Der Schweizer Macher

Die Messe Schweiz will nicht nur Raum bieten, sondern Plattform sein für marketing live. CEO René Kamm treibt diese Entwicklung voran.

Der Mann hat Überblick. René Kamm arbeitet im höchsten Bürohaus der Schweiz. Dort könnte er sich zurücklehnen. Denn das Unternehmen, dem er als Vorsitzender der Gruppenleitung vorsteht, "kontrolliert" den Messemarkt des Nachbarlandes mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Gleiches gilt für den Umsatz des Messeplatzes Schweiz.
Die Messe Schweiz erwirtschaftete im vergangenen Jahr rund 222 Mio. CHF (Vorjahr: 186 Mio. CHF). Dieser Umsatz ist vor allem einem starken Messejahr mit Swissbau und Igeho und der sehr erfolgreichen Baselworld zu verdanken. Das Unternehmen soll in Zukunft weiter wachsen - nicht nur in punkto Umsatz, sondern auch in Sachen Dienstleistungen. Unter Kamms Leitung soll sich das Messeunternehmen zu einem Gewinn bringenden internationalen Live-Marketing-Anbieter mit führender Position entwickeln. Denn es ist das erklärte Ziel der Messe Schweiz, die Führungsposition weiter auszubauen. Im Zentrum der Unternehmensstrategie steht deshalb die Stärkung des Eigenmessegeschäftes - es macht 80 % des Ertrags aus - sowie die Diversifikation in nahe stehende Geschäftsbereiche: Der Schweizer Markt ist klein.
Die Chancen für weitere Wachstumsfelder liegen im Ausland und in angrenzenden Geschäftsfeldern. Der Bereich Veranstaltungsservices zum Beispiel weist nach Ansicht Kamms im Vergleich zum Messewesen ungleich größeres Wachstumspotenzial auf. Mittelfristig soll er einen "substanziellen Anteil" am Ertrag des Unternehmens haben.
Zufrieden blickt er von seinem Schreibtisch im 17. Stock auf das geschäftige Treiben unter ihm. Am Tag zuvor war die 37. Art Basel zu Ende gegangen. Die internationale Paradeschau für moderne Kunst endete mit einem Riesenerfolg. Eine Messe im klassischen Sinne ist sie aber schon lange nicht mehr. Die Art Basel ist ein Kulturfestival, ein internationales, ein fröhliches mit ernstem Hintergrund - und ein schönes. Sie hat in den letzten Jahren eine Wandlung durchgemacht und dabei auch von ihrer Schwester, der Art Miami Beach, gelernt. Dieser Ableger, erst als Party-Messe verspottet, hat auch eine gewisse Leichtigkeit an den Rhein gebracht.
Die Umwandlung der Messe Basel in eine Aktiengesellschaft, die Fusion der Messeplätze Basel und Zürich, die Gründung der Messe Schweiz, der Börsengang - es ist viel passiert in den letzten fünf Jahren. Das Zusammengehen hatte eine deutliche Bereinigung des Themenangebotes zur Folge. Das gilt vor allem für den (einstigen) Gastmesseplatz Zürich.
Eine Messegesellschaft an der Börse scheint etwas exotisch. Hinderlich hält Kamm dies aber nicht: "Man muss mit den Investoren reden. Sie wollen wie wir alle nur eins: dass das Unternehmen erfolgreich ist." Strategisch versteht Kamm die Messe Schweiz, die er qualitativ völlig umbaut, nicht als Messegesellschaft, sondern als Live-Marketing-Firma. Erster Schritt war die Akquise von Winkler Veranstaltungstechnik im Sommer letzten Jahres, die in ihrer Branche zu den größten Unternehmen Europas zählt und weltweit tätig ist. Rund 1500 Events werden in der Schweiz und im Ausland jährlich von Winkler betreut. Die Referenzen reichen von Messeauftritten der IBM über "Wetten-dass"-Staffeln bis zum UEFA Champions League Finale. Der Gründer, Patrick Winkler, ist seitdem in der Gruppenleitung der Messe Schweiz und leitet die Tochtergesellschaft. Zudem bringt der Kauf Umsatz außerhalb des Eigenmessegeschäftes.
Seit dem Börsengang vor fünf Jahren entwickelt sich die Messe Schweiz zum Börsenliebling. Schließlich hat sie es seitdem geschafft, den Kurs zu verdoppeln. Die Gespräche mit den Anteilseignern hätten sich seit der Privatisierung geändert, die Themen seien anspruchsvoller. "Es ist einfach etwas anderes, wenn sie mit Investoren über die Nachhaltigkeit eines Businessplan diskutieren", sagt René Kamm. Die Investoren goutieren seinen Kurs. Auch die Übernahme Winklers. Ist diese Akquisition doch ein erster Schritt auf dem Weg in die Unabhängigkeit vom Standort, schließlich wird "das Vermietgeschäft immer uninteressanter." Der isolierte Verkauf von Standfläche sei kein tragfähiges Geschäftsmodell mehr.
In der Privatisierung sieht der Messechef nur Vorteile: "Wir können freier wirtschaften, andere Kollegen werden eher regionalpolitisch gesteuert." Nicht zu unterschätzen sei auch der enorme interne Effekt: "Ein Blick auf die Börsenkurse, und die Mitarbeiter sind motiviert", so Kamm.
Der Veranstalter blickt selbstkritisch zurück. "Früher waren wir Abwickler, jetzt machen wir Messen." Das Abwickeln ist für den CEO Grundvoraussetzung - "die Basics". Die reichten aber nicht für den Erfolg. "Sie müssen jede Messe jedes Mal neu erfinden", sagt er. Das gilt sowohl optisch wie auch inhaltlich.
Schließlich ist Messe nicht gleich Messe, so Kamm mit Blick auf die unterschiedlichen Branchen, die in Basel ausstellen. Jede Branche muss anders bedient werden. Auch das hat sich in den letzten fünf Jahren geändert. Das Team ist schlanker geworden, es arbeiten weniger Mitarbeiter im Bereich Technik, dafür wurden Marketing und Vertrieb gestärkt - vor allem mit Blick auf die für Basel so wichtigen Veranstaltungen Baselworld und Art Basel. "Für viele sind Messen Technik und Logistik. Das stimmt eben nicht." Kenntnisse über die Branche des jeweiligen Messethemas sind unerlässlich. Frei werdende Stellen in den Projektteams werden bei der Messe Schweiz mit Fachleuten aus der jeweiligen Branche besetzt. "Wir nutzen das Know-how, die Technik kaufen wir zu." Auch darin manifestiert sich der Wandel zu einer Marketingorganisation.
Wer sich in den Hallen der Uhren- und Schmuckmesse Baselworld umschaut, bekommt eine leise Ahnung von dem Ansatz marketing live: Die Veranstaltung ist eine einzige Inszenierung, ein Schmuckstück. Die Hallen sind luxuriös verkleidet und dekoriert, von Technik optisch keine Spur. Die Anforderungen an Messebauunternehmen sind entsprechend hoch. "Der Messeplatz ist perfekt gestaltet, die einzelnen Bereiche unterscheiden sich auch von der Dekoration her deutlich". Das lässt sich die Messe Schweiz auch etwas kosten. René Kamm: "Messehallenarchitektur ist eine Katastrophe. Wie soll da Stimmung aufkommen?" Quadratmeter allein verkaufen die Schweizer schon lange nicht mehr: "Wir offerieren Marketingleistungen." Der Preis, sagt er, ist sekundär - wenn die Leistung stimmt. Und mit einem Blick ins Nachbarland kommt der Nachsatz: "In den Preisen der deutschen Messegesellschaften sind keine Kostenwahrheiten." Das Business sei so dynamisch und kreativ. Die Messegesellschaften machten sich das Leben selber schwer: Sie träten viel zu behäbig auf.
Bei der Uhren- und Schmuckmesse unerreicht ist die Qualität und Quantität von Ausstellern. Diese haben Ansprüche. Auch an das Gelände. Und das der Messe Schweiz (Basel) ist in die Jahre gekommen. Am Messeplatz Basel sollen für die Verbesserung der Infrastruktur jetzt 350 Mio. EUR ausgegeben werden - die größte Investition in der jungen Geschichte des Unternehmens. Nicht mehr Fläche ist das Ziel, sondern eine Hallenarchitektur, die den gestiegenen Bedürfnissen der Aussteller entspricht. Der Zeitplan ist eng gestrickt. Bis zum Jahr 2012 soll der Plan umgesetzt sein. "Geopfert" wird dafür der Vorbau der Halle 1, ein Art-Deco-Bau aus dem Jahre 1926. Das älteste erhaltende Messegebäude in Basel wird einer riesigen Glas-Passage weichen, die den Messeplatz überdeckt und die Hallen 1 und 3 verbindet. René Kamm: "Uhren und Schmuck - das ist Lifestyle und das wird sich im Gelände manifestieren."

m+a report Nr.5 / 2006 vom 14.08.2006