Kampf gegen Windmühlen

Produktpiraterie auf Messen ist ein bekanntes Problem. Dass jedoch nicht nur ausgestellte Waren, sondern zum Leidwesen der Originalhersteller auch die Systemstände oft aus Fälschungen bestehen, wissen wenige. Dagegen könnten die Veranstalter mehr unternehmen.

Aus einer Vision wurde im Jahr 1968 ein Produkt, das eine neue Ära im Messebau einläuten sollte: Hans Staeger entwickelte das Octanorm-Messebausystem, das erste variable Achteck-Aluprofil, was anschließend im neu gegründeten Unternehmen eine wahre Innovationslawine von Systemerfindungen in Gang setzte. Heute gibt es kaum eine Messe auf der Welt, auf der nicht Octanorm-Systeme im Einsatz sind. Der Name steht für das Original. Ebenso in China, wo das Filderstädter Unternehmen seit 20 Jahren aktiv ist und sich ein positives Image aufgebaut hat.
1992 sei das Haus Octanorm zum ersten Mal auf Nachahmer aufmerksam geworden, erklärt Geschäftsführer Hans Bruder. Nachdem der Versuch, die Piraten mittels eines Joint Ventures zu integrieren statt zu bekämpfen, gescheitert war, gründete Octanorm 2003 eine hundertprozentige Tochterfirma in Suzhou, um den Markt mit Originalprodukten zu bedienen. Trotzdem ließen sich die hartnäckigen Kopisten nicht stoppen. Zurzeit gibt es weltweit über 35 Nachahmer von Octanorm-Bausystemen, davon allein 24 in China. Und nicht nur die Produkte des Lieferprogramms werden kopiert, auch die Kataloge, Produktbeschreibungen, Abbildungen und Artikelnummern. Selbst das Logo ist nicht sicher.
Neben erheblichen Umsatzeinbußen gingen vor allem Imageschäden von den Kopien aus, so Bruder. Denn bei den billig produzierten Nachbauten blieben Sicherheitsaspekte zumeist unberücksichtigt. "Wenn dann ein Stand, der mit solchen Kopien konstruiert wurde, einstürzt, überträgt sich das schlechte Image auf unseren Namen!" Hinzu komme, dass im Falle eines Einsturzes noch bewiesen werden müsse, dass nicht das Original dafür verantwortlich war, denn oftmals werden Original und Fälschung parallel verbaut.
Während man in Deutschland relativ gut juristisch dagegen angehen könne, müsse man im Ausland mit enormen Kosten rechnen. So waren auf das Unternehmen Belastungen in Millionenhöhe zugekommen, als es sich in den USA rechtlich gegen einen Produktpiraten aus China zur Wehr setzte.
Auch Burkhardt Leitner constructiv, Stuttgart, sind konkrete Beispiele für Nachahmungen eigener Produkte bekannt, von der Übernahme bestimmter Konstruktionsprinzipien bis hin zu 1:1-Kopien. "Die Kopisten traten ausnahmslos in Nicht-EU-Ländern auf: Russland, Türkei, Südafrika und Südkorea", so Geschäftsführer Michael Daubner. Das Problem reiche nicht so sehr in die Breite wie in die Tiefe: "Unser System constructiv CLIC wurde - soweit wir wissen! - von jeweils nur einer Firma in den genannten Ländern kopiert, dies aber sehr genau und mit einer ähnlichen Ausstattungstiefe wie unser Originalprodukt."
Die Anzahl der Kopisten sei mit zunehmender Globalisierung und Digitalisierung in den letzten Jahren gestiegen. "Unsere internationalen Vertriebs- und Lizenzpartner in den betreffenden Ländern machten uns auf nachgemachte Produkte aufmerksam beziehungsweise strengten selbst vor Ort Gerichtsverfahren und Unterlassungsklagen gegen die Kopisten an. Da wir unsere Architektursysteme international ausschließlich über Partner vertreiben, die meist exklusive Verkaufsrechte besitzen, haben diese großes Interesse, die nachgemachten Produkte zu stigmatisieren beziehungsweise verbieten zu lassen."
Das Problem sei, dass ein Unternehmen schwer Patente oder ähnliche Schutzrechte in allen Ländern realisieren kann. "Der Kopist muss nur in das nicht länderpatentgeschützte Nachbarland abwandern - und dazu kommt, dass sowohl Patentrechts- als auch Urheberrechtsverfahren vor Gericht sehr zeitaufwendig sind. Ein Patentschutz dient daher eher der Abschreckung. Ein wirklich sicherer Schutz für die eigenen Produkte besteht nur darin, in Funktionalität, Gestaltung und Innovation stets zwei Nasenlängen voraus zu sein und die Kunden durch die schiere Qualität des Originals langfristig zu binden. Nur unsere Originalprodukte garantieren hohe Funktionalität und Langlebigkeit. Nur bei uns oder einem autorisierten Partner erhalten die Kunden eine professionelle Beratung und individuellen Service. Unseren Endkunden weltweit raten wir daher dringend, unsere Systeme ausschließlich über autorisierte Vertriebspartner zu beziehen."
"Das Thema ist extrem wichtig für die gesamte Branche und die Zukunftsentwicklung unseres Landes", betont Michael Becker von Ingenti, Idstein. "Die Schäden, die bereits heute durch Plagiate erzielt werden, sind beachtlich und schaden der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung." Der Spezialist für mobile Ausstellungstechnik kennt die Problematik aus erster Hand: "Das erste kopierte Produkt war ein technisch sehr einfaches Rollosystem, welches bereits vor circa drei Jahren den deutschen Markt erreichte", zählt Becker auf. "Anfänglich war diese Kopie in einer sehr geringen Qualität und nur mäßig ausgeführt. Mittlerweile jedoch sind auch alle technischen Merkmale äußerst exakt ausgeführt, so dass es selbst uns schwer fällt, das Original von der Kopie zu unterscheiden." Inzwischen seien diese Produktkopien auf jeder Messe anzutreffen.
Die Anzahl nehme auch dadurch deutlich zu, dass es immer mehr Firmen gebe, die sich mit mobilen Messesystemen befassen. "War vor Jahren das Umfeld noch sehr transparent und überschaubar, da es sich hier um Spezialisten handelte, finden Sie diese Systeme heute auch bei Unternehmen wie klassischen Digitaldruckern, Werbetechnikern, Messebauern, ja selbst Copyshops. Auch der Internetvertrieb dieser Einheiten ist extrem hoch, so werden diese Systeme, ohne Beratung und Präsentation zu günstigsten Preisen an den Handel abverkauft." Auf Messen seien diese Einheiten in größer werdender Anzahl anzutreffen. "Auch in Fachanzeigen finden wir immer wieder neue Anbieter dieser Kopien. Speziell auch das Internet gibt uns einen breiten Einblick in die Vertriebsaktivitäten."
Sich zu wehren sei in dieser Angelegenheit schwierig, beklagt Becker, da es einen "Kampf gegen Windmühlen" darstellt. Dieser sei dennoch extrem wichtig, um den Anbietern und Herstellern aufzuzeigen, dass man das Kopieren und Vertreiben solcher Produkte nicht akzeptiere. "Leider sind nur einige unserer Produkte mit einem Patent ausgestattet, so dass wir gegen die anderen nur schlecht zu Felde ziehen können. Für unsere patentrechtlich geschützten Systeme vollziehen wir eine Vielzahl an rechtlichen Schritten wie zum Beispiel Unterlassungserklärungen oder sogar das Entfernen der Waren vom Stand. Hierbei arbeiten wir eng mit den Herstellern zusammen und tauschen dazu jegliche Informationen gegenseitig aus."
Wichtig sei aber insbesondere, dass sich die Kunden bewusst darüber werden, dass eine billige Produktkopie in der Qualität geringer ist als das Original. "Wir appellieren hier aber auch immer an die Moral und Loyalität. Denn wer Produkte einfach nur kopiert, betreibt keine Design- und Produktentwicklung, baut keine Prototypen oder testet und optimiert die Systeme. Innovationen sind also Aufgabe und Pflicht der Hersteller und diese kosten, wie wir alle wissen, sehr viel Geld - Geld, das die Kopierer niemals in die Hand nehmen! Wo also sollen auf lange Sicht hin Innovationen und Weiterentwicklungen herkommen? Von den Kopierfabriken sicherlich nicht!"
Um künftige Plagiate zu vermeiden, setzt Ingenti neben einem weltweiten Patentschutz zum einen auf die eigene Schnelligkeit in der Produktentwicklung und zum andern auf eine schwierige technische Umsetzbarkeit. Je schwieriger das Produkt in Design und Funktion herzustellen sei, desto schwieriger sei es für die Kopierunternehmen dieses umzusetzen "oder sie müssen sehr viel Geld investieren, welches sie meist nicht besitzen".
Leitner, Waiblingen, hat ebenso mit Produktpiraten zu kämpfen. Zum Beispiel die Systeme Leitner_1 und Leitner_10 seien sowohl in Deutschland als auch im Ausland kopiert und vertrieben worden. "Wir wissen von fünf bis sechs Kopien, wobei wir hier den asiatischen Markt nicht berücksichtigt haben", erklärt Rainer Pescheck, International Sales. Für das neue System Leitner_12 befürchtet das Unternehmen schnell illegale Nachahmer zu finden. Auch Leitner appelliert an seine Kunden, dem Full-Service und Know-how des Originalherstellers zu vertrauen, welches in über 40 Jahren Messetätigkeit erworben wurde. Ähnlich rät der Marketing- und Vertriebsleiter der Hildener Niederlassung von SYMA-System Peter Jürgen Klee seinen Kunden immer beim Hersteller zu kaufen, um sicher Originalware zu erhalten.
Doch das allein kann nicht genügen, um dem Problem zu begegnen: "Der Sache müsste ein Riegel von Messeveranstalterseite her vorgeschoben werden", fordert Hans Bruder. "Es müsste mehr unternommen werden, um Kopien am Stand gar nicht erst zuzulassen. Hoffentlich zeigen sich die Messegesellschaften aufgeschlossen für dieses Thema."
Michael Becker schließt sich dem an: "Initiativen und Aktionen, wie sie zum Beispiel die Messe Frankfurt seit kurzem mit ihrem ,against copying'-Konzept verfolgt, müssen weiter voran und noch stärker betrieben werden. Es muss noch stärker Aufklärung betrieben werden, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt; Interessenverbände müssen sich zusammenschließen und gemeinsam anwaltlich gegen die Kopierfabriken vorgehen." "Am besten, es würde eine Art internationale schwarze Liste eingeführt, auf der alle Plagiate geführt werden", schlägt Rainer Pescheck vor. "Außerdem sollte jeder Messestand geschlossen und mit Strafen belegt werden, der Plagiate anpreist beziehungsweise aus kopierten Systemen gebaut wurde."
"In typischen Kopisten-Ländern täte sicherlich eine restriktivere Urheberrechtspolitik Not", sagt Michael Daubner. Insgesamt jedoch ließen sich Plagiate nur verhindern durch die bewusste Haltung der Verbraucher, das Original zu kaufen - sei es aus Gründen der Qualität, des geistigen Eigentums, Urheberrechts oder letztendlich aus Respekt vor einer innovativen Kraft.
Anja Wagner

m+a report Nr.4 / 2006 vom 15.06.2006
m+a report vom 15. Juni 2006