Messeboom in Moskau

"Nach Moskau!" So ertönte es schon 1901 im Drama des russischen Nationaldichters Anton Tschechow. Heute könnte dieser Ausruf zu etlichen Messechefs in Deutschland passen.

Auf den russischen Markt drängen immer mehr heimische Gesellschaften - und damit nach Moskau. "80 % des russischen Messewesens spielen sich in der Hauptstadt ab", sagt Norbert Schmidt, Geschäftsführer der Messe Düsseldorf Moskau. Die Rheinländer kennen sich aus: Sie waren 1963 der erste ausländische Messeveranstalter im Land und haben dementsprechend lange Erfahrungen.
Heute sind die Düsseldorfer nicht mehr alleine. Moskau erlebt derzeit vielmehr einen regelrechten Messeboom. Insgesamt 31 Veranstaltungen werden die deutschen Messegesellschaften laut dem Ausstellungs- und Messeausschuss der Deutschen Wirtschaft (AUMA) im laufenden Jahr in Russland organisieren. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren waren es gerade 20. Nur in China gibt es mehr deutsche Auslandsmessen. "Viele Unternehmen nutzten die Messen als Sprungbrett in den russischen Markt", begründet Norbert Schmidt den Ansturm. Das Instrument Messe habe in Russland einen unheimlich hohen Stellenwert, erklärt Schmidt. Wer in Russland Fuß fassen will, komme um Messen kaum herum.
Und mittlerweile wollen viele Unternehmen im ehemaligen Sowjetreich Fuß fassen. Denn Russland ist heute eine der am dynamischsten wachsenden Regionen der Welt. Seit 1999 hat sich das Bruttoinlandsprodukt auf knapp 500 Mrd. EUR mehr als verdoppelt. Die Beratungsgesellschaft A. T. Kearney stuft Russland im Ranking der attraktivsten Investitionsstandorte weltweit auf Rang sechs ein. Vom Drang der Unternehmen nach Osten wollen auch die heimischen Messegesellschaften profitieren. "Russland ist eine Region, in der wir intensiv wachsen wollen", sagt zum Beispiel Kölns Messechef Jochen Witt und spricht damit manch einem Kollegen beziehungsweise Konkurrenten aus der Seele. Mit der Möbelzuliefermesse Interzum haben die Domstädter in Zusammenarbeit mit der International Exhibitions Company (MVK) bislang eine Veranstaltung nach Moskau transferiert. Weitere sollen möglichst noch in diesem Jahr folgen. Laut dem zuständigen Geschäftsführer Oliver P. Kurth ist die Kölnmesse wegen Ablegern der beiden Messen Photokina und Kind+Jugend "in engen Gesprächen". Auch das Vorhaben, die bisherige Repräsentanz durch eine Tochtergesellschaft zu ersetzen, seit bereits weit vorangeschritten.
Neben den beiden rheinischen Gesellschaften aus Köln und Düsseldorf sind auch die Messen aus Frankfurt, München und Nürnberg mit eigenen Branchenschauen aus ihren Kompetenzfeldern in Moskau aktiv. Leipzig und Essen sind zudem auf dem Sprung. Essen zum Beispiel hat jüngst in Kooperation mit der Messe Düsseldorf eine Vertretung in Moskau eröffnet und will nun schnellstmöglich eigene Veranstaltungen platzieren.
Doch ganz so einfach ist das nicht. Denn das russische Messewesen hat ein Platzproblem. Landesweit stehen nur rund 500 000 m2 Hallenfläche zur Verfügung. Damit entspricht die Gesamtkapazität gerade der Geländegröße der Deutschen Messe AG aus Hannover. In Moskau befinden sich zwei Drittel der Hallenfläche, verteilt auf mehrere Messegelände. Die vier wichtigsten sind die vergleichsweise alten Gelände VVC und Sokolniki sowie das Innenstadtgelände Krasnaja Presnja der russischen Messegesellschaft ZAO Expocentr und das neue Crocus Expo Center im Nordwesten der Stadt. Erst im März 2004 eröffnet, kommt es wie auch das VVC und das Krasnaja Presnja auf aktuell knapp 100 000 m2. Es gibt aber angesichts der hohen Auslastung bereits weitere Ausbaupläne. Zumal auch immer mehr Veranstalter von anderen Geländen in die hochmodernen Crocus-Hallen wollen. ITE zum Beispiel - die Engländer sind neben der Messe Düsseldorf der aktivste ausländische Messeveranstalter in Russland - verlagert seine Messen sukzessive vom Expocentr zu Crocus Expo. Die Düsseldorfer freut es: "Wir haben großen Flächenbedarf und nehmen die freiwerdenden Flächen gerne", sagt Messechef Werner Dornscheidt. Bei der Modemesse Collection Premiere Moskau (CPM) beispielsweise gebe es wegen des Platzmangels eine Warteliste.
Einen Umzug ins Crocus Expo schließt die Messe Düsseldorf aus. "Wir arbeiten seit über vier Jahrzehnten mit Expocentr zusammen. Und das wird auch so bleiben", stellt Dornscheidt klar. Zeichen dieser engen Zusammenarbeit war zuletzt eine Kreditgarantie über 17 Mio. EUR für das Ausstellungszentrum Krasnaja Presnja in der Innenstadt im Rahmen der Geländemodernisierung und -erweiterung. Im Gegenzug garantiert ZAO Expocentr den Düsseldorfern Themenschutz für ihre Eigenveranstaltungen auf dem Gelände. Den haben andere Messegesellschaften Branchenkreisen zufolge meist nicht - und werden deshalb bei einigen Veranstaltungen bereits kopiert. Carsten Dierig

m+a report Nr.4 / 2006 vom 15.06.2006
m+a report vom 15. Juni 2006