Aus der faszinierenden Welt der neuen Materialien

Erfindergeist: Innovative Werkstoffe finden zunehmend ihren Weg in den Messebau und inspirieren zu neuen Lösungen und Anwendungen.

Die Hannover Messe 2005 bot eine ideale Plattform für alle Materialinteressierten, denn unter dem Thema Material Trends entstand eine Sonderschau mit vielen hundert Materialproben. Und weil die faszinierende Welt der Materialien haptisch am besten zu erfahren ist, zeigte modulor, Berlin, Europas führendes Handelsunternehmen für Materialien für Architektur, Design, Werbung und Dekoration, 250 unterschiedliche Materialienpaare. Die Paare polarisieren, vergleichen, bieten Alternativen und inspirieren zu neuen Lösungen und Anwendungen.
Erstaunlich hoch ist dabei die Anzahl der Materialien, die im Bereich Messebau, Architektur, Innenausstattung, Dekoration oder Kulissenbau einsetzbar sind, wie zum Beispiel SWAP (Stabile Wabenplatte Aus Papier) der SWAP Sachsen GmbH, Frankenberg. Der innovative Werkstoff wird zunehmend für den Messebau und den Bau von Bühnendekorationen, Kulissen, Displays und großflächigen Elementen genutzt. Die Waben sind fast so leicht wie Styropor, haben aber eine ähnlich hohe Festigkeit wie Holz.
Für den Messebau geeignet ist auch AMROC-Rustical (AMROC Baustoffe GmbH, Magdeburg), eine schwer entflammbare zementgebundene Holzspanplatte, die mit einem abriebfesten Klarlack für den Fußboden beschichtet wurde.
Das neue Produkt des Geschäftsbereichs Plexiglas der Degussa AG, Düsseldorf, Plexiglas Gallery AS (Anti Static) verhindert zuverlässig, dass sich die Oberfläche statisch auflädt. Das Ergebnis: Es muss deutlich weniger gereinigt werden als herkömmliche Kunststoffverglasungen. Bark Cloth (Bark Cloth Oliver Heintz, Ebringen) - das Tuch vom Baum - ist das älteste Textil der Welt. Die Rinde vom ostafrikanischen Feigenbaum gewinnt, je nach Lichtsituation und Blickwinkel, die Anmutung von Leder oder die Leichtigkeit und Transluzenz zarter Fleece-Stoffe. Der Einsatzmöglichkeiten gibt es viele, zum Beispiel für Paravents auf Messeständen.

Auf der Sonderschau wurde auch zum ersten Mal der iF material award ausgelobt, verliehen und präsentiert. Gold gab es beispielsweise für einen besonders belastbaren und flexiblen Bodenbelag: Mod von der Carpet Concept Objekt Teppichboden GmbH, Bielefeld. Die Eigenart des Materials beruht auf einem neuen Garn. Die Meinung der Jury - Susanne Ebling, Manager Color Material designafairs, Christof Struhk, modulor GmbH & Co. KG und Markus Storck, Storck Bicycle: "Kunststoff wird hier einmal ganz anders eingesetzt: Durch die andersartige Nutzung von Kunststoffsträngen entsteht ein Produkt, das durch hochwertige Optik, funktionale Nutzen und der flächigen, textilen Anmutung überzeugt."
Ein weiterer Preis ging an die Alpicto GmbH, Pfullendorf, für eine zum Patent angemeldete Weltneuheit. Mit dem Ink-Jet-Verfahren kann man jedes Bild auf jeden erdenklichen Untergrund drucken. Und so wird ein Informationstresen zu einem Blätterwald, ein Messeboden zum Sandstrand, eine Wand zum Meer.
Jedes Laminat ein unverwechselbares Unikat: Die neue Dekodur-bark-cloth-Hochdrucklaminat-Schichtstoffplatte (HPL) entsteht ebenfalls aus der Rinde des Feigenbaums. Im Gegensatz zu handelsüblichen Schichtstoffplatten hat die Oberfläche eine markante, sicht- und fühlbare Oberflächenstruktur. Die sich erneuernde Rinde wird in aufwändiger Handarbeit mit Holzklöppeln mehrere Tage lang weich geklopft, bis sie schließlich zu einem flachen Tuch wird. Das Tuch wird anschließend mit High-Tech-Phenol- und Arminoplastpapieren unter hohem Druck gepresst und seine Oberfläche durch Öl, Lack oder ein Overlay geschützt. Die Jury: "Das Laminat bietet eine interessante Optik, die durch die Verbindung zwischen Naturmaterial und Kunststoff entsteht und die über die Anmutung bisheriger Laminatböden hinausgeht."
Bei Polymet handelt es sich um eine flexible, innovative Lösung von Materialkombinationen mit erstaunlicher Leistungsfähigkeit. Die von der Platingtech Kollmann & Co. GmbH aus Niklasdorf in Österreich entwickelte Lösung eignet sich beispielsweise als sichtbare Dekorationselemente in Kunststoffverkleidungen. Die Kombination besteht aus Gewebe, Vliesen und Schäumen, die metallisiert hoch verschließ- und korrosions-, oberflächen-, temperatur-, UV- und witterungsbeständig, reißfest und leicht verarbeitbar sind.
Wellboard (well Ausstellungssystem GmbH, Hannover), der Holzwerkstoff in Wellen, lässt sich wie ein Holz bearbeiten, mit anderen Materialien verkleben, lackieren oder farbig lasieren. Der aus gepresster Zellulose bestehende Werkstoff lässt sich besonders für spontan veränderbare Raum- und Möbelkonzepte einsetzen. So wird aus Dämmmaterial aus Produktionshallen schnell ein interessanter Messestand.
BendyChair (Jochen Bierwerth, Fachhochschule München) ist ein formal und funktional innovatives Sitzmöbel. Inspiration für BendyChair war ein außergewöhnlich biegsames Sperrholz. Dieser Stuhl ist deshalb so interessant, weil das Volumen zur Lagerung und zum Transport auf ein Minimum reduziert ist, da das Plattenmaterial flach ausgerollt zusammen mit dem Sitzpolster nur wenige Zentimeter hoch ist. Austauschbare Papiercover machen BendyChair zu einem Produkt, das schnell ein anderes Gesicht erhält.

Ebenfalls auf der Sonderschau präsentierte sich designafairs, "Europas führende Designagentur" aus München, gemeinsam mit neun Partnerunternehmen des Color & Material Labs. Die Partnerunternehmen zeigten anhand von Mustern und visionären Lösungsansätzen Beispiele für ihr Know-how in der Materialenwicklung. Aus der Zusammenarbeit zwischen der Berlac AG, einem der neun Partner, und dem deutschen Unternehmen Hartec entstand beispielsweise ein bahnbrechendes Beschichtungssystem, mit dem sämtliche Metalle und Edelmetalle auf praktisch allen Kunststoffoberflächen nachgebildet werden können. Und so wird aus Kunststoff Metall.
Schreiner VarioLight, Oberschleißheim, ein weiterer Partner, präsentierte eine innovative Lichtfolientechnik, die zunehmend als hochwertiges Designelement eingesetzt wird. Bei Elektrolumineszenz-Lichtfolien werden Leuchtpigmente im Siebdruck auf eine transparente Folie aufgetragen und durch eine elektrische Spannung zum Leuchten gebracht. Das Licht scheint aus dem Nichts zu kommen, ist so dünn und flexibel wie eine Postkarte und eröffnet damit Oberflächen und Materialien neue Designperspektiven.
Nicht allein die Sonderschau befasste sich eingehend mit dem spannenden Thema: Es gab noch weit mehr Unternehmen und Institutionen, die Interessantes zu zeigen hatten. Mit rund 50 unterschiedlichen Exponaten demonstrierte beispielweise das Leibniz-Institut die Vielfalt der Innovationen, die mit chemischer Nanotechnologie quer durch alle Branchen möglich werden. Zu den diesjährigen technologischen Highlights zählte eine Nano-Oberfäche, die die Leuchtstärke elektronischer Displays ohne zusätzlich Energie deutlich steigert.
Innovative Werkstoffe verleihen immer mehr Produkten Eigenschaften, die man bislang nicht für möglich hielt. Und so gab es auf der Hannover Messe eine ganze Reihe dieser neuen Hightech-Materialien zu sehen, zum Beispiel künstlich erzeugte Spinnenseide. Spinnenfäden sind ein wahres Wunder - sie sind leicht, dünn und dennoch enorm stabil. Also haben Wissenschaftlicher und Chemieunternehmen seit Jahrzehnten versucht, den Naturstoff Spinnenseide nachzubauen. Ein Produkt von ähnlicher Qualität, das sich zudem wirtschaftlich herstellen lässt, ließ bislang jedoch auf sich warten. Der Durchbruch glückte unlängst Wissenschaftlern der Technischen Universität München. Der Erfinder, Thomas Scheibel: "Die Spinnenseide lässt sich je nach Anwendung hauchfein zu nano- oder mikrometerdünnen Fäden spinnen. Und so kann dieses Material beispielsweise als Verstärkung in Papier- Textil- oder Baustoffen eingesetzt werden. Spinnenseide lässt sich außerdem problemlos mit anderen Materialien wie Plastik und Metallen verknüpfen und kann deren Eigenschaften verbessern."
In nächster Nachbarschaft zeigten auch andere Werkstoffexperten ihre Neuentwicklungen - von der kugelsicheren Keramik bis zum Unterwasserkleber.

Material Trends war nicht nur auf der Hannover Messe, sondern auch auf der CeBIT Asia im Mai in Shanghai zu sehen. Frank Zierenberg, iF International Forum Design GmbH, Hannover: "Zum ersten Mal wurde auf einer asiatischen Messe eine so große Anzahl verschiedenster Materialien gezeigt - die Resonanz war daher überdurchschnittlich hoch."

Aber nicht nur die Deutsche Messe AG in Hannover beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Materialien. So veranstaltet die MunichExpo GmbH in der Messe München vom 20. bis 22. September wieder die Materialica, diesmal in Kooperation mit dem Design Zentrum München. Und auch das New Yorker Cooper-Hewitt National Design Museum hat hierzu einiges zu zeigen - hier allerdings auf den textilen Bereich begrenzt. Was nicht heißt, dass es nur Kleider zu sehen gibt. Die Exponate kommen aus den Bereichen Architektur, Bekleidung, Medizin, Transport, Umwelt. Sie können Musik spielen, Licht erstrahlen lassen oder Wolkenkratzer stabil halten. Und so können die staunenden Besucher einen Formel-1-Rennwagen mit einer Karosserie aus gewebten Carbonfasern, Zelte, die, egal wo, durch ihren Stoff Strom zur Verfügung stellen, einen waschbaren MP3-Player mit einer Tastatur aus Stoff, batteriebetriebene immerwarme Jacken, die trotzdem in der Maschine gewaschen werden können, Pompons als Lichtschalter, die noch in diesem Jahr auf den Markt kommen sollen, und leuchtende Abendkleider mit leitfähigen Fasern und Leuchtdioden bewundern. Angela Wiegmann

m+a report Nr.4 / 2005 vom 14.06.2005
m+a report vom 14. Juni 2005