Schaumgeborene Genüsse

Molekulare Gastronomie ist die alchimistische Verquickung von Wissenschaft und kreativen Gaumenfreuden und als solche seit einiger Zeit in aller Munde. Bei immer mehr Events ist "Science Food" angesagt.

Die einen loben sie als neue Möglichkeit, die andern schmähen sie als den besten Marketinggag der letzten Zeit: die molekulare Gastronomie. Durch ihre technologischen Möglichkeiten war die Lebensmittelindustrie gegenüber dem handwerklich versierten Koch und Gastronomen bislang im Vorteil. Viele Dinge - zu nennen sind beispielsweise stabile Schäume oder knackige Waffeln mit flüssigen Füllungen und das jeden Tag in gleicher und vor allem lagerungsfähiger Qualität - waren in der Spitzengastronomie küchentechnisch unmöglich und allein der industriellen Lebensmittelverarbeitung vorbehalten.
Inzwischen sind Meisterköche zwischen Labor und Herd zu Hause. 3-Sterne-Koch Heston Blumenthal (The Fat Duck), der Katalane Ferran Adria (El Bulli an der Costa Brava) und Pierre Gagnaire aus Paris setzen auf auf "Molekulare Gastronomie". Innovative Caterer machen sich daran, die neuen technologischen Möglichkeiten auch für Events nutzbar zu machen.
Das Catering-Unternehmen Kofler & Company aus Frankfurt setzt diese Küchentechniken bereits seit einiger Zeit mit Erfolg ein. "Mit am Herd" steht dabei das Technologie-Transfer-Zentrum Bremerhaven (TTZ), das die technologischen Möglichkeiten auf die gastronomischen Bedürfnisse zugeschnitten hat. Bei den Caterern spielt die molekulare Gastronomie eine immer wichtigere Rolle, da allein die Zubereitung zum spektakulären Event werden kann. Beim "Kochen mit Stickstoff" wird beispielsweise eine Fruchtmousse in minus 173° C kalten flüssigen Stickstoff getaucht. Dabei knackt und knistert es, kalter Dampf wabert über den Rand des Gefäßes. Das sieht richtig gut aus und die Mousse erhält außen eine zarte eisig-knusprige Hülle, bleibt innen jedoch schmelzend und lässt sich verzehren wie ein Mohrenkopf.
Interessant ist auch das Liquid-Food-Verfahren. Dabei werden Flüssigkeiten, die vorher reduziert und geschmacklich konzentriert wurden, in Verbindung mit Alginaten (Verdickungsmittel aus Braunalgen) verkapselt. Diese kleine Geschmacksbomben schwimmen zum Beispiel als Cassiskügelchen im Kir Royal, und lösen erst an Gaumen und Zunge eine Geschmacksexplosion aus.
Ebenfalls spektakulär: das "Frittieren" in Wasser. Dabei wird mit Hilfe eines speziellen Zuckers der Siedepunkt des Wassers über 120°C hinaus erhöht. Diese Temperatur ist für einen Frittiervorgang ausreichend.
"Sous Vide" nennt sich ein Verfahren, bei dem die Speisen gewürzt oder mariniert und im Vakuum schonend im Wasserbad gegart werden. Auf diese Weise sollen alle Aromen in der Speise erhalten bleiben; der im Vakuum entstandene Fond lässt sich als Saucengrundlage verwenden.
Stabile Schäume waren in der gehobenen Gastronomie immer ein Problem. Hier stehen dem innovativen Koch jetzt speziell entwickelte Hydrokolloide (die pflanzlichen Wirkstoffe können die Wirkungsweise von Gelatine imitieren) und Pflanzenfasern zur Verfügung, mit denen Flüssigkeiten gebunden und bis auf das vier- oder fünffache Volumen aufgeschlagen werden können. Der Schaum, beispielsweise beim Dessert, in Suppen oder Saucen, erhält ohne künstliche Zusatzstoffe eine sehr hohe Standfestigkeit. Aber auch im Petit-Four-Bereich gibt es attraktive Neuigkeiten. So lässt sich aus Pflanzenfasern eine Art "essbare Verpackung" herstellen - dünne Hüllen, die geschmacklich an den jeweiligen Inhalt angepasst werden können. Als Basis für die Pralinen wird feinste Kuvertüre verwendet. Beim Gala-Dinner ist es ein süßer Abschluss mit "Kick", wenn "Spicy Sweets" mit den Gewürzumhüllungen jeweils in der Farbe und Geschmack der gewünschten Pralines gereicht werden.
Auch Salze können durch ein spezielles Verfahren mit intensiven Aromen zusammengeführt werden. Dadurch lassen sich Speisen aromatisch unterstützen und noch raffinierter machen. Auch mit Ölen sind neue Wege möglich. Dabei werden diese mit natürlichen Aromen versehen, wodurch die Farbe kräftig wird und der Geschmack geradezu aufregend.
Antje Peters-Reimann

m+a report Nr.5 / 2006 vom 14.08.2006
m+a report vom 14. August 2006