Leserbrief Die Sehnsucht nach einem Konzept.

Mittlerweile ist es eigentlich schon peinlich. Wann immer es seit Monaten in der einschlägigen Presse um das Thema Messen in Deutschland geht, wird der Rückgang der Messewirtschaft bejammert, die Hoffnung auf baldigen konjunkturellen Aufschwung beschworen und der unbedingte Bedarf an neuen Konzepten proklamiert.
Nur von ebensolchen Konzepten liest man nichts. Fast nichts. Die Hannover Messe ist eine Ausnahme. Die wurde zu einem neuen Konzept getrieben, weil die Folgen eines jahrelangen Spagats zwischen den markenpolitischen Erfordernissen des Daches und Premiumproduktes "Hannover Messe" einerseits und dem Versuch, es allen Partikularinteressen der Aussteller, Fachbeiräte und Verbände Recht zu machen, andererseits existenzbedrohend wurde. Also Flucht nach vorne, neues Profil definieren und umsetzen. Dazu kann man Sepp D. Heckmann nur zunicken, Erfolg wünschen und hoffen, dass er die eingeschlagene Positionierung der Hannover Messe als Innovations-Milestone beibehält und noch konsequenter inszeniert.

Und dann ist da noch das beliebte Thema der Internationalisierung der Messegesellschaften. Die meisten kopieren zwar nur nationale Formate, aber immerhin. Nur: Wie soll das dem Messestandort Deutschland helfen? Es mag Messegesellschaften zu einer breiteren wirtschaftlichen Basis verhelfen und damit zu mehr Existenzkraft, aber für das deutsche Messewesen ist das alles andere als ein Konzept. Gleiches gilt für das Privatisierungsthema, just auf dem Deutschen Messeforum von Beraterseite wieder aufgefrischt. Eine vordergründige budgetäre Entlastung von Kommunen ist damit sicher zu erreichen, aber ebenso gewiss eine Beschleunigung von Insolvenz- und Konzentrationsprozessen. Also weniger Messeveranstalter, dafür privatwirtschaftliche? Ist das ein Weg aus der Misere? Wird dadurch auch nur eine Messe besser laufen, mehr Aussteller anlocken, mehr Besucher?

Dann wird bemängelt, man habe nicht die richtigen Mitarbeiter. Kundenorientierung, Marketing, Vertrieb seien denen fremd, sie lebten immer noch in einer von Zuteilmentalität geprägten Welt. Ja, mein Gott, wenn dem wirklich so ist, Change-Training nichts genutzt hat und Ihr, liebe Messechefs, das erkannt habt, dann schmeißt die "Gestrigen" doch raus. Oder holt Euch wenigstens ein paar an verantwortliche Stelle, die richtig gepolt sind. Die gute Nachricht: Solche gibt's. Die schlechte: Allerdings wohl nicht zu Sachbearbeiterbezügen.

Was mir fehlt, ist der - zumindest in der Presse und in zahllosen Gesprächen nicht erkennbare - umfängliche Ansatz, sich einmal konkret mit der Erarbeitung neuer Konzepte auseinander zu setzen. Es hilft uns nicht weiter, wenn - wie jetzt beim Messeforum geschehen - der eine Professor Jahrzehnte alte Binsenweisheiten des Marketing auftischt, der andere einen offensichtlich länger schon vorhandenen Vortrag kredenzt, diesen mit einem neuen Titelchart versieht und meint, mit diesem solitären Themenbezug hinreichend zum Thema beizutragen (das ist alleine schon dem Veranstalter gegenüber nicht sehr anständig, der sich spürbar bemüht das Forum zu neuer Qualität zu führen). Wir müssten endlich einmal dort anfangen zu arbeiten, wo diese Belehrungen aufhören. Die Situation ist doch klar, die Ursachen auch. "Dass" es so ist, müssen wir nicht länger bejammern, konstatieren und akademisch bestätigen lassen, wir müssen uns damit beschäftigen "wie" wir das ändern können. Was erwarten Messebesucher heute und bekommen sie offensichtlich nicht hinreichend? Wohin gehen Angebot und Nachfrage - weg von der technischen Einzelproduktinformation, hin zu Lösungspaketen und Branchen übergreifenden Prozessen entlang der Wertschöpfungsketten? Was können Messen verstärkt bieten, was andere Formate, wie Hausmessen oder auch das Internet nicht können? Was kann eine Messe in Deutschland bieten, dass zum Beispiel ein Chinese auf einer chinesischen Messe nicht bekommt und darum auch in Zukunft eine Messe in Deutschland besuchen muss? Gerade hier ist übrigens eine Formatkopie im Ausland absolut kontraproduktiv.

Wie kann man ausstellende Unternehmen dazu bringen, ihre Messeetats in deutlich mehr Standqualität zu transferieren? Das Verbesserungspotential dazu ist riesig, leicht zu sehen, wenn man über Messen geht. Gemeint ist dabei nicht die Qualität des Standbaus, sondern die inhaltliche, kommunikative Qualität. Das beginnt bei Luftballons auf Industriemessen - wo bekanntermaßen selten Kinder unter den Besuchern sind - und endet bei maßlosen Sortimentsdarbietungen, für die heute kein Mensch mehr auf eine Messe geht. Schauen Sie mal selbst auf der nächsten Messe: Wo ist ein Stand, der wirklich Neues prominent herausstellt? Wo sind griffige kunden- und damit nutzenorientierte Standaussagen, die bereits vom Gang aus dem Messebesucher signalisieren: Hier gibt's etwas Besonderes, etwas Neues - hier muss man stehen bleiben, hier muss man auf den Stand gehen und sich informieren? Besonders im Mittelstand packt einen viel zu oft das Mitleid, wie hart verdientes Geld kommunikativ miserabel investiert wird. Und hinterher heißt es dann, die Messe sei schlecht gewesen. Messen sind immer nur so gut, wie auch die Aussteller gut sind. Oder umgekehrt: Nur gute Aussteller machen auch die Messen gut.
Gute neue Konzepte werden daher nur dann möglich sein, wenn die Beteiligten sich endlich einmal hinsetzen und gemeinsam daran arbeiten; ihre Einzelinteressen einmal für eine Zeit hinten an stellen, aus der Quadratur der Partikularinteressen (Verbände - Veranstalter - Aussteller - Besucher) ausbrechen, unpolitisch werden und gemeinsam handeln. Kein Quadrat ist an einem Eckpunkt im Gleichgewicht. Dieses besteht nur im Schnittpunkt der Diagonalen, im Schnittpunkt der Interessen. Dann sollte auch die Sehnsucht nach neuen Konzepten zu stillen sein.

Ralph Erik Hartleben, BÜM, Erlangen

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m+a NEWSLINE Nr.12 / 2004 vom 17.06.2004
m+a NEWSLINE vom 17. Juni 2004