Office Messezeit, Wels Standardisierung erleichtert das Krisenmanagement

Wer Messen, Kongresse oder Events veranstaltet, trägt auch die Sorge um die Sicherheit seiner Gäste und Besucher. Arnold Wiesberger hat sich des Themas angenommen. Der Inhaber des Büros Office Messezeit, Wels, kritisiert fehlende Sensibilität im Umgang mit dem Grundbedürfnis nach Sicherheit. Es gebe fast keine Veranstaltung ohne kleinere Störfälle. Krisen entstünden aber oft erst durch die "Verkettung unglücklicher Umstände". Dies im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern sei die Aufgabe eines präventiven Sicherheitsmanagements.

Thema Sicherheit: Einige Branchen haben für einen "Zwischenfall" seit langem "Standard Safety Procedures" entwickelt. Im Messe-/Veranstaltungswesen sucht man trotz der teilweise großen Menschenansammlungen vergebens nach dieser Sensibilität. Wie erklären Sie sich das?

Arnold Wiesberger: Das hat meist zutiefst menschliche Ursachen. Die Krisenpsychologie kennt dazu zwei wesentliche Phänomene: Die Illusion der Kontrolle - sozusagen die Meinung, dass man Systeme, die man selbst lenkt, auch kontrolliert. Jeder von uns kennt das selbst in der Form der Angst des Beifahrers im Auto, der sehenden Auges einer herannahenden Gefahr viel früher entgegentreten möchte, als der Fahrer selbst.
Und dann noch der so genannte "Unrealistische Optimismus". Jedem Ereignis liegt eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit zugrunde. Aber niemand glaubt, dass diese Wahrscheinlichkeit auch für ihn selbst zutrifft - es passiert ja ohnehin immer den anderen.

Der Besucher einer Messe zahlt in der Regel Eintritt. Darf er daher auch erwarten, dass sich der (Messe)Veranstalter eingehend Gedanken zum Thema Sicherheitsabläufe gemacht hat? Die meisten haben doch einen Sicherheitsbeauftragten ....

Der Sicherheitsbeauftragte ist als Schöpfer und Erhalter eines Sicherheitssystems auch sehr wichtig. Aber er darf einer geballten Zahl von Besuchern nicht als Einzelperson gegenüberstehen, sondern er braucht das gesamte Unternehmen als funktionierendes Sicherheitssystem.

Wie lässt sich die "Verkettung unglücklicher Umstände" am besten vermeiden?

Am besten, indem man vorsorgt, dass sich die Umstände NICHT zu verketten beginnen. Das kann aber nur am Beginn der Kette funktionieren, wenn es sich nur um einen Störfall handelt, der sich noch nicht zu einem Notfall oder gar einer Krise entwickelt hat. So gesehen hat das Veranstaltungspersonal vor Ort eine immens wichtige Sicherheitsfunktion, weil diese Leute in der Regel als erste am Ort des Geschehens sind.

Zur Verantwortung für eine Veranstaltung: Feuerwehr und Polizei sind doch prophylaktisch immer vor Ort ...

Verantwortung lässt sich nicht delegieren. Weder an Sicherheitsbeauftragte noch an Einsatzorganisationen. Es ist heute gängige öffentliche Meinung, dass das Management auch in einem Krisenfall die Lage des Unternehmens im Griff behalten muss. Dazu gehören aber nicht nur die Sicherungen von Menschenleben und Sachwerten, sondern danach sofort der Umgang mit der Öffentlichkeit und die Rückführung in den Normalzustand. Vor allem die Letzteren sind klar die Aufgabe des Managements.

Sondersituation Unglücksfall: Wie kann das Veranstaltungspersonal eingebunden werden?

Vom Veranstaltungspersonal erwartet man Kompetenz, Übersicht, Ruhe und gezieltes Vorgehen. Obwohl diese Leute in einem Unglücksfall genau denselben Stresssymptomen wie Unsicherheit, Angst, Unruhe und Orientierungslosigkeit unterliegen wie die Betroffenen selbst. Sensible Branchen wie die Luftfahrt haben daher für ihr Personal die schon erwähnten "Standard Safety Procedures" eingeführt. Sie können helfen, in einem Unglücksfall das Schulungswissen ruhig und professionell anzuwenden und den betroffenen Menschen die erwartete Sicherheit zu vermitteln.

An vielen Infocountern stehen Aushilfskräfte ... Ihre Einschätzung interessiert mich: Wie viele von ihnen wissen, wo sie die richtigen Informationen herbekommen?

Bei Aushilfskräften kann keine notfallrelevante Interessenslage vorausgesetzt werden. Sie haben ihren Job im Visier und sind zu 100 % damit ausgelastet. Also trifft ein Notfall dieses Personal genauso wuchtig wie die Betroffenen selbst. Hier gilt dasselbe: Standardisierte schriftliche Anweisungen sowie zumindest einen Hinweis, wo sich Feuermelder, Feuerlöscher et cetera befinden, sollten zur gewissenhaften Jobbesprechung gehören. 20 Minuten "Verhalten in Notfällen" wären schon besser als gar nichts.

Wie sollten diese Informationen (Thema Sicherheit) beim Veranstalter gemanagt werden?

Dazu ein Beispiel: Leute in geschlossenen Räumen kriegen fast nie Panikattacken, wenn sie wissen, was mit ihnen passiert. Daher ist der rasche Aufbau von Informationsketten eine der wichtigsten Sofortmaßnahmen in einem Störfall. Jeder, der Information vermitteln kann, wirkt kompetent und strahlt auch die nötige Ruhe aus. Das beginnt an den Drehkreuzen und geht bis in die Sicherheitszentrale. Von Psychotraumatologen sollten risikospezifische Lautsprecherdurchsagen erstellt werden, die bei Bedarf augenblicklich verwendet werden können.

Wie werden Schadensmeldungen aufgenommen?

Am besten zentral und standardisiert. Es erleichtert allen nachgelagerten Organisationen, angefangen von der Polizei bis hin zu den Versicherungen, sich auf einen Sachverhalt zu beziehen, über den schon einmal Einvernehmen besteht. Man braucht so etwas nicht neu erfinden, es existieren dafür bereits ausgearbeitete Vorlagen.

Im Falle "große Ausnahmesituation" (höhere Gewalt, Brand, Chemieunfall oder Ähnliches): Wie muss ein Krisenstab untergebracht sein?

Ein Krisenstab ist eine Organisation, die dann aktiv wird, wenn jemand feststellt: "es ist Krise". Ein gutes Frühwarnsystem im Rahmen der Krisenprävention ist dafür Voraussetzung. Krisenstäbe haben eine eigene Organisationsform, Sonderkompetenzen, besondere Führungsstrukturen und alle notwendigen technischen Voraussetzungen. Deshalb sind zentrale, technisch gut ausgestattete Räumlichkeiten vorab zu definieren. Vergessen wird gerne auf die notwendig gute Versorgung dieser hart arbeitenden, bis an die Grenzen geforderten Task Forces zu achten.

Wer aus dem veranstaltenden Unternehmen gehört dort hinein?

Spätestens seit 9/11 wissen wir, dass selbst mächtige Befehlshaber wie Präsidenten oder Verteidigungsminister in Krisenfällen unter denselben stressbedingten Symptomen leiden wie jeder andere Mensch auch und auch versagen können.
Daher sollte schon lange im Rahmen der Krisenprävention ein Führungskonzept erstellt werden. Darauf aufbauend wird ein Team gebildet, das verschiedene Kriterien erfüllen muss. Dazu gehören Bereiche wie technische Lösungskompetenzen, Ortskenntnisse, Kommunikationsfähigkeit, aber auch die notwendige juristische Entscheidungskompetenz. Solche Teams müssen ihre Bereitschaft an realitätsnahen Fällen regelmäßig trainieren.
Auch wenn der Krisenstab existiert, ist die Beziehung eines externen Krisenexperten zu empfehlen. Er hat die nötige Erfahrung, den Blick von außen und kann beitragen, schädliche Teamentwicklungen im Keim zu ersticken, um damit die Effizienz des Krisenstabes hochzuhalten.

Krisen-PR: Wo sollte das Pressezentrum hin?

Es muss oberste Prämisse sein, die Kommunikationshoheit in den Händen des Veranstalters zu lassen. In einem Krisenfall könnte es diesbezüglich sehr wohl unterschiedliche Interessenlagen geben (Politik, Einsatzorganisationen, Interessensvertretungen). Letztlich liegt es im Interesse einer erfolgreichen Betriebsfortführung, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit (Aussteller und Besucher) in einen Veranstaltungsort nicht ins Wanken gerät. Diese Grundannahme wird wohl dazu führen, dass ein Pressezentrum im Einzugsbereich des Veranstalters anzusiedeln ist. Auch hier gilt: Krisenkommunikation ist eine gänzlich andere Form von PR.
Externe Unterstützung, über eine Krisenhotline angefordert, könnte sich rasch bezahlt machen.

Welche Bedeutung hat die Erstinformation?

Erfolgreiche Krisenarbeit basiert auf der richtigen Menge und Qualität von Information. Im Innenbereich gilt: Zu viel Information blockiert schnelles Handeln, zu wenig Information verzögert Entscheidungen. Nach außen muss gerade die Erstinformation vermitteln: "We care". Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, was los ist, der Journalismus fordert dieses Recht konsequent ein. Scheibchenweise Information zu geben ist Taktik von gestern!

Ratlosigkeit, Hektik, Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Panik: Wie sollten Krisen unternehmensintern gehandelt werden?

Präventionspläne erstellen, sich mit möglichen Situationen im Vorfeld (zum Beispiel gewissenhafte Risikoanalyse in einem Assessment) vertraut machen, aus früheren Erlebnissen lernen und dann immer wieder üben, üben, üben. Das ist der Idealfall.
Nun wissen wir aber, dass das im betrieblichen Alltag so meist nicht läuft. Deshalb gibt es Spezialisten, die schon in der Prävention helfen können, Notfallpläne zu erstellen und auch die notwendigen Schulungen durchzuführen. Aber auch ein Mindestmaß an Standardisierung bei schriftlichen Notfallunterlagen kann dem Personal schon die nötige Sicherheit verleihen, in Ausnahmefällen ruhig und kompetent statt hektisch und verwirrt zu reagieren.

Wie ist das eigentlich mit den Schnittstellen, etwa bei Gastveranstaltungen?

Die VStättVO (Anmerkung: Versammlungsstättenverordnung des jeweiligen Landes) sagt dazu, dass der Betreiber einer Veranstaltungsstätte für die Sicherheit der Veranstaltung verantwortlich und zur Einhaltung diverser Vorschriften verpflichtet ist. Sie sagt aber auch, dass der Betreiber diese Verpflichtung an einen (externen) Veranstalter übertragen kann. Dazu muss er ihn mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut machen und das auch schriftlich vereinbaren. Standardisierte Unterlagen können in einem solchen Fall von großer Hilfe sein und beitragen, umfangreiche Übergabegespräche zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Ihr Rat für den Notfall lautet?

Alles unternehmen, um Menschen und Werte zu schützen. Auf hoffentlich vorhandene Krisenhandbücher zurückgreifen und externe Unterstützung über eine Hotline anfordern. Im deutschsprachigen Bereich etwa bei der Europäischen Akademie für Krise & Management (www.EAKM.com): +4319690100.
Noch etwas für das betroffene Management: authentisch bleiben - soll heißen: Eine Führungskraft darf auch in kritischen Situation ihr übliches Verhalten nicht ändern. Das erhöht die Glaubwürdigkeit der Person und verhindert Verunsicherung des Personals.
Notfälle sind fast immer eine schwere Belastung für ein Unternehmen oder eine Organisation. Nicht immer folgt daraus eine Krise. Sobald jedoch die Öffentlichkeit involviert ist, sollte man die Krisenprozeduren anlaufen lassen.
Eine gewissenhafte Prävention ist keine Garantie, aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nimmt eine Krise einen wesentlich kontrollierteren Verlauf. Zum Schluss noch ein Zitat: Besser, man hat einen Krisenplan und braucht ihn nicht, als man braucht ihn und hat ihn nicht!

Interview: Christiane Appel

m+a NEWSLINE Nr.8 / 2005 vom 14.04.2005
m+a NEWSLINE vom 14. April 2005