Treu und Glauben stellen mehr dar als Abkommen

Wer sich nach dem Motto "muddling through" in China auf oberflächliche Verhaltensregeln stützt, dem bleibt ein dauerhafter Erfolg auf dem dortigen Markt mit großer Wahrscheinlichkeit verwehrt.

Rund 60 international und überregional relevanten Messegelände bieten in China für deutsche Unternehmen eine interessante Plattform, um zum Einen bestehende Geschäftsbeziehungen zu unterstützen und zum Anderen neue aufzubauen.
Nach Angaben der Austellungs- und Messe-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (AUMA), Berlin, hat sich allein von 1997 bis 2003 die Zahl der Messen in China auf rund 2600 pro Jahr verdreifacht. Tendenz: weiter steigend. Zudem beeindruckt die allgemeine hohe Leistungsfähigkeit des Landes. Allerdings gehen damit sehr komplexe Strukturen einher. Geprägt von starken Veränderungen ist es für deutsche Unternehmen mitunter schwierig, Fuß zu fassen. Die Schwierigkeiten sind zahlreich. Vorhandene Rechtsunsicherheit, ein sehr schwer zu durchschauendes Umfeld aber auch wenig flexible, staatliche Strukturen, die sehr häufig mit unternehmerischen Aktivitäten von Behörden und Ministerien, kombiniert sind. Und: Für eine erfolgreiche Messebeteiligung genügt es nicht, einfach selbst einen Stand zu mieten oder - als kostengünstigere Version - an einem Gemeinschaftsstand zu partizipieren.
Notwendige Unterstützung bekommen Aussteller in zunehmendem Maße von den Serviceleistungen professioneller Messebau-Unternehmen. Diese beschränken sich nicht mehr nur auf die "klassischen" Aufgabengebiete wie beispielsweise Standbau, sondern bieten angefangen von einzelnen Service-Bausteinen bis hin zu Full-Service-Paketen alles aus einer Hand. Dazu zählen Werbung, Medienarbeit, Kommunikation, messebegleitende Events und Schulungen, ausgerichtet an den regionalen und nationalen Zielgruppen.
Dienstleistungs-Innovationen und eine Verlängerung der Wertschöpfungskette werden die zukünftige Entwicklung nachhaltig beeinflussen. Der Münchner Messebauer Meplan bietet für seine Kunden zukünftig ein ausgeklügeltes Lead-Managementsystem an, das die Terminkoordination von Kundenbesuchen auf der Messe effizient managt und gleichzeitig geeignet ist Marketingaktivitäten vor, während und nach der Messe zu koordinieren. Die Live Communications-Agentur Uniplan aus Kerpen punktet in China mit einem gelungenen Mix aus Eventmarketing und Messebau - und das äußerst erfolgreich.
Eine perfekte Koordination des Messeauftritts in China ist also die Grundlage, um langfristige Geschäftsbeziehungen mit chinesischen Partnern aufzubauen. Dazu gehört zunächst aber die Abwägung, welche Messe und welcher Standort überhaupt in Frage kommt und ob es sinnvoll ist, mit Messeaktivitäten den Markteintritt in China zu starten.
Selbstverständlich ist jede Messeaktivität ein wichtiger Baustein für Markterfolg, dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass eine vorherige Marktanalyse, insbesondere auch eine Analyse des Messespektrums, von größter Bedeutung ist.
Es gibt gegenwärtig eine ganze Reihe von nicht seriösen Messeveranstaltungen und auch jeder noch so erfahrene Auslandsmanager wird nicht alle in Frage kommenden relevanten kennen. Sogar das chinesische Militär koodiniert eigene Messeveranstaltungen - eine sehr interessante Erfahrung bei einem Beratungsprojekt für einen deutschen Hersteller medizinischer Produkte. Nur auf dieser Messe finden Beschaffungsvorgänge des militärischen Komplexes statt.
Vor allem wegen "klassischer Schwächen" - mangelnder Vorbereitung und nicht durchgeführter Anleitung von Standmitarbeitern - kommt es bei der Entwicklung einer (erfolgreichen) Geschäftsbeziehung nachhaltig darauf an, strategisch das Interessenten- sowie das Kundenbindungsmanagement zu optimieren sowie dieses mit professioneller Schulung im Unternehmen zu implementieren.
Chinesische Mitarbeiter nehmen zu diesen Fragen einen grundsätzlich anderen Standpunkt ein. Das Verhalten auf der Messe ist situativ geprägt, Höflichkeit und unverbindliche Gespräche dominieren. Selten kommt es aus diesem Grunde zu einem gut vorbereiteten, tiefgründigen Messegespräch. Aus chinesischer Sicht durchaus verständlich, wenn man die interkulturellen Unterschiede kennt.
Anders als in Deutschland, wo eine Geschäftsbeziehung solange besteht, bis das Vertrauen gelitten hat, gilt es in China zunächst Vertrauen zu gewinnen, bevor es zum Auftrag kommt. Hilfreich bei einer Messe sind Termine mit Geschäftspartnern, die wiederum Geschäftsfreunde mitbringen. Doch kurzfristiger Erfolg stellt sich deshalb noch lange nicht ein. Ein Messebesuch hat, abgesehen von standardmäßigen Lieferungen, selten den direkten Geschäftsabschluss zur Folge. Vielmehr gilt es, sobald das Interesse am Unternehmen geweckt ist, den Kontakt bei einem sozialen Event, einem persönlichen (Gegen-)Besuch oder einem ausführlichen Essen, zu intensivieren.
Die Sozialisationsphase ist wesentlich ausgeprägter als in der europäischen Kultur und kann mitunter Wochen oder Monate dauern. Hierbei spielt die zirkulare Denkweise eine wichtige Rolle: Statt alle Einzelheiten nacheinander abzuhaken, werden sämtliche Aspekte in mehreren Runden gleichzeitig bearbeitet. Wurde nach mehreren Verhandlungsrunden die Sozialisierungs- und Gefährdungsphase erfolgreich gemeistert, geht mit dem Geschäftsabschluss die Wachstumsphase einher. Allerdings sollte man sich dann nicht auf den Lorbeeren ausruhen: Schnell kann es zu unterschiedlichen Ansichten über Produktions- oder Lieferbedingungen kommen, Treu und Glaube stellen zudem meist mehr dar als unterzeichnete Abkommen. Die Konflikte in den zahlreichen Joint Venture Unternehmen sprechen hier eine sehr deutliche Sprache.
Dem Zwischenmenschlichen muss auch weiterhin besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, da sonst die Degenerationsphase schneller einsetzen kann als erwartet. Dabei ist es gerade für Chinesen wichtig, eine langfristige Geschäftsbeziehung aufzubauen und somit die Kündigungs- und Abstinenzphase zu umgehen. Die Investition in Guanxi, also den persönlichen Kontakten, zahlt sich langfristig aus. Werden chinesischen Geschäftspartnern geschickt überlegte Zugeständnisse gemacht, so entsteht dadurch eine gegenseitige Verpflichtung.
China ist auf dem Wege zur Weltmacht respektive bereits dort angelangt. Globalisierung bedeutet eben auch, dass sich die interkulturelle Werte " globalisieren ". Das heißt: Nicht alles, was in der Vergangenheit unter diesem Aspekt gültig war, wird auch in Zukunft seine Gültigkeit behalten.
Ein Beispiel: Anlässlich eines ersten (Verkaufs-)Gespräches wurde der Vorstand eines großen Optikherstellers in Shanghai besucht. "Interkulturell" richtig wurde die Visitenkarte mit beiden Händen überreicht. Lachend sagte der chinesische CEO: "Lasst doch den Quatsch, ihr könnt mir die Visitenkarte auch ganz normal überreichen, wir sind nicht mehr im alten China ...".Die Entwicklung einer Kundenbeziehung muss sorgfältig geplant sein, sie unterliegt einem Lebenszyklus. Dabei ist die Frage zu stellen, durch welche Marketingmaßnahmen die einzelnen Phasen unterstützt werden können. Aufmerksames Sondieren des Umfeldes ist unbedingt notwendig. Nicht alles, was in Seminaren mit dem Thema "Interkulturelles Management" vermittelt wird, behält seine vollständige Gültigkeit.
Wenn das Management im Vorfeld einer Messeaktivität diese Erkenntnisse beherzigt, ist zumindest die richtige Weichenstellung für ein erfolgreiches Engagement in China erfolgt. Erwin Seitz, Markus Bayrle

m+a report Nr.8 / 2006 vom 08.12.2006
m+a report vom 8. Dezember 2006