Special Sehnsucht nach Echtem

Lebende Pflanzen in einer Ausstellung zu inszenieren, das ist eine Herausforderung. Im Gegensatz zu üblichen Exponaten haben sie ein Eigenleben. Sie brauchen Wasser, Pflege und Zeit zum Wachsen. Bei Biovision ging es um weit mehr als einen Garten.

Unter dem Motto "Biovision - Zukunft mit Pflanzen" sollte der Deutsche Pavillon auf der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) in Rostock den Besuchern Einblicke in die vielen Aspekte der Nachhaltigkeit bei der Produktion und der Verwendung von Pflanzen geben und die positiven Auswirkungen einer nachhaltigen Pflanzennutzung auf Umwelt und Mensch aufzeigen, so die Idee des auftraggebenden Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL).

Um diese Inhalte im Rahmen der IGA umzusetzen, galt es, die Kompetenz von Gartenbauern und Landschaftsarchitekten mit der erfahrener Ausstellungsmacher zu verknüpfen. Hierfür war die Stuttgarter Agentur Milla und Partner verantwortlich, die zusammen mit den Architekten Gasser|Wittmer das Gesamtkonzept von Biovision entwickelt hat.

"Unser Ziel war es, abstrakte Begriffe wie Nachhaltigkeit und Biodiversität sinnlich und mit Charme umzusetzen", sagt Peter Redlin, Creative Director und Geschäftsführer von Milla und Partner. "Wir hatten den Ehrgeiz zu zeigen, dass eine Ausstellung zu diesem Thema Spaß machen kann." Entsprechend das Konzept: Das Publikum konnte in der Erlebnisausstellung nicht nur Exponate betrachten. Jeder Besucher hatte die Möglichkeit, selbst auszuprobieren, anzufassen und das Thema Nachhaltigkeit mit allen Sinnen zu erfahren.

Zu sehen gab es zum Beispiel Implantate aus nachwachsenden Rohstoffen. Experimentierfreudige Gäste buken Stärketeller, modellierten mit bunter Maisstärke Figuren oder wirkten bei einer der vielen anderen Stationen an Versuchen, Beobachtungen oder Spielen mit. Besonders gut blieben dem Publikum die lebendigen Schädlinge und Nützlinge in Erinnerung, so das Ergebnis der einwöchigen Besucherbefragung. Hinter großen Lupen konnte es Krabbeltierchen und Fliegen betrachten oder Larven, die zu Schmetterlingen wurden. Und mit dem Kopfhörer belauschte es Getreidekäfer.

An anderen Stellen sorgten überraschende Einblicke für Aufmerksamkeit, zum Beispiel im Garten der heimischen Hölzer. Hier stand der Wald Kopf und eröffnete dem Betrachter so eine ganz neue Perspektive. "Dank der vielseitigen Ansprache sind die Fachinformationen gut angekommen", so Hermann Stürmer, Leiter des Referats Gartenbau beim BMVEL. Dabei war das Publikum breit gestreut: Viele Kinder und Jugendliche waren da, sehr viele Familien, aber auch Paare, Alleinstehende und Senioren.

Auf mediale Inszenierungen wurde in weiten Teilen der Ausstellung verzichtet. Ganz bewusst setzten die Macher auf die realen Dinge: auf die Pflanzen selbst und die sinnlichen Erfahrungen. "Themen und Installationen waren einfach echt und das kommt gut an", weiß Redlin. "Vielleicht haben die Menschen in unserer Mediendemokratie eine Sehnsucht nach echten und haptischen Erfahrungen."

Die Wissensvermittlung über Eindrücke, Beobachtungen und Aktivitäten wurde durch eine Reihe von Informationsmaßnahmen ergänzt. Im zentral gelegenen Foyer der Nachhaltigkeit konnten sich die Besucher mit Informationsbroschüren versorgen und Fragen an das Fachpersonal richten. Am Anfang eines jeden Themengartens befanden sich große Kreisel zur Vorbereitung auf das jeweilige Thema, die mit Informationen, Postkarten und Adressen zum Mitnehmen bestückt waren. Außerdem durften sich die Besucher allerlei in die Tasche stecken, zum Beispiel Tüten aus Kartoffelstärke oder Samen für den eigenen Garten. Auf diese Weise wurde das Erlebnis von Biovision über den Ausstellungsbesuch hinaus ausgedehnt. Auch gab es diverse Veranstaltungen zur aktiven Informationsvermittlung, wie das grüne Klassenzimmer, Fachvorträge und Veranstaltungen.

Die überzeugende Wirkung der Ausstellung wurde durch einen weiteren Faktor verstärkt: Nachhaltigkeit war nicht nur das Thema, sondern gleichzeitig Maßgabe für Bau und Ausführung. Alle Materialien und Bauteile mussten möglichst ressourcenschonend erstellt werden und lange halten. So wurden zum Beispiel fast unverwüstliche Möbel gebaut, die nach sechs Monaten intensiven Gebrauchs noch gut aussehen und wiedergenutzt werden können.

Sogar die nachhaltige Nutzung des Pavillons selbst ist gesichert. Nach Abschluss der IGA im Oktober 2003 wird er eingelagert und zur Bundesgartenschau 2005 in München wieder aufgebaut. Das war Teil der Ausschreibung des BMVEL.

Eine mindestens ebenso anspruchsvolle Aufgabe war es, den unumstößlichen Zeitplan einzuhalten - auch bei unverhofft auftretenden Unwägbarkeiten. "Wir mussten zum Beispiel mit der Bepflanzung der Außenanlage in einem Stadium beginnen, als noch nicht ganz klar war, wie wir das Haus bauen", erinnert sich Franco Jennewein von Milla und Partner, bei dem die Fäden für das Großprojekt zusammenliefen.

Dabei galt es, die Arbeit von über 100 Stellen zu koordinieren. An den Inhalten und Exponaten haben etwa 85 Partner aus unterschiedlichen Referaten des BMVEL, aus Verbänden, Forschungsinstituten und der Wirtschaft mitgearbeitet. Und beim Ausstellungs- und Gebäudebau waren weit über 12 Unternehmen und Künstler beteiligt. "Hier haben Leute mitgearbeitet, die in ihrem Fach zu den Besten der Republik zählen", so Jennewein. Zum Beispiel die Firma Boehlke aus Berlin, die zusammen mit dem Künstler Roland Edrich für die Lichtinstallationen verantwortlich war, oder Merk Holzbau, die den Pavillon gebaut haben.

Die Arbeit der vielen Spezialisten hat sich gelohnt. Der Funke ist von den Ausstellungsmachern zu den Besuchern übergesprungen. "Die Besucherzahl übertraf die Erwartungen", so Stürmer. Von April bis Oktober 2003 kamen über 1,6 Millionen Menschen in den Deutschen Pavillon auf der IGA. Biovision ist 2003 für einen ADAM- und für einen EVA-Award nominiert. Für die außergewöhnliche Gestaltung der Gartenanlage erhielt der Garten- und Landschaftsbauer Helmut Schingen aus Petschow bei Rostock eine Goldmedaille vom Zentralverband Gartenbau und einen Ehrenpreis vom Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau.

Laut der Besucherbefragung kam jeder fünfte Gast mindestens zwei Mal in den Deutschen Pavillon. Wer noch nicht da war, hat eine zweite Chance: Ab dem 28. April 2005 auf der Bundesgartenschau in München.

m+a report Nr.7 / 2003 vom 29.10.2003
m+a report vom 29. Oktober 2003