Der vergessene Kontinent

Latein- und Südamerika: von Optimismus geprägte Nationen. Vor allem die Menschen zeichnen sie aus. Einige bieten zunehmend auch wirtschaftliche Chancen.

Alles blickt nach Asien und auf die "Neuen" in der EU. Natürlich vergessen wir auch nicht unsere Haupthandelspartner der "alten" EU. Vielleicht denken wir noch an die USA. Aber Latein- und Südamerika?
Schlagworte wie: der kranke Kontinent, hohe Kriminalität, politische Instabilität, wirtschaftliches Chaos tragen nicht gerade zur Vertrauensbildung bei. Natürlich wächst Asien, allen voran die neuen Wirtschaftsmächte China und Indien überproportional gut. Im Vergleich hat Latein- und Südamerika - von Chile einmal abgesehen - in den letzten Jahren noch schlechter abgeschnitten als die EU. Aber der Subkontinent holt auf. Bei den Wirtschaftsprognosen liegen die Werte bereits über denen der EU. Zwar immer noch 2, 5 bis drei Prozent unter den asiatischen, aber mit den USA schon fast gleichauf.
Wirtschaftswachstum führt in vielen Fällen neben zunehmendem Ex- und Import auch zu neuen Chancen im Messegeschäft. Märkte und Messen erhalten wieder Vertrauen.
Eine zu allgemeine Betrachtung wäre allerdings zu gefährlich. Das gilt für Asien genauso wie für Lateinamerika. Deshalb ein genauerer Blick auf einige Länder Latein- und Südamerikas. Das Image von Mexiko, Kolumbien, Argentinien, Brasilien und Chile beispielsweise wurde in den letzten Jahren nicht gerade geprägt von wirtschaftlicher, politischer und sozialer Stabilität. Aber hier ändert sich viel und schnell.

Mexiko:
Das Land genießt durch eine Vielzahl von Assoziierungsabkommen mit anderen Staaten nicht nur mit der EU und den USA (NAFTA) viele Vorteile. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA ist zweifellos groß, was durchaus auch Vorteile bringt. Denn: Wächst die Wirtschaft des großen Bruders, wächst auch die mexikanische Wirtschaft. Mit allen positiven Folgen - auch auf das Messegeschäft bezogen. Die USA bestreiten 63 % der mexikanischen Importe und nehmen 89 % der mexikanischen Exporte auf. Messeveranstalter und deren Gäste finden eine ausgezeichnete Messeinfrastruktur vor, und das nicht nur in der Metropole Mexico City. Nahezu 100 Mio. Einwohner stellen einen beachtlichen Binnenmarkt dar.

Kolumbien:
Auch wenn es kaum jemand glauben will, das Land ist viel sicherer als sein Ruf. Ein paar wenige Regeln beachtet, und schon kann man sich in Bogota wie in Singapur bewegen. Staatliche Förderung genießen präzise definierte Wirtschaftsbereiche, bei denen sogar die Rangfolge festgelegt ist. Diese weitsichtige und im übrigen langfristig angelegte Wirtschaftspolitik zeigt positive Folgen. 43 Mio. Einwohner sind darüber hinaus ein nicht zu unterschätzender Markt. Größter Handelspartner sind auch hier die USA mit einem Anteil von 32 % bei den Importen und 43 % bei den Exporten.

Argentinien:
Mit 37 Mio. Einwohnern ist Argentinien zwar kleiner, hat aber ein deutlich höheres Bruttosozialprodukt. Über die Wirtschafts- und Finanzkrise kann das jedoch nicht hinwegtäuschen, in der die Nation noch immer steckt. Und obwohl das zweitgrößte südamerikanische Land seit Jahrzehnten mit der einen oder anderen Krise lebt: Geschäfte ließen sich hier immer realisieren, obwohl es unter diesen Bedingungen scheinbar keine positiven Aspekte gibt. Heute ist beispielsweise aufgrund der Währungsparität der Export von deutschen Produkten nicht einfach. Als Sourcingpartner ist das Land aber umgekehrt genau deshalb hoch interessant. Kein schlechter Nährboden also für Messen.
Schließlich muss man Argentinien aber erleben - nicht nur touristisch. Die Menschen dort sind überzeugt, dass hier eine Zukunft liegen kann.

Brasilien:
Das größte Land auf dem Subkontinent, Brasilien, ist mit 172 Mio. auch das bevölkerungsreichste. Der neue Präsident da Silva bewegte hier einiges mit einer Politik, die ihm vor der Wahl kaum jemand zutraute: einem Spar- und Konsolidierungskurs mit unpopulären Maßnahmen, der bis heute strikt durchgehalten wurde. Das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte und der Wirtschaft konnte er so für Brasilien zurückgewinnen. Gut etablierte Messen zeigen seit Jahren kaum Einbrüche im Vergleich zu den jeweiligen Wirtschaftssektoren. In bestimmten Bereichen der Exportwirtschaft hat der Verfall des Reals gegenüber dem US-Dollar und Euro eben auch ähnlich wie in Argentinien Vorteile gebracht.

Chile:
Das Assoziierungsabkommen zwischen Chile und der EU eröffnet beidseitig neue Möglichkeiten des Handels. Die Erfahrungen anderer Abkommen zeigen, dass sich der Handel nach Unterzeichnung zwischen den Partnern deutlich gesteigert hat und das nicht nur wegen der stark gefallenen Einfuhrzölle. Eine neue Chance also. Chile ist politisch und wirtschaftlich stabil und hat so eine bessere Ausgangsposition als einige seiner Nachbarn.
Neben den genannten positiven wie negativen Aspekten der einzelnen Länder hat der vergessene Kontinent noch einen wichtigen Vorteil zu bieten: die gemeinsamen Wurzeln durch viele Einwanderer aus Europa. Das hilft Businesspionieren, denn insbesondere die kulturellen Unterschiede, sind nicht so groß wie bei asiatischen Partnern. Auch, dass in der VR China lokale Firmen immer stärker versuchen, ausländische Unternehmen aus dem Markt zu drängen und mit eigenen Produkten dagegen zu halten, sollte im Auge behalten werden. Gerhard Gladitsch

m+a report Nr.4 / 2004 vom 11.06.2004
m+a report vom 11. Juni 2004