Beziehungen gestalten

Messen sind kein Schönheitswettbewerb für Markenarchitektur. Sie sind da, um zu informieren, orientieren, inspirieren. Auch wenn es "nur" um Business geht.

Die guten alten Zeiten: Da gab es den Käfer im Westen und den Trabbi im Osten. In Italien die Vespa. Das war gutes Design und hat über 60 Jahre gehalten. Und jetzt? Heute entwickelt sich alles viel, viel schneller. "In Deutschland werden ungefähr 900 Produkte pro Woche entwickelt, Modeketten bringen alle 14 Tage neue Kollektionen - da müssen wir ja langsam unser Gedächtnis verlieren", sagt Paolo Tumminelli. "Der Vorteil der heutigen Vermarktungsmaschine: Die Köpfe der Konsummenschen werden ständig neu initialisiert. So ist es möglich, etwas als Neuheit zu verkaufen, was man bereits hatte - wie etwa den Beetle oder den Mini Cooper."
Der Gründer von goodbrands, Köln, auf der 20. Messe-Fachtagung: "Wir leben in einer Phase des Eklektizismus." Der Stilpluralismus, da ist er sicher, wird nicht lange dauern. Ende des 19. Jahrhunderts habe es viele Stile gegeben, dann die Bereinigung. Das habe mit dem Bedürfnis nach Beruhigung zu tun.

Stile hätten dafür gesorgt, dass man wusste, was gut und was schlecht ist. Heute sei "individual taste" en vogue. Das Konzept der guten Form oder des guten Designs sei verschwunden, das Wort "schlecht" aus dem Vokabular gestrichen. "Wir sagen zwar immer noch ,schön', aber aufgrund eines genialen Marketingtricks nicht mehr ,schlecht', sondern ,polarisierend'." Der Rest sei Klasse. "Der Urlaub, das Essen, der Film. Alles Klasse. Nur: Was für eine? S oder A? Es gibt gewaltige Unterschiede."
Nicht Stilbedürfnis treibe das System, vielmehr das Bedürfnis nach Wiederfindung. Man kann sich orientieren, folgt dem, das man bereits kennt. Das sei ein designtypisches Problem. "Innovation braucht Zeit - und wird von den wenigsten verstanden. Es gab ein Auto von Renault, das hieß Avantime. Nach zwei Jahren war es weg vom Markt. Der BMW C1, ein Motorrad mit Dach, ist auch weg. Viele Menschen haben Angst vor Innovationen im Design. Innovation in Design heutzutage ist ein riskanter Job", so Tumminelli.

Dieser Beziehungsbedarf - zu einem Menschen wie zu einem Produkt oder einer Architektur - sei typisch für unsere Ich-bezogene Gesellschaft. Der Bedarf nach Orientierung und Relativierung sei größer denn je. Dieses Kriterium sei von Bedeutung für Menschen, die Beziehungen gestalten müssen. Messen und Messestände sind für Tumminelli keine Showrooms, keine Verkaufsmaschinen, sondern in erster Linie Orte der Beziehung. "Aufgabe des Designers ist es, mit seiner Kompetenz und Intuition diese Beziehung zu aktivieren." 50 000 m2, 1000 Aussteller, Millionen von Produkten, Messegelände, Messestände, Produktpräsentationen - ein Designalbtraum. Das Problem: Wer steuert die Beziehung? Die Leute, die für die Produktpräsentation verantwortlich sind? Der Architekt? Die Werbeagentur? Das Unternehmen? Der Messeveranstalter?
Das sei ein Problem der Verantwortung, das überhaupt nicht gelöst sei und das Ganze noch komplexer mache. Aufgabe der Messemacher, unabhängig von ihrer Position, sollte es sein sich zu fragen, was nach der Messe komme. Viele konzentrierten sich zu sehr auf den Inhalt statt auf die Beziehung, die Wahrnehmung. Die Dimensionen der Wahrnehmung und der Erinnerung würden vernachlässigt. "Erinnerungen bedeuten Erlebnisse. Die sind es doch, die man Kunden und Besuchern einprägen möchte."

Wahrnehmung. Farbe ist das Erste, was der Mensch erkennt. Ein gutes Konzept muss farbrelevant sein. "Für Räume ist es extrem wichtig, dass mit Farben gearbeitet wird - egal ob sie vom Licht oder den Oberflächen kommen." Tumminelli: "Nutzen Sie lieber mehr als eine, aber lieber eine weniger als eine zu viel." Beispiel Telekom: Eine Farbe, die man erkennt und einfach zuordnen kann.
Zweites Kriterium: die Form. Mit Formen kann man sich differenzieren, mit farbigen Formen noch mehr. Damit lassen sich Umgebungen einordnen und Navigation anbieten. Gerade auf Messen sei das sehr wichtig. "Wie für Farben gilt: Es gibt Millionen von Formen. Suchen Sie nach Formen, die den Raum füllen. Formlosigkeit kann man nicht wahrnehmen."

Das dritte Kriterium: Leere. Die Designlehre sagt "less is more". Wegen des ökonomischen Prinzips der Messen neige man dazu, Räume zu überfüllen. Alles zu zeigen sei nicht immer die richtige Lösung - und für den Betrachter nur zehn Minuten interessant. "Fülle ist wie Müll. Leere wirkt anziehend, schenkt Konzentration und schafft Aufmerksamkeit."
Aber alles könne man nicht weglassen. "Etwas muss stehen bleiben. Punctum. Nichts anderes als eine Störung, die gewollt in einen Kontext eingesetzt wird, damit der Inhalt an Bedeutung gewinnt. Ein Punctum macht aus einer perfekten Komposition eine Attraktion. Egal ob Sound, Grafik oder Architektur", so der Professor.

Was das alles mit Marken zu tun hat? Agenturen haben Logos verkauft, Corporate Design, Corporate Sound, jetzt verkaufen sie Markenwelten. Es gebe viele Missverständnisse, was Marken angehe. "Viele Leute denken immer noch, Marke sei Logo. Wer im Markt agiert, braucht eine Marke. Wer verkaufen will, braucht eine Marke - und zwar eine gute, damit alles funktioniert." Marken entstünden erst in der Beziehung zu den Menschen, die die Produkte und Dienstleistungen kauften und nutzten.
Tumminelli: "Ich habe noch nie ein gutes Designkonzept gesehen, schon gar nicht bei Messe- und Retail-Architekturen, das nicht gleichzeitig eine geeignete Bühne für die Auftraggeber-Marke war." Die schlechten seien daran zu erkennen, dass das Firmenlogo etwa zehnmal pro laufendem Meter wiederholt werde, während die Einrichtung oder Architektur völlig indifferent seien ...

Seine Frage: Wie viele Unternehmen haben eine gute Marke, die sich schön und reibungslos in eine Markenwelt umsetzen lässt? "Ich kenne leider sehr wenige, vor allem in der B2B-Welt." Dabei sei der Bedarf für gute Marken dort extrem hoch. Von allen registrierten Marken seien in Deutschland nur 20 % im Industriegüterbereich. Als ob die Businesswelt nicht aus Menschen mit Beziehungsbedürfnissen bestünde. Tumminelli: "Eine Chance, etwas Gutes zu tun."

Ob Industriegüter oder IT, diese B2B-Welt sei eine Welt von Menschen. Und vom Markt- und Messevolumen genauso wichtig wie die andere Welt. Man frage lediglich nach Kosten pro Quadratmeter und nicht danach, was der Mensch pro Sekunde erlebt, wahrnimmt oder versteht. "Gibt es andere Möglichkeiten, die Leistung eines Messestandes zu messen? Die Denke sollte eine andere werden, schließlich geht es um Beziehungen: Da sind Marken und Erlebnisse und Erinnerungen." Messen seien kein Schönheitswettbewerb für Markenarchitektur, sondern da, um Menschen zu amüsieren, zu unterhalten, informieren, orientieren, inspirieren. Auch wenn es "nur" darum gehe, Business zu betreiben.
"Wer hat schon einmal vom Messeerlebnis gehört? Erlebnis, wie Urlaub? Das gibt es nicht. Messen sind - wenn auch teilweise sehr edel gestaltet, gut besucht und international renommierte - Designhöllen. Und im Sinne der Beziehung stark verbesserungswürdig."
"Ich war in Frankfurt und fand es toll. Ich will morgen wieder hin!" Überlegen Sie, wie Sie das schaffen", forderte er die Teilnehmer der 20. Messe-Fachtagung in Wiesbaden auf. "Wie Sie dem Menschen das Messeleben und -erleben erleichtern, das Projekt so konzipieren, dass man es und seinen Inhalt verstehen und nutzen und der Kunde eine gute Beziehung zur Marke entwickeln kann."
Regeln zu geben sei nicht einfach. Paolo Tumminelli: "Wenn Sie in diese Welt von Signalen schauen: Machen Sie es einfach besser. Etwas, was richtig gemacht ist, wie bescheiden auch immer, wird immer edel sein. Ich hoffe, als Messebesucher etwas davon zu haben."

m+a report Nr.2 / 2004 vom 18.03.2004
m+a report vom 18. März 2004