Digitalisierung ist in aller Munde, doch wie ist der Status quo bei den Messegesellschaften? Ein Blick hinter die Kulissen offenbart, dass im Hintergrund an vielem gearbeitet wird, um echte Service-Innovationen zu ermöglichen, doch noch laufen vor allem Vorbereitungsarbeiten. Erste Angebote geben Hinweise, in welche Richtung die Reise gehen kann.

von Gwen Kaufmann Neuland? Das ist die Digitalisierung deutscher Messegesellschaften nach eigenen Angaben längst nicht mehr. Anmeldungen von Ausstellern und Besuchern sowie die Buchung von Services seien bereits seit etlicher Zeit auf elektronischem Wege möglich und würden inzwischen so gut wie ausschließlich auch auf diesem erfolgen, so der Tenor. „Alle Leistungen für Aussteller können digital geordert werden“, beschreibt es Christian Plenge, der seit November 2017 den neuen Geschäftsbereich Digitale Strategie und Kommunikation der Messe Düsseldorf leitet. Allerdings ist die Customer Experience noch nicht optimal, weil das aktuell eingesetzte System digitale Formulare verwendet. Die Umstellung auf einen „echten“ Online-Shop, wie man ihn aus dem E-Commerce kennt, ist derzeit im Gange. Schon für die Euro Cis (27. Februar bis 1. März) können die Aussteller von der neue Variante profitieren.

Bereits weiter ist die Messe Frankfurt, die ein solches umfassendes Shopsystem seit 2016 in Betrieb hat, das gleichzeitig bei Bedarf das ausstellerinterne Projektmanagement inklusive personenabhängiger Zugriffsrechte und Entscheidungsbefugnisse abbilden kann. „Die Digitalisierung des Shops liefert Transparenz“, erläutert Andreas Winckler, der seit Oktober 2017 als Chief of Information Technology diesen Bereich in der Geschäftsleitung der Messe Frankfurt verantwortet, den zentralen Vorteil. Alle Servicekomponenten seien mit entsprechenden Preisen hinterlegt, so dass alles auf einen Blick sichtbar ist. Für die Frankfurter zahlt sich das aus: Aussteller seien besser informiert und Beratungsgespräche könnten auf einem konkreteren Niveau einsteigen – durchaus verbunden mit einem Trading-up der Leistungen. Eine weitere Komponente des Systems ist der Versand von Besuchercodes per Mailingfunktion. Durch die direkte Einbindung in das System ist eine Erfolgskontrolle, welche Codes eingelöst wurden und welche nicht, möglich. Außerdem kann im Nachgang überprüft werden, welche Codes tatsächlich auf die Messe gekommen sind. Ein praktisches Tool, findet Winckler, das Ausstellern helfe, zielgenauer im Vorfeld zu wissen, ob gewünschte Besuchergruppen erreicht wurden. Danach ließen sich dann weitere Kampagnen ausrichten und auch das Standpersonal, etwa hinsichtlich der Markt- oder Sprachkompetenz, planen. „Das Feedback der Aussteller zeigt uns, dass ihnen das System wirklich nutzt.“

Bei der Entwicklung neuer digitaler Services konzentriert man sich in Frankfurt auf das, was wirklich gebraucht wird. „Die Leitfrage lautet: Sieht der Aussteller einen Nutzen darin?“, formuliert Iris Jeglitza-Moshage, in der Geschäftsleitung der Messe Frankfurt als Chief of Communications und Senior Vice President Technology, den Anspruch. Auch in Hannover hat man sich das Ziel gesetzt, deutlich kundenorientierter zu werden und dafür mit der Gründung eines Digitalbereiches, der alle Aktivitäten des Unternehmens bündelt, die Voraussetzung geschaffen. „Digital Business & Transformation“ heißt diese Einheit der Deutschen Messe, die von Michael Mollath, dem Chief Digital Officer, geleitet wird. In der Organisationstruktur bedeutet das, dass der Chief Technology Officer ihm unterstellt ist, im täglichen Arbeiten entsteht durch die Integration „gefühlt mehr Harmonie“, schildert Mollath die Vorzüge. Hinsichtlich Kundenorientierung ist ihm jedoch wichtig zu differenzieren: „Kundenorientierung heißt nicht, jedem Kunden immer jeden Wunsch zu erfüllen, sondern ein möglichst gutes Kundenerlebnis zu bieten.“

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der für den Ufi-Digital-Index befragten Veranstalter weltweit gaben an, dass sie ihren bestehenden Veranstaltungen digitale Services und Produkte hinzugefügt haben.

Die Arbeitsabläufe der Aussteller vereinfachen und beschleunigen, das ist ein zentraler Anspruch, den die Messegesellschaften an ihre Digitalisierungsaktivitäten formulieren. Klaus Dittrich, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München, bringt es auf den Punkt: „Mit unseren digitalen Produkten und Services erleichtern wir den Ausstellern die Arbeit vor, während und nach einer Messe.“ Dazu zählen in München und andernorts digitale Austellerverzeichnisse, die vielfältige Möglichkeiten der Unternehmenspräsentation bieten. Diese würden von den Ausstellern jedoch bei weitem noch nicht optimal genutzt, um ihre Marke aussagekräftig zu präsentieren, beobachtet Christian Plenge: „Offenbar hat die digitale Repräsentanz noch keine hohe Priorität in der Messevorbereitung“, bedauert er. Damit digitale Verzeichnisse für Besucher einen Mehrwert stiften empfiehlt er, dass „Aussteller auch in diesem Bereich ihre Arbeit so toll machen, wie bei der Vorbereitung des Standes, und Informationen und Broschüren hinterlegen.“ Auf diese Voraussetzung baut auch die derzeit in Hannover entwickelte Applikation auf, die für Besucher einen „digitalen Jutebeutel“ zur Verfügung stellen wird, um Marketingmaterialen verschiedener Aussteller im Messeverlauf zentral zu sammeln. Ergänzend kann die App aufzeichnen, wo der Besucher unterwegs war, so dass er im Nachgang der Messe seine eigenen Aktivitäten bequem nachvollziehen kann. Als Testballon startet die Deutsche Messe diese App im Rahmen der Hannover Messe 2018 (23. bis 27. April).

PSEUDO-DIGITALISIERUNG DER MESSEWIRTSCHAFT
Ist die Messewirtschaft überhaupt schon ernsthaft in der Digitalisierung angekommen oder wird nur an einer Pseudo-Digitalisierung gearbeitet? Diese Frage warf das Digital Innovation Committee des Weltmesseverbands Ufi im Rahmen einer Session zu Digital Disruption auf dem 84. Ufi Kongress im November 2017 in Johannesburg auf. Das Meinungsbild im Raum war beim Publikums-Voting erstaunlich einhellig: Die absolut überwiegende Mehrheit war mit rund 95 Prozent der abgegebenen Stimmen der Meinung, dass nur eine vorgeschützte Digitalisierung erfolge. Auch wenn das Stimmungsbild natürlich keine repräsentative Aussagekraft hat, ist die Eindeutigkeit aufhorchenswert. Ja, es würden Technologien ausprobiert und es gebe auch positive Beispiele. Aber eine wirkliche digitale Transformation hin zu mehr Kunden-Zentrierung und neuen Geschäftsmodellen, so der Tenor, die würde in der Breite (derzeit) nicht erfolgen. Im Rahmen der kontroversen Diskussion fielen Aussagen wie „Viele Veranstalter sind zu langsam darin, innovative Lösungen auf den Markt zu bringen“, „Wir können nicht mit Big Data arbeiten, wenn wir nicht einmal unsere Small Data verstehen“ und „Viele Initiativen sind old school und haben nichts mit modernem Digitalbusiness zu tun“. Mehr Agilität und Veränderung der Organisationsstrukturen wurden als Voraussetzungen für eine tatsächliche digitale Transformation formuliert. kf

Von dort ist es ein nur ein kleiner Schritt zu standortbezogenen Indoor-Navigation für Besucher. Über die Einschätzung der Wichtigkeit eines solchen Angebots gehen die Einschätzungen auseinander. Während Christian Plenge daran glaubt, dass eine digitalgestützte Indoor-Navigation zukünftig als Hygienefaktor verpflichtend sein wird, teilt Andreas Winckler das nicht. Die Frankfurter hatten nach eigener Aussage bereits 2010 eine fertige Indoor-Navigationslösung erarbeitet, doch diese wurde zu wenig nachgefragt. „Es wird von den Besuchern kaum gewünscht, deswegen bieten wir es derzeit nicht an“, sagt Technologie-Chef Winckler, gibt aber auch zu verstehen, dass das System jederzeit kurzfristig einsatzbereit sei. „Aus Befragungen wissen wir, dass sich die Besucher auch gerne treiben lassen, um Neues zu entdecken“, pflichtet ihm seien Kollegin Jeglitza bei. Eine Empfehlung ähnlicher Aussteller auf Basis der zuvor besuchten schätzen beide als wenig nutzbringend ein, schließlich sei die Hallenaufplanung bereits so gestaltet, dass Themen geclustert und somit Anbieter ähnlicher Leistungen räumlich beieinander zu finden seien. Angesichts der durch solche Navigationsangebote auflaufenden Daten und der daraus erstellbaren aufschlussreichen Bewegungsprofile wird man am Main möglicherweise seine Meinung noch mal überdenken. Denn ein begehrlicher Blick auf solche Daten wird andernorts durchaus – mehr oder weniger konkret – geworfen. In Hannover sind nach Aussage von Michael Mollath alle „Datentöpfe“ so weit konsolidiert, dass ein 360 Grad Blick auf den Kunden genommen werden kann. Auch die Münchner sind diesbezüglich agil, denn, so Messechef Klaus Dittrich: „Ohne eine qualifiziere Datenbasis hilft das beste digitale Angebot nichts.“ An der Isar wurde das Kundendatenmanagement deshalb in einer eigenen Abteilung gebündelt, aus der heraus die Datenqualität überwacht und gesteigert wird, etwa durch den Abgleich mit Referenzdatenbanken. „Was dabei ganz wichtig ist: Wir gehen verantwortungsvoll mit den Daten unserer Kunden um. Daher bieten wir Dritten unsere Daten nicht zum Kauf an – obwohl wir um ihren Wert sehr wohl wissen“, unterstreicht Dittrich.

Neben dem Schlagwort Daten ist Schnelligkeit ein Begriff, der im Zusammenhang mit Digitalisierung immer wieder fällt. Sowohl in Hannover wie auch in Düsseldorf hat man sich auf die Fahnen geschrieben, Unternehmen dabei zu unterstützen, sich veränderten Marktbedingungen zügig anpassen zu können. „Digitale Transformation bedeutet, eine Organisation dazu zu befähigen, schnell auf Marktveränderungen reagieren zu können“, fasst Plenge zusammen. Das sieht Mollath genauso, und ergänzt: „Viele Unternehmen schaffen es nicht, schnell Lösungen für neue Rahmenbedingungen zu finden.“ Die Hannoveraner arbeiten daran, ihren Kunden dabei unter die Arme greifen zu können. Mit dieser Kompetenz im Gepäck zeichnen sich völlig neue Serviceangebote für Aussteller am Horizont ab – die sich beim Näherkommen hoffentlich nicht als Fata Morgana erweisen.

KOMMENTAR
Fragt man deutsche Messegesellschaften zum Status quo der Digitalisierungsaktivitäten, bekommt man vor Zuversicht strotzende Antworten. Es sei schon viel erreicht und der Rest in Vorbereitung. Das klingt nach soliden Plänen. Doch was ist tatsächlich in der Pipeline, auf welche neuen Angebote und Services können sich Aussteller wie auch Besucher freuen, die ihnen echten Mehrwert stiften? Da halten sich die Gesellschaften erstaunlich bedeckt. Sie scheinen eher noch in den Anfängen der Digitalisierung festzustecken als mit wehender Fahne die Möglichkeiten zu umarmen und ihren Kunden zugänglich zu machen. Sicher, die notwendige Infrastruktur auf die Beine zu stellen kostet Zeit und Geld und ist nicht mit einem Fingerschnipsen erledigt. Doch diese Vorbereitungsarbeiten scheinen an einigen Standorten gerade erst angelaufen, statt – wie man angesichts des möglicherweise von Alibaba, Amazon, Google und Co. drohenden neuen Wettbewerbs annehmen möchte – bereits vollzogen zu sein. Die Verfügbarkeit von flächendeckendem, stabilem und leistungsfähigem WLAN ist längst noch nicht überall eine Selbstverständlichkeit. Angebote wie Scan-to-Lead können vor dem Hintergrund durchaus wie ein Hohn wirken, wenn eine Echtzeitauswertung der Standbesucher an der dafür notwendigen Internetverbindung scheitert. Hier sollte dringend mehr Fahrt aufgenommen werden, um den Anschluss an die Digitalisierung nicht zu verpassen.

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Author Messe 1x1

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