Die Noten werden besser

Das Messejahr 2006 im Schnelldurchlauf: von Luftschlössern, erfolgreichen Premieren, mehr oder minder überraschenden Absagen, europäischen Kooperationen, Kölner Klüngel und neuen Wettbewerbern und stärkeren Forderungen an die Veranstalter.

Zufriedenheit allerorten. Aussteller loben die sich immer stärker durchsetzende Kundenorientierung und die Bereitschaft respektive den Mut, neue Wege einzuschlagen, die Veranstalter freuen sich über steigende Aussteller- und Besucherzahlen und damit mehr Umsätze. "So langsam setzt sich im Wettbewerb der Messeplätze die Erkenntnis durch, dass es auch Aufgabe des Veranstalters ist, eine Messe für die Besucher interessant und spannend zu machen", sagt Burkhard Remmers, der beim Büromöbelhersteller Wilkhahn, Bad Münder, für Kommunikation und Unternehmensentwicklung verantwortlich zeichnet.
Auch Rudolf Sommer, bei EnBW in Karlsruhe, Leiter Konzern Messen und Events, ist froh, "dass bei den Messe- und Kongressgesellschaften spürbar ein Generations- und Paradigmenwechsel stattgefunden hat." Es würden "nicht mehr nur Messen durchgeführt und Fläche verteilt, sondern Konzepte entwickelt und an die Bedürfnisse der Kunden - Aussteller und Besucher - angepasst." Sommer: "Messen sind nicht länger nur Schaufenster, sondern adventure-rooms. Mittendrin statt nur daneben." Dem kann Jörg Meßwarb, Consultant, Wiesbaden, nur zustimmen: "Die Kundenorientierung auf den Messeplätzen hat sich stark verbessert. Da ist Deutschland mit Abstand führend." Aber, wie meistens, wo Licht ist auch Schatten. Es gebe immer noch Veranstalter, die sich "hartnäckig dagegen sträuben, in den ausstellenden Unternehmen ihre Kunden zu sehen", kritisiert Sommer. Der Energie-Mann freut sich über Veranstalter, "die mit uns kooperieren. Sie bekommen als pay-back zufriedene Besucher und schöne Messestände."
Wenn über die Tops der deutschen Messeszene geredet wird, ist eine immer wieder abgeschriebene dennoch stets dabei: die Hannover Messe. Joachim Ritter, Geschäftsführender Gesellschafter der triogroup in Mannheim und verantwortlich für die Messeauftritte des ABB Konzerns, lobt sie als einen der "größten Messeerfolge". Und auch Rudolf Sommer kann dem viel gescholtenen Flaggschiff Gutes abgewinnen wegen "der vielfältigen Möglichkeiten, alle Branchen und Business-Segmente abzudecken." Bei anderen großen Leitmessen machen die Aussteller noch weitere Entwicklungsmöglichkeiten aus. So ist Joachim Ritter enttäuscht, dass es der Messe Frankfurt mit ihrer Light+Building nicht gelungen sei "das Image der Messe von einer regionalen Fachmesse zu einer internationalen Fachmesse zu bringen" und wirft dem Veranstalter "mangelnde PR-Maßnahmen" vor.
Die Messe Frankfurt ist es aber auch, die mit der Automechanika eine der erfolgreichsten Veranstaltungen (und Brands) inne hat - und die in diesem Jahr mit der Design Annual (wieder) einen "neuen Veranstaltungstypus" ins Leben rief. Der ist in der Messelandschaft in der Tat bislang einmalig. Dieses "neue Messeformat gab einem breiten Publikum unter Qualitätsaspekten einen selektierten Überblick zu designorientierten Herstellern quer durch alle Branchen. Ein hochkarätiges Rahmenprogramm und Öffnungszeiten, die sich am Publikum orientierten, sorgten für eine gelungene Mischung aus Inszenierung und Information", freut sich Burkhard Remmers über die Zusammenarbeit der Messe Frankfurt mit Stylepark. "Damit ging sie neue Wege, die sich weniger an den Interessen der Fachverbände, sondern vielmehr denen des Publikums orientierten."
Vielbeachtet auch die Premiere der jetzt jährlichen IFA: Zwar kamen weniger Besucher als erwartet, aber ein ordentliches Ordervolumen tröstete darüber hinweg: "Unser Konzept, die Schlagzahl zu erhöhen und die IFA nunmehr jährlich auszurichten, ist voll aufgegangen", bilanzieren übereinstimmend Rainer Hecker, Aufsichtsratsvorsitzender der gfu (Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik) und Christian Göke, Geschäftsführer der Messe Berlin.
Um Glasstec oder OMD in Düsseldorf, die SPS in Nürnberg nur als Beispiele zu nennen - viele Fachmessen machten in diesem Jahr eine besonders gute Figur. Andere verschwanden von der Bildfläche: Die Modemessen B-in-Berlin und die Bread&Butter Berlin konnten die Erwartungen nicht erfüllen, der DIMA in Düsseldorf ersparten die Macher ein längeres Leiden. Geradezu spektakulär die Kehrtwende des Vereins Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW), Frankfurt: Erst implementierte er eine Metav Süd in München, dann nahm er sie nach zweimaliger erfolgreicher Durchführung aus dem Markt - und unterstützt nun Stuttgarts AMB.
Die Messeankündigung mit der kürzesten Halbwertszeit kam in diesem Jahr aus Frankfurt, vom Börsenverein. Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, kündigte im Mai an, im April 2007 eine Buchmesse in London ausrichten zu wollen, im Earl's Court. Das Luftschloss stand nicht einmal 24 Stunden, dann kam der Rückzieher: Der Konkurrent Reed hatte den Frankfurtern das angedachte Messegelände vor der Nase weggeschnappt und für seine eigene Buchmesse gemietet ...
(Fach)Verlage und (Fach)Veranstaltungen gehen seit Jahren eine Symbiose ein, Presse und Messe sind untrennbar miteinander verbunden. Und bislang waren sie Partner, die Messeveranstalter und die Verleger, selbst wenn diese eigene Messen machten. Jetzt hat ein Publikumszeitschriftenverlag die Szenerie betreten - auch als Veranstalter: Der Hamburger Verlag Gruner + Jahr baut seine Aktivitäten rund um Messen, Shows und Events aus. Dazu gründete er ein Joint-Venture mit Expomedia Deutschland, einem internationalen Veranstalter von Messen und Events. Das Joint Venture firmiert unter G+J Expomedia Events GmbH (G+J EME). Die Veranstaltungen werden gemeinsam von G+J EME und den verantwortlichen Mitarbeitern in Verlag und Redaktion konzipiert und durchgeführt.
Zu den ersten Ergebnissen zählt die Genussmesse für alle fünf Sinne eat'n style, die die G+J-Titelpalette von "essen&trinken" bis "living at home" abdeckt und Mitte November im Kölner Expo XXI Premiere hatte. Zielgruppe: Endverbraucher. Stände der Titel und 104 Aussteller luden die Besucher zum Kochen, Backen, Dekorieren, Staunen und Mitmachen ein. Das kam an: Wegen des großen Andrangs auf die neue Messe war der Zutritt zum Veranstaltungsort teilweise nur noch mit Karten aus dem Vorverkauf möglich. Beim lokalen Anbieter Köln Ticket kletterten die Messeeintrittskarten in den "Top 10 der Woche" auf Platz 5 und damit noch vor internationale Stars wie Herbert Grönemeyer und Shakira. Mehr als 70 % der Aussteller haben ihre Teilnahme an der nächsten Veranstaltung denn auch gleich fest gebucht. Damit mehr Besucher kommen können, Expo XXI ist für ein solches Event zu klein, wird die eat'n style im nächsten Jahr in der Koelnmesse stattfinden.
Apropos Koelnmesse. Die weihte im Januar vier neue Hallen ein, die die Messegesellschaft seit Monaten in den Schlagzeilen halten, wenn auch nicht auf die schöne Art. Die EU hat ein Verfahren wegen Verletzung des Vergaberechtes gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Und die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kölns Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzenden der Messe, Fritz Schramma, wegen des Verdachts der Untreue, Bestechlichkeit und Vorteilsnahme.
Einer der gemeinsamen Nenner der veranstaltenden Industrie 2006: die Entdeckung des Vertriebs. Genauer gesagt: des Kunden. Sie weiß, die Zeiten, in denen die Kernkompetenzen von Messen Technik und Logistik waren, sind vorbei. Nun lässt sie ihren Erkenntnissen langsam Taten folgen. Jörg Meßwarb: "Die gesamten Vertriebsschienen für das In- und Ausland müssen verbessert werden."
Auch das Fazit der Veranstalter ist überwiegend positiv. Besonders zufrieden ist der deutsche Branchenprimus Messe Frankfurt, zumal er weiter wachsen und unternehmensstrategisch einige wichtige Pflöcke hat einschlagen können. Dazu: Besucherzuwächse aus dem In- und Ausland, zum Teil zweistellig Die Messe Frankfurt überschreitet in diesem Geschäftsjahr erstmals die 400 Mio. EUR-Grenze. Und auch ihr Auslandsumsatz ist erstmals dreistellig.
Etwas nördlich von Frankfurt ist Hannover, und nördlich vom Rom liegt Mailand. Die Deutsche Messe AG hat sich im Mai mit der Fiera Milano verbündet, um gemeinsam Drittmärkte in Brasilien, Russland, Indien und China zu erschließen. Die Italiener stellen nicht nur die größte Ausstellernation auf dem Messeplatz Deutschland, das Land ordnet sich auf dem Weltmarkt auf Rang 2 ein - hinter Deutschland. Es kommt mehr Leben ins Geschäft: Bisher agierten die Veranstalter eher aus nationalen Positionen auf anderen Märkten, jetzt gehen erste einen Schritt weiter. Kaum war die Zusammenarbeit Hannover/Mailand verkündet, da wies auch die Messe Frankfurt einen Kooperationspartner aus: die Fiera Roma. Die hat zwar im Gegensatz zu Mailand kaum ein nennenswertes Portfolio, dafür aber viele neue (leere) Hallen.
2006: Die Besucherzahlen legen wieder zu, das Interesse der Aussteller, sich auf deutschen Messen zu präsentieren, steigt. Niemand mehr, der die deutsche Messewirtschaft in einer Krise und auf dem absteigenden Ast wähnt. Die Aussteller rufen nicht mehr so laut nach Effizienz- und Nutzenmodellen, um ihr Messeengagement zu berechnen, die Diskussion hat sich deutlich abgeschwächt und ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Die Konjunktur zieht an, wird alles so wie früher? Im Pflichtenheft gibt es noch viele Punkte, denen sich die Veranstalter stellen müssen. "Die deutsche Messelandschaft sollte sich an Konzepten orientieren, die ihnen von ausländischen Anbietern vorgemacht werden," empfiehlt Rudolf Sommer. "Märkte werden erschlossen indem man Kunden und Anbieter zusammenbringt, die bisher noch keine Plattform hatten sich zu treffen." Das Zauberwort für Sommer heißt "customised solution" - und bindet den Kunden als Produktdesigner mit ein.
Ein weiteres Stichwort für Jörg Meßwarb lautet Globalisierung. Würden die Veranstaltungen ins Ausland exportiert, fehle häufig entsprechendes Personal. Seine Kritik: "Da die Messeveranstalter immer noch intern hin- und herschieben und keine internationalen Spezialisten von außen holen, ist das Wissen und auch das Können für internationale Veranstaltungen schwach." Das gelte besonders für die Messevorbereitung des Mittelstandes.
"Professionalität" mahnt Burkhard Remmers an. "Der Wandel von behördenähnlichen Betrieben zu aktiven Dienstleistungsunternehmen ist noch bei weitem nicht überall abgeschlossen." Direkt danach folge für den Wilkhahn-Mitarbeiter das Thema "Kundenorientierung, womit sowohl die Aussteller als auch - vor allem - der potenzielle Messebesucher gemeint ist." Die große Frage: Was kann die Messe für den Besucher attraktiv machen? Remmers: "Wer als Veranstalter diese Frage am besten beantwortet, wird in Zukunft auf der Gewinnerseite stehen."

m+a report Nr.8 / 2006 vom 08.12.2006
m+a report vom 8. Dezember 2006