Trend Entmaterialisierung: Räume gestalten mit Licht

Aussteller und Veranstalter erkennen zunehmend die gesamtkünstlerische Bedeutung der Lichtgestaltung in ihren Botschaften. "Ist es, wie es scheint?"

In der heutigen Gesellschaft steht die Dienstleistung gleichwertig und gleichgewichtig neben der Produktion. Die Produkte sind hybride, das heißt, sie kombinieren sich aus Materiellem und Dienstleistungen. Dieses globale, netzwerkartige Ineinandergreifen von materiellen und immateriellen Produktionen wirkt sich auf unsere Kommunikations- und Marketingformen aus.
Vor diesem Hintergrund schafft der Einsatz von Kunstlicht und AV-Medien neue Wertigkeiten in der Standgestaltung und ist zunehmend das zentrale Gestaltungsmittel für den Messearchitekten. Die Aussteller und Messegestalter erkennen verstärkt die Kunstlichtgestaltung als dramaturgisches und inszenatorisches Gestaltungsmittel, das neben der reinen Produktpräsentation eine Vielzahl von realen und virtuellen Darstellungen in der heutigen Unternehmenskommunikation übernimmt.
Das Kunstlichtkonzept wird zum Marketinginstrument der Unternehmen und ermöglicht die dramaturgische und szenografische Gestaltung und Visualisierung von Marken und Markenwelten. Das Ziel ist, eine bestimmte Wirkung, Stimmung oder Botschaft den Besuchern nachhaltig zu vermitteln. Das Ziel ist der Mensch, der Kunde und Partner, der sowohl als Protagonist Bestandteil des Projekts und Unternehmens wird, als auch als Gast, Trailer und Kommunikator in Zeit und Raum die Markenphilosophie des Unternehmens weiterträgt.

Die folgenden Referenzen dienen als mögliche Tendenzen, Aufgabenfelder und Kommunikationsarchitekturen für die Unternehmensgestaltung und deren Messeauftritte und erklären bildhaft die angewandten Methoden zur Realisierung solcher vielschichtiger Produktionen.
Die Herausforderung unserer Arbeit ist die Ermittlung und Generierung von Architektur, Räumen, Design und Atmosphären unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Anforderung. Unsere Produktionen sind experimentell ausgerichtet, die Arbeitsformen extrem beweglich und in projektspezifischen Teams organisiert. Unter dem Motto "form follows content" ist das Ziel aller Projekte die Konzeption, Planung und Durchführung einer Veranstaltung der Bereiche Ausstellungen, Messen, Design, Film, Theater und Stadtgestaltung unter besonderer Berücksichtigung eines gesamtkunstwerklichen Anspruchs.
Das bedeutet, dass sämtliche notwendige Strukturen, von der inhaltlichen Anforderung über bauliche Entwürfe bis hin zur Durchführung der Veranstaltung inklusive Finanzierung und Marketing jeweils für einen individuellen Entwurf durchdacht und dann in einer durchgängigen Projektstruktur realisiert werden. Die verschiedenen Sparten wie Bauen, Licht, Grafik, Ton/Musik, AV-Medien und Produktion werden individuell betreut und mittels begleitender Workshops dramaturgisch in Szene gesetzt.
Jedes Projekt soll ein Liveact werden, bei dem der oder die Künstler Teil der Inszenierung sind oder die Inszenierung Teil der Performance ist. Wichtig ist uns der Anspruch möglichst alle Sinne und das Charisma der Architektur in einer Einheit zu verschmelzen, zu einem Gesamtkunstwerk im Sinne einer wagnerschen Oper.

Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie meines Büros für das Kölner Bäderamt zur Umnutzung von Kombibädern zu Spaßbädern begegnete mir das Deutz-Kalker-Bad erstmalig. Ein Gebäude für die Sinne, ein Raum aus dem Jahr 1910, geschaffen als Bad und Ort für die Arbeiter der Deutz-Klöckner-Werke, heute ohne Wasserrechte. Das Bäderamt überließ mir diesen optionalen Raum für ein Experiment. Wie viel Vorstellungskraft und ungenierte Assoziationen, idealistische Erinnerungen, surreale Visionen, entrückte Realitäten können in ein flüchtiges Erlebnis umgesetzt werden?
Die Kunstlicht- und Medieninszenierung "O.N.S. - one night stand - Architektur für eine Nacht", eine experimentelle Performance, erzählte die Geschichte eines vergessenen Orts und die damit verknüpfte mysteriöse Biografie des Bademeisters. Dem Besucher eröffnete sich ein realer und virtueller Weg durch das Gebäudeinnere sowie in die Vergangenheit eines Mannes, dessen Leben in unmittelbarer Abhängigkeit zum Bad stand. Die beiden Lebensgeschichten (Bad und Bademeister) verliefen parallel, fast symbiotisch, welche in der Konsequenz zum gemeinsamen Ende, dem Tod von Mensch und Architektur führte.
Als ergänzende Ausstellungsfläche dienten die 50 Einzelkabinen um das Schwimmbecken über zwei Etagen. Studierende, Künstler und Designer nutzten spannende Raumsituationen und Kabinen des Gebäudes für eigene themabezogene Ausstellungsprojekte und Installationen.

Die Luminale, bereits als "Biennale des Lichts" gehandelt, knüpft an die Traditionen der "Design Horizonte" an, die die Messe Frankfurt zu Beginn der 90er ins Leben gerufen hatte und die eine Verbindung zwischen Messegelände und Stadt, zwischen Bürgern und Messegästen initiieren sollte.
Eines der letzten Frankfurter Gebäude der Jahrhundertwende in der Goethestraße, das Modehaus Pfüller, spielte die Hauptrolle in der nächtlichen Kunstinszenierung vor zwei Jahren. Anlässlich des ersten Todestages von Iannis Xenakis wählten wir als Hommage eine seiner Kompositionen. Zur Raummusik "la legénde d'er (1976/77)", komponiert zur Eröffnung des Centre Georges Pompidou, erschien uns die massive Struktur der Objektfassade des Gebäudes als eine vielschichtige, filigrane Lichtskulptur. Mit Hilfe unseres 360 Seiten starken Regiebuches entwickelten wir im Sekundentakt die Licht- und Tonchoreographie.
Ein Stadtobjekt mit Licht- und Tonarchitektur, das Projekt "Blitzlichtgewitter", ist die nächtliche Licht-Ton-Kunstinszenierung von Architektur und seinem öffentlichen Raum. Mittels Lichtschichtung, -tiefe, -einfärbungen, -zeichen und Blitzen wurden die architektonischen Formen und Räume des Ortes verfremdet und fließend (für uns interpretationsfähig). Das Phänomen Ton, Licht und Schatten durchdrangen Raum und seine Materie. Die Dinge erschienen oder verschwanden, wurden spürbar oder transparent.
In der Komposition und der Dramaturgie der Mittel entstand ein neuer Ort, ein Kosmos, Raum für unsere Kreativität und Fantasie. Das Modehaus Pfüller wurde zum Akteur, zum Erzähler unserer und seiner eigenen Geschichte. Die Gäste gingen eine Symbiose mit der Architektur ein und erlebten den Ort ganzheitlich. Sie selbst wurden zu Protagonisten in Klang, Licht, Raum und Zeit.
Der Stadtraum, das Charisma des Ortes und die Architekturobjekte wurden von uns nach dem Vorbild der historischen italienischen Stadt zum inszenierten Bühnenraum im Sinne einer Oper verschmolzen. Ein Stadtobjekt mit Licht- und Tonarchitektur. In der aufkommenden Dämmerung änderte sich unsere Wahrnehmung der steinernen Stadt und führte uns in die Dramaturgie und Faszination der Stadt der Lichter und Lichtvisionen.

Die "Blaue Nacht", im Jahre 2000 erstmalig veranstaltet, ist im Großraum Nürnberg zu einem wahren Publikumsmagneten herangewachsen. Nüchtern betrachtet ist sie nur eine lange Nacht der Museen, eine von 200 pro Jahr, wie diese in vielen deutschen Städten praktiziert wird. Im direkten Vergleich mit anderen Städten jedoch organisiert die Stadt Nürnberg (Büro Kulturprofile) zusätzlich ein illuminiertes Stadtfestival, welches für die Menschen auch außerhalb der Museen künstlerische und spektakuläre Darbietungen bereithält - die zum Teil sogar ohne Eintrittskarte zu genießen sind.
Ähnlich einer Dramaturgieanweisung im Theater inszenierte die Installation "Linie 03" mit ihrer Lichtchoreographie die scheinbaren Erlebnisse der Protagonisten der Blauen Nacht. Der nächtliche Parcours führte durch 22 Szenenbilder in die zentrale Kunst-Lichtinstallation auf dem Hauptmarkt und verwandelte den öffentlichen Stadtraum in einen begehbaren und bespielbaren Bühnenraum.

Das Medium ist nun existent und wird von uns weiterentwickelt und weitererprobt wie zum Beispiel als Fassadenbeleuchtung bei der ELDA-Tagung in Helsinki. In Zukunft werden dann Kunststoffe benötigt, die transluzent sind, aber dennoch eine B1-Zertifizierung aufweisen, um die Pixel auch in Innenräumen, zum Beispiel im Set- und Messebau (Red Nose Day/ Rosenstolz) nutzen zu können. Das Leuchtmittel, die einfache 40-W-Glühbirne, wird zukünftig gegen RGB-Dioden ersetzt werden, so dass neben dem Dimmen auch additive Farbmischungen möglich sind.
Unser künstlerischer Ansatz konzentriert sich auf eine Installation, die von den Besuchern auf Anhieb verstanden wird und den Menschen Freude bereitet - sie gar zum Akteur der Installation werden lässt. Es ist eher eine Mischung aus Idee und den derzeit technischen Möglichkeiten. Aus unserer Sicht ist die Installation nicht ausschließlich ein Erfolg der Blauen Nacht 2003, sie präsentiert, ähnlich der Erfindung des Lampions, ein modernes Inszenierungsprodukt für die künstlerische Intervention des öffentlichen Raums mittels modularer und stapelbarer Leichtbausysteme mit neuester Kunstlichttechnologie für den festen und temporären Einsatz bei Expos und Public Events - ein Produkt mit Zukunft und Perspektive.
Linie 03 steht für einen zeitlichen und anarchistischen Prozess mit dem Ziel, die anfängliche Grundidee mit weiteren Linien 04, 05, 06 und so weiter zu vervollständigen. Mit jeder weiteren Blauen Nacht soll sich die Anzahl der Pixel erweitern und bis 2006 zur Fußballweltmeisterschaft eine vollständige Wegführung über 3,2 km für die Menschen erlebbar machen, womit wir wieder bei unserer ersten Konzeption sind.

Das wachsende Angebot von Messen, Ausstellungen und Veranstaltungen verlangt nach einer Differenzierung und zusätzlichen Qualität. Vor diesem Hintergrund, wie auch dem Versuch diese temporären Szenarien gesamtkünstlerisch zu bespielen, haben wir in einer Reihe von Veranstaltungen und Projekten Schauspieler eingesetzt, die als Kunstfiguren - so genannte Poser - unsere Architekturen dramaturgisch bespielen. Der Poser versteht sich hier als Verstärker oder Trailer, der Interaktivitäten und Inhalte kommunizieren kann. Sein Spiel mit dem Publikum und unseren Projekten entwickelt zusätzlich eine populäre Verständigungsebene. Im Rahmen der Kunstlichtinstallation Linie 03 konnten die Gäste der Museumsnacht in Nürnberg über unsere blauen Wesen in der eigens entwickelten "Blausprache" mit der Installation Linie 03 kommunizieren und Botschaften versenden.

Bei dem von uns gestalteten Themenpark der Industriemesse "EU'Vend 2003" empfingen Spielkartensoldaten die Besucher bereits in den Freibereichen vor den Hallen und marschierten mit den Messegästen durch die Kölner Messehallen. Aus dem hektischen Run in die Messe wurde ein bespielter Parcours, der positiv auf den Messetag einstimmte.

Mit dem Thema Stadtarchäologie als Untersuchung und Darstellung materialisierter Architektur- und Stadtgeschichte präsentierten wir im Rahmen einer Ausstellung die archäologischen Wurzeln eines Bauwerks aus den 60er Jahren im Maßstab 1:1. Blaues Licht betonte die horizontale Struktur der Fassade und machte aus der "brise-soleil" die "brise-lumière nocturne": Die Transformation der Sonnenbrecher zu großformatigen Kunstlichtschichten verwies auf die unter dem Gebäude liegenden stadtarchäologischen Schichtungen. Wie aus einem Geschichtsbuch erzählten nun großformatige computergesteuerte Projektionen mittels historischer Textstellen die Geschichte des Ortes auf der vielschichtigen Stadtfassade. Die Besucher der Ausstellung erhielten ein Wertegefühl für den historischen Standort des Gebäudes.

Fazit: Die inhaltliche Bandbreite und die engen Produktionszyklen unserer Projekte zeigen die Vielfältigkeit und extremen Anforderungen, die Gestalter und Produzenten von Kunstlichtinszenierungen zu leisten haben. Bei Erfolg kann es dazu führen, dass Veranstaltungen wie beispielsweise die Museumsnacht in Nürnberg, im Jahr 2000 erstmalig als "Blaue Nacht" mit etwa 60 000 Besuchern, durch geschicktes City-Management und City-Marketing und hoher gestalterischer und künstlerischer Qualität zu einem Publikumsmagneten mit heute circa 130 000 Besuchern in einer fünfstündigen Veranstaltung heranwächst.
Diese extremen Anforderungen stellen sich natürlich an alle unsere Disziplinen. Sie erfordern auf der einen Seite ein hohes Maß an künstlerischer und logistischer Planungskultur und professionelle Erfahrung im Umgang mit temporären Strukturen und mit Licht inszenierten Bauten und auf der anderen Seite ein modernes Marketing und Management, die die Voraussetzungen auf inhaltlicher, finanzieller und räumlicher Ebene örtlich vorzubereiten haben.
Aus unserer Sicht hat der Einsatz der Kunstlichtgestaltung bei Weitem noch nicht seinen Höhepunkt erreicht, die zukünftigen Anforderungen an die gesamtkünstlerische und technische Gestaltung solcher Szenarien ist im Verhältnis der Unternehmensauftritte gewachsen und perspektivisch. Messegesellschaften, Kommunen und Veranstalter sollten die Inszenierungen in ihren Gebäuden nicht als Sonderschau oder Trend kategorisieren, sondern den Auftrag erkennen ihre Hallen und Veranstaltungsgelände für kommende Licht- und Medieninszenierungen aufzurüsten und auszubauen.
Dieser Anspruch an Professionalität und gesamtkünstlerisches Schaffen ist unumgänglich, denn im Vergleich mit Architektur haben Messen und Events einen eher scheinbaren und flüchtigen Charakter, deren Faszination und Kognition in den Erinnerungen des Gesehenen und Erlebten in Kopf und Herz des Publikums nachhaltig verankert werden. Wie im Theater entscheiden hier Sekunden über Erfolg oder Misserfolg eines Stücks. Takt, Erzählart und Dramaturgie der Geschichte helfen, den Besucher unter Spannung zu halten und fesseln ihn an die Inhalte und Themen unserer Inszenierungen.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist aus unserer Erfahrung ein Muss, denn wie die Geschichte zeigt, sind eine Vielzahl der angesetzten Public Events über ihre Off-Veranstaltung nie hinweggekommen. Jochen Siegemund

m+a report Nr.3 / 2004 vom 23.04.2004
m+a report vom 23. April 2004