupt noch fasse, antwortet Agenturleiter Christopher P. Peterka: "so viele wie Erotikmessen". Der Frankfurter Neff meint gar, gute Kunst sei "wie guter Sex".
Peterka geht aber auch streng mit der Branche ins Gericht: "Kunstmessen müssen erstmal einen USP entwickeln. Viele meinen allein ihr Dasein als Messe, die sich über Kunst, also individuellen Ausdruck, definiert, sei schon Alleinstellung genug", die bloße Ansammlung von Galerien reichenicht, "es braucht erkennbares Profil mit Ecke & Kante". Ob Mut zur Einmischung, friedliche Koexistenzen (Köln, Berlin) oder neue Räume (Art Basel Miami mit Containern) - Kunstliebhaber und -kenner Peterka hält "in naher Zukunft eine voll klimatisierte Kunstmesse im arabischen Wüstensand für genauso wahrscheinlich wie die erste fliegende ,A380 Contemporary' mit Stopps gleich an allen lukrativen Hotspots der Sammlerwelt."
Diversifizierung, Verlagerung ins Ausland, ständige Neukonzepte - egal, Kunstmessen werden, wenn vielleicht auch nicht in der gegenwärtigen Anzahl, nie aussterben. Sie sind für alle Beteiligten, für eine lustvoll international vagabundierende Klientel einfach zu attraktiv. "Die Zukunft wird zeigen, wie die Zukunft sein wird", orakelt Birgit Maria Sturm vom Bundesverband Deutscher Kunstverleger. Aber eines sei gewiss: "Kunstmessen sind und bleiben hip."
Anne Katharina Knieß

m+a report Nr.1 / 2007 vom 13.02.2007
m+a report vom 13. Februar 2007