Rückzug mit Stil

Menschen treffen ist ein Hauptziel des Messe- oder Kongressbesuchs. Um dem entgegenzukommen, bieten die Zentren funktionale und immer öfter auch stimmungsvolle Business Lounges an.

Es tut sich was auf Messen und Kongressen - und zwar auch abseits der Hallen und Säle. Dem Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten, nach Ruhe beziehungsweise ungestörten Gesprächen in entspannter Atmosphäre tragen eigens eingerichtete Business Lounges Rechnung.
Und auch bei deren Gestaltung regt sich einiges. Legte man früher vor allem Wert auf Funktionalität, um einen Ort zum Arbeiten bieten zu können, wird dies inzwischen immer weniger gefragt. Mobile Geräte erlauben das Bearbeiten und Abrufen von Daten sowie die mündliche Kommunikation von jedem beliebigen Ort aus. Eine Lounge wird heute aufgesucht, um Geschäfte zu machen, wenn der eigene Messestand keine Gelegenheit zu diskretem Verhandeln bietet, oder um Kontakte während der Tagungspausen zu knüpfen oder zu vertiefen. Darüber hinaus sind die Aussteller in der Lounge nicht nur Gast, sondern auch Gastgeber, erklärt die Messe Berlin die Beliebtheit ihrer Lounges. Sie sparen Zeit und Wege, wenn sie ihre Kunden in die Lounge einladen, können sie auch für Abendanlässe nutzen und sind durch den zentralen Infodesk jederzeit erreichbar. Der Zutritt zu den Lounges kann unterschiedlich restriktiv gehalten sein. Manche stehen allen Teilnehmern offen, andere nur VIPs.
Mit diesen veränderten Bedürfnissen gehen auch veränderte Erwartungen an die Einrichtung einher. Ein exklusives Ambiente unterstützt schließlich auch die empfundene Wertigkeit des Gesprächs. Klar, dass bei dieser Entwicklung Messe- und Konferenzzentren neueren und neuesten Datums im Vorteil liegen. Allen voran momentan die NürnbergMesse mit ihrem im April eingeweihten CCN Ost, das auf jeder Etage ausgefallene Orte der Erholung bietet. "Ein Kongresszentrum muss mehr sein als ein Ort für Tagungen", so NürnbergMesse-Geschäftsführer Bernd A. Diederichs zum Konzept. "Es muss mit Leben erfüllt sein, mit Menschen, die sich begegnen, die ihre Erfahrungen austauschen, ihre Ansichten, ihr Wissen. Dafür Raum zu schaffen, das ist unsere Aufgabe."
Der klaren Farbgliederung des Gebäudes angepasst, warten in der gelben zweiten Etage die sattgelbe Kopernikus- und in der blauen dritten Etage die maritimblaue Galileo-Lounge auf Gäste. Beide Räume sind gleich geschnitten und mit Moroso-Möbeln ausgestattet, haben jedoch durch ihre Farbkompositionen im einen Fall eine belebende, im andern eine beruhigende Wirkung.
Das Prunkstück des neuen Zentrums befindet sich im ersten Stock: die Mercator-Lounge. "Der Bauherr wünschte sich eine gediegene, angenehme Atmosphäre", so Helga H. E. Janzon, seit 1998 für die NürnbergMesse tätige freie Innenarchitektin aus Hannover. Hierzu wählte sie erdige Farben und natürliche Materialien. Aus Hanf, Seide und Raps handgefertigte und von Janzon und ihrem Team selbst entworfene Teppiche in naturfarbenem floralem Muster geben dem Raum Struktur, teilen ihn in unterschiedliche Sitzinseln für kleine Gruppen auf rostroten Dreisitzern mit Firschgrätmuster von BB oder einzelne Personen in drehbaren hochlehnigen orangefarbenen Sesseln von Hansen. Im rechten Teil befinden sich lederbezogene Armlehnsessel aus dunklem Holz von Flexform. Ein dunkles Nussbaumparkett sowie Kaktusbäume unterstreichen den Clubcharakter. Die fünf Meter hohe Decke wird durch etliche Kugelleuchten aus Sisalgeflecht atmosphärisch ausgenutzt. Ein separater Arbeitsbereich, ein Selbstbedienungstresen, Zeitungstheken sowie technische Fazilitäten ergänzen die Lounge. Eine Sonnenterrasse ist außerdem in Planung.
Bisher wohl einzigartig im deutschen Messe- und Kongresswesen ist die sich anschließende Silentio-Lounge, gewissermaßen eine Lounge innerhalb der Lounge, denn dort herrscht absolute Ruhe. Einige wenige verstellbare Wohlfühlsessel sind rings um die Wasserwellen-Licht-Installation "Wave Dream von Helmut Eigenmann" angeordnet. Ein dicker dunkelroter Teppich dämpft jedes Geräusch. Nur die leise Bewegung des Wassers, effektvoll an die Decke projiziert, sowie sanft eingespielte Entspannungsmusik halten die Aufmerksamkeit der Besucher gefangen.
"Die Menschen reisen heute mehr und haben dadurch andere Erwartungen an die Orte, die sie aufsuchen", nennt Janzon als Beweggrund für das Angebot des CCN Ost. Denn: "Nürnberg mag nicht die größte Messe des Landes sein, aber hier werden Menschen stets in den Mittelpunkt gestellt."
In Hamburg entsteht mit der Neuen Messe Hamburg derzeit ein topmodernes Messegelände. Auch hier wird auf Rückzugsmöglichkeiten geachtet. Der 140 m2 große VIP-Club in Halle 14 soll bereits zur diesjährigen hanseboot vom 29. Oktober bis 6. November geöffnet werden. Darüber hinaus werden in jeder neuen Halle adäquate Räume vorhanden sein, die als Büros genutzt oder kurzfristig zu Business Lounges umgestaltet werden können.
Auch nach der Modernisierung des Geländes der Koelnmesse und dem Bau der neuen Nordhallen wird es zwei Gästeclubs geben, darunter eine neue Einrichtung im Rahmen des Congress-Centrums Nord, die zur imm cologne 2006 erstmals genutzt wird. "Der neue Gästeclub bietet eine noch höhere Aufenthaltsqualität", informiert Karsten Deicke, Koelnmesse. "Ein offenes, modernes Ambiente, Tageslicht und eine auf unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten ausgerichtete und flexibel veränderbare Möblierung. Eine neutrale Farbgestaltung des Teppichs und der Wände und eine akzentuierte, variabel einsetzbare Beleuchtung sollen den Club besonders einladend machen. Kunst an den Wänden und im Raum runden das architektonische Konzept ab." Bei der Messe Frankfurt wird Kundenbindung ebenfalls groß geschrieben. Der Tulip Club gewährt ausgewählten Fachbesuchern während der Messen Zutritt zu den beiden Business-Lounges in den Hallen 5 und 9. Erstere wurde von der Bauabteilung der MesFrankfurt koordiniert und 2002 von Designers House gestaltet. Die Möbel stammen von Thonet und wurden von Mart Stam entworfen. Die Lounge in Halle 9 dagegen ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von Habernoll und Vest und der Messe Frankfurt.
Für die beiden weltgrößten Leitmessen, CeBIT und Hannover Messe, steht die exklusive Hermes Lounge in der 18. Etage des Verwaltungshochhauses der Deutschen Messe AG, Hannover, zur Verfügung. Sie bietet unter anderem einen imposanten Blick über das gesamte Messegelände. In dieser Lounge werden alle hochrangigen nationalen und internationalen Delegationen empfangen. Der Architekt dieses Hauses war Thomas Herzog, nach dessen Plänen auch die innenarchitektonische Gestaltung realisiert wurde. Rückzug ist somit oft ein Vorzug, um anschließend frisch für die vielfältigen Eindrücke des Messe- oder Kongresstages zu sein. Anja Wagner

m+a report Nr.6 / 2005 vom 23.09.2005
m+a report vom 23. September 2005