Fachkräftemangel: Auf der Suche nach High Potentials

Sie ordern nie, ihre Fragen sind lästig und meist wollen sie nur Werbegeschenke: Jugendliche, Schüler und Auszubildende gehören zum wenig beliebten Publikum. Noch.

Während Wirtschaft und Politik um offene Ausbildungsplätze ringen, raubt den Personalverantwortlichen in den Unternehmen ein ganz anderes Problem den Schlaf. Die Zahl qualifizierter Jugendlicher, die für anspruchsvolle technische Ausbildungen das nötige Zeug mitbringen, schrumpft seit Jahren. Zur Klage über die schlechte Schulbildung gesellt sich die Tatsache, dass es schon in Kürze immer weniger junge Menschen geben wird. Höchste Zeit also, aktiv zu werden, um im anstehenden Wettbewerb um die High Potentials nicht als Schlusslicht zu leuchten. Ausbildungsmarketing nennt sich das noch recht junge Teilgebiet und die Aktivitäten greifen deutlich sichtbar auf Messen Raum. Dabei ist umstritten, ob Fachmessen der geeignete Ort sind, Nachwuchs zu akquirieren.

Schon seit 15 Jahren beispielsweise setzt der Zentralverband deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) für seine Nachwuchswerbung gezielt auf Messeauftritte. Heute ist er gemeinsam mit der Automobilindustrie, ihren Zulieferern, Herstellern und Importeuren auf den Fach- und Mehrbranchenmessen IHM (München), Automechanika und IAA (Frankfurt) sowie AMI (Leipzig) mit Ständen in der Größe bis zu 600 m2 präsent. Im Fokus: Realschüler und sehr gute Hauptschüler sowie deren Eltern. "Wir verfolgen aber nicht nur Ausbildungsinteressen, sondern wollen uns insgesamt gut aufstellen", so der für Berufsbildung zuständige ZDK-Geschäftsführer Ingo Meyer. In verschiedenen Aktionsinseln wird teils an schnittigen Kfz-Modellen über die Aspekte der Berufe rund ums Auto aufgeklärt. Während es auf der AMI speziell einen Schülertag gibt, steht es den Lehrern bei den anderen Fachmessen frei, wann sie kommen wollen. Sie werden im Vorfeld vom ZDK gezielt eingeladen, die Kontakte wurden in den vergangenen Jahren weiter ausgebaut. Neben der Kfz-Schau fand auf der IHM in München 2004 zum zweiten Mal die Sonderschau "Young generation" statt. Das Konzept: Show, Musik, Action und ein Segway (= rollerähnliches Fahrzeug)-Parcours ziehen Jugendliche an, dazwischen gibt es Informationen über Handwerksberufe. Damit wollen die Veranstalter auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe eingehen. Deren hauptsächliche Informationsmotive sind laut Marketingfachleuten das Streben nach
- Sicherheit und Geborgenheit,
- Gewinn, Besitz und Freiheit sowie
- Bequemlichkeit, Zeitgewinn, Stimulanz und Entdeckung.

Weniger auf Show auf der Messe denn auf der Straße setzt seit 15 Jahren die Nachwuchskampagne des Verbands Gesamtmetall ME-Berufe info. Sie zielt auf gewerbliche und akademische Berufe ab. In diesem Jahr wird das zehnte Infomobil eingeweiht, die Flotte ist bis zu 220 Tage im Jahr auf Deutschlands Straßen unterwegs. "Das ist ein optimaler Zugang zu den Jugendlichen, wir kommen so unmittelbar an die Orte, wie Freizeitparks oder Schulen, wo sich die Schüler aufhalten", so Wolfgang Gollub, Projektleiter PR bei Gesamtmetall. Von der Teilnahme auf Jugendmessen hält er nicht viel, das Umfeld sei "zu laut". Beste Erfahrungen indes habe die Kampagne auf dem Berufsbildungskongress in Nürnberg gemacht.
Gollub betreut auch die Pressearbeit der "Think Ing."-Initiative der Verbände Gesamtmetall, VDMA (Maschinen- und Anlagenbauer), ZVEI Elektronikindustrie, VDE (Elektrotechnik), VDI (Ingenieure) und VDA (Automobilindustrie), die vor allem den Ingenieurberuf attraktiv machen soll. Think Ing. wurde 1996 ins Leben gerufen und unter diesem Label stehen verschiedenste Aktivitäten von Verbänden zur Akquisition von Nachwuchs für den Ingenieurberuf. Die Organisation ist heterogen, die Partner bedienen sich für ihre individuellen über ganz Deutschland verstreuten Aktionen der Werbematerialien. Es stehen etwa 30 Broschüren zur Verfügung in über 100 000 Auflagen. Alle Informationen werden auf der im Januar 2004 relaunchten Internethomepage www.tink-ing.de gebündelt.

Think Ing. liefert auch das Rüstzeug für die Auftritte von VDMA und ZVEI auf der Plattform Go for High Tech auf der Hannover Messe. Diese Sonderpräsentation - 2004 in Halle 23 - startete 2001 und erlangte in diesem Jahr erstmals die Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums. Sie war in drei Bereiche eingeteilt: ,Planet Hightech' sprach Schüler und akademischen wie gewerblichen Nachwuchs an. Im ,Job & Career Market' suchten Unternehmen Nachwuchs. Die dritte Insel, die dem von der Bundesregierung ausgerufenen "Jahr der Technik" gewidmet war, sollte Besuchern generell Lust auf Technik machen. Zur Messe wurden Schüler, Auszubildende und Studenten in speziellen Career Express quer durch Deutschland nach Hannover gebracht. Die Fahrzeit in den IC-Zügen wurde für Vorträge und Einzelgespräche genutzt, der Aufwand von Industriepartnern gesponsert. "Wir wollen wieder Begeisterung für Technik wecken und mit Vorurteilen aufräumen", so Michael Deimel, Technischer Referent für Berufsbildung beim VDMA. Von Ingenieuren werde heute mehr als die Veranlagung zum Daniel Düsentrieb-Typ verlangt, im Alltag seien kommunikative Fähigkeiten gefragt. Die Imagebildung solle sich dabei nicht nur auf die Go for High Tech-Plattform konzentrieren, sondern auch das gesamte Messeambiente soll auf die Jugendlichen wirken. "Wir wünschen uns natürlich, dass die Studenten nicht nur zu uns kommen, sondern auch die Messe anschauen", so Deimel. Die Schüler der Klassen acht bis zehn werden über einen Schulkalender-Verlag eingeladen. Am Messesamstag kostet der Eintritt für Studenten maximal 4 EUR, während er an den Wochentagen bis etwa 12 EUR liegt. Der Besucheranteil von Schüler, Auszubildenden und Studenten an der Hannover Messe beträgt seit Jahren kontinuierlich 8 %. Offen ist derzeit, wie Go for High Tech im kommenden Jahr weitermacht. Die Hannover Messe wird ab 2005 um einen Tag gekürzt, diesen Bestrebungen fällt der Samstag zum Opfer. Zudem ist die Halle 23 bereits für eine andere Messe gebucht.

"Hamburg wird in Kürze der weltweit drittgrößte Standort für Flughafenbau sein, wir werden in den nächsten Jahren einen enormen Bedarf an Fachkräften haben", begründet Wolfgang Mackens von der TU Hamburg-Harburg sein Konzept. Er organisiert und leitet die Sonderschau auf der regionalen Fachmesse Nortec, die von den Partnern aus der Wirtschaft und der Hamburg Messe finanziert wird. Sein Motto: Wenn wir die Jugendlichen einmal hier haben, lassen wir sie so schnell nicht mehr los. Sobald die Schüler am Messeeingang eintreffen, werden sie von studentischen Hilfskräften rundum betreut. Die Klassen müssen sich bereits weit im Vorfeld anmelden und für jede Gruppe wird ein individuelles Besucherprogramm ausgearbeitet. An der Nachwuchskampagne, für die die Messe Hamburg die Fläche zur Verfügung stellt, machen etwa 40 weitere ausstellende Firmen mit, die für junge Standbesucher ein offenes Ohr haben. Die vergangenen Jahre wurden auf diese Weise jeweils 1300 Schüler in rund 50 Gruppen über das Messegelände begleitet. "Mehr ist nicht drin" weiß Mackens. Sein Konzept kommt bei den Jugendlichen an: Insgesamt hat sich der Besucheranteil von Schülern, Auszubildenden und Studenten von 22 % im Jahr 1998 auf 36 % im Jahr 2004 erhöht. Erstmals in diesem Jahr soll nun die Initiative auch nach der Messe über das Internet fortgesetzt werden. "Wir wollen künftig über die Nortec hinaus ganzjährig im Bewusstsein der Jugendlichen bleiben. Deshalb veranstalten wir in den Nortec-freien Jahren den Tag der offenen Tür", so Mackens.

Andere Wege beschreiten seit Jahren die so genannten "Werkstattstraßen" auf den regionalen Elektrofachmessen. Hier durchlaufen die Schüler einen fachlichen Parcours. Die Werkbänke mit Werkzeugen und Produkten verschiedener Hersteller bilden die einzelnen Stationen, an denen die Kids sich versuchen. "Ich habe Installationen kennen gelernt, die ich sonst nie im Betrieb mache", berichtete ein Auszubildender auf der ELTEC in Nürnberg. Auch die Aussteller schätzen die Werkstattstraße, erreichen sie hier doch auf direktem Weg ihre Kunden von morgen. Auf der ELTEC 2003 in Nürnberg zog sie, die sich TechnoCamp nennt, rund 1500 Auszubildende an.
Die Wege zum jugendlichen Publikum sind bunt. Die Aktivitäten werden in nächster Zeit zunehmen. Dabei wird die professionelle Ansprache der Jugendlichen in das jeweilige Messeumfeld und den Messetyp anzupassen sein. Die Vorteile für die Messeveranstalter liegen auf der Hand: Die Initiativen der Verbände und Aussteller ist eine Chance, auch eigenen Publikumsnachwuchs zu ziehen. Wer von Jugend an gewohnt ist, sich auf Messen zu informieren, wird auch in Zukunft darauf nicht verzichten wollen. Petra Schmieder

m+a report Nr.4 / 2004 vom 11.06.2004
m+a report vom 11. Juni 2004