"Kongresse sind ein Käufermarkt"

Edgar Hirt, Leiter des Internationalen Congress Center München (ICM) und Vizepräsident der International Association of Congress Centres (AIPC) über veränderte Kundenanforderungen, Überkapazitäten und exotische Destinationen.

Haben sich in den letzten Jahren die Kundenanforderungen an Kongresszentren verändert?
Seit der Eröffnung des ICM im Oktober 1998 sind jetzt volle acht Betriebsjahre vorbei und wir haben eine sehr stürmische Entwicklung erlebt. Die Anfangsnachfrage war gigantisch, und der Kalender extern mit 60 % Firmengeschäft und 40 % Verbandsgeschäft sehr schnell gefüllt. In den ersten Jahren wurde das ICM allerdings auch sehr stark durch die Messe selbst frequentiert.
Aber wir können im ICM bis zu 6000 Teilnehmer aufnehmen und haben selbst bis zu 8000 Quadratmeter Ausstellungsfläche im Haus. Das ist für messebegleitende Veranstaltungen einfach zu groß. Anfangs hatten wir rund 150 Belegtage durch die Messe, jetzt sind es wahrscheinlich nur noch 50. Gastveranstaltungen sind daher immer wichtiger geworden. Dafür ist München ein großer Quellmarkt, 60 bis 65 % der Veranstalter speziell im Corporate Business sitzen im Münchner Raum. Im April/Mai war bei uns beispielsweise die sogenannte HV-Season, in der die Allianz, Münchner Rück, Hypo Vereinsbank oder Siemens ihre Hauptversammlungen abgehalten haben. Und während eine Bauma, Drinktec oder IFAT stattfindet, haben es Gastveranstaltungen in München auch deshalb schwer, weil die Hotelpreise in dieser Zeit relativ teuer sind.
Grundsätzlich ist allerdings die Anfangseuphorie mittlerweile vorüber. Wir sind ein Spiegelbild der Wirtschaft und zähe Preisverhandlungen auch mit Stammkunden, die zurzeit alles äußerst preisbewusst hinterfragen, sind unser tägliches Geschäft.
Außerdem erwartet der Kunde heute eine wesentlich höhere Beratungsintensität. Früher wurden Veranstaltungskonzepte von den Clients eher selbst gemacht, das hat sich jetzt völlig verändert. Und inzwischen könnten wir prinzipiell zehn bis fünfzehn kleine bis mittelgroße Räume zusätzlich gebrauchen. Bei Veranstaltungen, die noch einmal 40 bis 50 Räume extra benötigen, kommt uns dann aber zugute, dass das Kongresszentrum zur Messe München gehört und die nächste Messehalle nur zwanzig Meter entfernt ist. Dort können wir dann additiv benötigte Konferenzräume problemlos einbauen.

Wann war die Anfangseuphorie vorbei?
Unser bestes Jahr war 2001. Bis zum Milleniumswechsel hatten wir sowohl hinsichtlich der Anzahl der Veranstaltungen als auch bezüglich des Umsatzes sehr große Steigerungsraten. Als dann der New-Economy-Markt zusammenbrach war München als IT-Standort stark betroffen. Die Auswirkungen im Corporate Business waren erheblich. Hauptversammlungen von IT-Shooting-Stars wurden abgesagt und auch medizinisch-wissenschaftliche oder technische Kongresse litten in den letzten Jahren unter Sparzwängen. Gleichzeitig nehmen die Konzentrationsprozesse im Corporate Bereich stark zu. Vor einigen Jahren gab es noch Hewlett-Packard und Compaq, nach der Verschmelzung fällt einer als Kunde schon mal weg. Wir versuchen uns deshalb möglichst breit aufzustellen, viele Branchen im Corporate Geschäft als Kunden zu gewinnen und auch zwischen Corporate-Clients und Verbandsgeschäft eine gesunde Balance zu halten.

Entwickelt sich der Kongressmarkt immer mehr zu einem Käufermarkt?
Das ist er eigentlich schon seit zwanzig Jahren. Der Kuchen wird immer kleiner und die Anzahl der Versammlungsstätten wächst überproportional zur Nachfrage. Dieser Trend hält weiter an. Parallel dazu nimmt die Anzahl der kleinen Veranstaltungen zu, die wenigen großen werden eher noch größer und das Mittelfeld erodiert. Und gerade dieses Mittelfeld ist sowohl für die Auslastung als auch den Umsatz immens wichtig.

Wie sieht die Umsatzkalkulation des ICM aus?
Bei rund 80 Gastveranstaltungen, die im ICM pro Jahr stattfinden wird ein Drittel des Umsatzes von drei bis vier Veranstaltungen generiert. Das zweite Drittel bringen die mittelgroßen Veranstaltungen und der Rest muss von den kleineren Veranstaltungen mit Gruppengrößen von 500 bis 1500 Personen erwirtschaftet werden. Wir bieten jetzt zunehmend Pakete und Bausteine an. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, das mehr und mehr Kunden vertraglich gebunden sind und Technik von außen mitbringen.

Welche speziellen Services bietet das ICM für Veranstalter an?
Wir vermieten in erster Linie das ICM und seine attraktiven technischen Vorraussetzungen und bieten eine hervorragende Beratungsqualität. Und als Broker führen wir Kunden natürlich mit anderen Leistungsträgern wie Destination Management Companies und Agenturen zusammen.

Wie hoch sind die Preise im internationalen Vergleich?
International sind wir eher teuer. In den Niederlanden und Großbritannien kann man Kongresszentren wahrscheinlich günstiger buchen. Die Personalkosten bei uns sind hoch, qualifizierte Tonmeister oder Lichtingenieure haben eben ihren Preis. Aber wenn man die Hotelkosten beispielsweise mitkalkuliert, liegen wir bei einer Gesamtkostenrechnung wieder im Mittelfeld.

Wer ist die Kernzielgruppe?
Wir wollen nicht mit der in München sehr guten Tagungshotellerie in Konkurrenz treten. Wir haben hier sechs, sieben Hotels, die bis zu 1000 Personen locker unterbringen können und ihre Berechtigung haben. Das ICM muss deshalb versuchen, Veranstaltungen mit einer Größenordnung von mehr als tausend Personen als Kunden zu gewinnen.

Aus welchen Branchen kommen die wichtigsten Kunden?
Aus der Medizin, der Informationstechnologie, dem Banken- und Versicherungssektor und auf etwas niedrigerem Niveau der Pharmabranche.

Der Pharmakodex hat auch für Kongresszentren Auswirkungen gehabt?
Ja. Wobei wir noch die Hoffnung haben, dass wir als relativ nüchternes Informationsvermittlungstool von einer gewissen Renaissance der klassischen Fachkongresse in Zukunft profitieren könnten. Es müssen ja nicht immer exotische Destinationen und goldene Wasserhähne sein.

Welchen Zweck erfüllt die Mitgliedschaft bei den ,Seven Centers?
Wir betreiben Empfehlungsmarketing. Und arbeiten im internationalen Wettbewerb zusammen. Interview: Dirk Mewis

m+a report Nr.6 / 2006 vom 22.09.2006
m+a report vom 22. September 2006