Modemessen zwischen Aufbruch und Chaos

Berlin oder Düsseldorf, Messe oder offshow - die Branche ist verwirrt. Newcomer rütteln an alten Strukturen und etablierte Veranstaltungen stehen auf dem Prüfstand.

Manche würden gerne, aber dürfen nicht, nämlich als Aussteller ihre neue Kollektion einem jungen Publikum präsentieren. Doch sie sind zu sehr Mainstream - so jedenfalls denkt Karl-Heinz Müller, der mit seiner Bread & Butter in den vergangenen zwei Jahren für gewaltigen Wirbel in der Branche gesorgt hat. Er war es, der mit seinem Umzug von Köln nach Berlin Bewegung in die Szene brachte. Der Focus der öffentlichen Aufmerksamkeit liegt nicht zuletzt dank seiner guten PR-Arbeit zurzeit verstärkt auf jungen Modelabeln und der Stadt Berlin. Neben der Bread & Butter hat sich auch die Premium als Newcomer schnell einen Namen gemacht. Vor allem die Bread & Butter will eines nicht sein - eine Messe, obwohl man auch dort nichts anderes tat, als modetrends vorzustellen. Aber eben anders: Der Start als "offshow" wurde zelebriert. Die Generation Karstadt & Co., so hat es zumindest den Anschein, war einfach nicht mehr gefragt.
Allerdings nimmt der frisch entfachte Hauptstadt-Mode-Hype langsam groteske Züge an. Wie bei einer erfolgreichen Dokusoap fanden sich blitzschnell Nachahmer, die ein möglichst großes Stück vom Modekuchen abhaben wollten. Man versicherte sich gegenseitig, dass es nicht darum gehe, einander Konkurrenz zu machen. Das eigene Konzept diene der Ergänzung des Ganzen. Denn Trittbrettfahrer will keiner sein. Fachbesucher konnten also in der Zeit vom 21. bis 23. Januar in Berlin Party feiern und Mode gucken wo immer sie wollten: Im Kabelwerk, unterm Funkturm, in der U-Bahn, im Zelt im Sonycenter - an "geilen" Locations herrschte kein Mangel. Doch welches von den sechs bis neun verschiedenen Modeevents letztlich den langen Atem und die Durchhaltekraft besitzt sich zu etablieren, das bleibt abzuwarten. Spätestens im Sommer, zur nächsten Moderunde in Berlin, kommt es zur Nagelprobe. Dann wird sich zeigen, wer mehr als eine Eintagsfliege auf die Beine stellen konnte und den Handel überzeugt hat.

Die Branche straft Misserfolg und schlechte Konzepte gnadenlos ab. Außerdem: Eine Messe soll ja immer auch Marktplatz der Ideen sein, Raum für Inspiration und Austausch bieten. Doch wenn selbst die die wollen nicht kommen dürfen, dann kochen die jungen Labels im eigenen Saft. Für viel Unmut sorgte zum Beispiel im Vorfeld der Bread & Butter, dass es selbst für Besucher, die nicht den Vorstellungen der Veranstalter entsprachen, heißen sollte: "Wir müssen leider draußen bleiben." Solches Gebahren, gepaart mit der Unsicherheit, wie es überhaupt um die wirtschaftliche Zukunft vieler Fachhändler bestellt ist, könnte dazu führen, dass Hersteller und Händler das Thema Messe zu den Akten legen. Abwarten heißt die Devise bei den Markenartiklern. Sie wollen oft erst einmal schauen, wie sich die Messewelt entwickelt und dann entscheiden, wo sie in Zukunft präsent sein werden.

Kein Wunder, dass der Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels (BTE) fast flehentlich an die Lieferanten appelliert, sich nicht in Messeabstinenz zu üben. Als Lobbyist des Handels sieht der Veband die Gefahr, dass am Ende der momentanen Entwicklung eine rudimentäre oder völlig zersplitterte Messelandschaft steht, die ihrer Klientel keinen umfassenden Marktüberblick mehr erlaubt. Übertrieben? Wohl kaum. "Ich wage noch keine Prognose, welcher Trend sich durchsetzen wird", sagt Heijo Gassenmeier, Hauptgeschäftsführer des BTE. Die Branche befinde sich dermaßen im Umbruch, dass niemand vorhersagen könne, wie sich das Messegeschäft entwickeln werde. "Das Kerninteresse des Handels ist allerdings ein großer zentraler Standort, an denen er zeitlich gut getaktet einen umfassenden Überblick bekommt", so Gassenmeier weiter.

Das heißt nicht, dass die Messemacher in Düsseldorf - dort ging gerade die cpd_woman_man_ kidz über die Bühne - sich beruhigt zurücklehnen können. Noch ist die Veranstaltung am Rhein der Star unter den Messen: In der Zeit vom 30. Januar bis 1. Februar trafen sich auf dem Event der Igedo Company rund 1800 Aussteller aus 54 Ländern und etwa 48 000 Besucher aus aller Welt. In der Messe Düsseldorf und im Düsseldorf Fashion House 1 + 2 dienten 220 000 m2 der Modepräsentation.
Trotzdem, die Gefahr besteht, dass der Wunsch vieler Händler nach einem konzentrierten Standtort und die raue Wirklichkeit im Messegeschäft kollidieren werden. Selbst Veranstaltungen die lange Zeit standen wie in Stein gemeißelt, kamen in den vergangenen zwei bis drei Jahren unter die Räder. Garant für den umfassenden Überblick war zum Beispiel jahrelang der Messeplatz Köln. Mit der Herren Mode Woche, der Interjeans und der Kindermode wähnte man sich auf sicherem Boden. Noch Mitte der 90er Jahre hätte wohl keiner aus der Branche die Kölner Konzepte ernsthaft in Frage gestellt. Doch die wachsende Konkurrenz der Messestandorte um Aussteller und Besucher brachte neue Entwicklungen mit sich. Köln und Düsseldorf - schon traditionell verfeindete Brüder am Rhein - brachten kein gemeinsames Modeereignis zustande. Ob die Kölner die Zeichen der Zeit ignorierten und das Umdenken in der Domstadt zu spät einsetzte - darüber zu diskutieren ist müßig. Sie spielen heute in der Modeliga keine Rolle mehr, die Herrenmode wanderte ab nach Düsseldorf und die Jungen Wilden zog es in die Hauptstadt.

So ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch eine cpd in Düsseldorf Geschichte werden kann. Als Dickschiff der Branche muss sich die Messe neue Konzepte einfallen lassen, die auf das sich immer schneller drehende Kollektionskarussell abgestimmt sind. Nur wenn Einkäufer tatsächlich Nutzen vom Messebesuch haben, werden sie weiterhin kommen. Beispiel für Innovation war in diesem Jahr die Preview der neuen Schuhmode zur cpd auf der Pre-gds.
Es könnte also Ruhe herrschen an der Modefront. Aber der alte Modestandort Berlin macht sich auf, die vergangene Tradition wiederzubeleben. Neben den vielen kleineren Modeevents hat die Messe Berlin vom 21. bis 23. Januar mit der B-in-Berlin gepunktet, die das breite Mittelfeld und den Mainstram bedienen wird. Zusätzlich scheinen die Berliner vor allem den Wünschen der Aussteller der Herrenmode entgegengekommen zu sein, die in Scharen die neue Branchenplattform nutzten. Die Aussichten auf Erfolg sind gar nicht so schlecht. Rund 130 Aussteller tummelten sich auf einer Bruttoausstellungsfläche von 30 000 m2. Viele Markenartikler hatten schon im Vorfeld signalisiert, dass Berlin eine Chance verdient habe. Was Manfred Kronen mit seiner Igedo Company in den frühen 90ern noch nicht gelang - eine Modemesse in Berlin neu zu etablieren - hat nun Dank Hauptstadtbonus und Modehype eine Chance.

Und so entbrannte der Streit zwischen den Messeplätzen Berlin und Düsseldorf. Ende vergangenen Jahres offenbarte dieser, mit welch harten Bandagen inzwischen in der Messewelt um Aussteller gerungen wird. Da wurde unter anderem in offenen Briefen unlauteres Geschäftsgebahren unterstellt und es kam zu rechtlichen Auseinandersetzungen über Mitarbeiter aus Düsseldorf, die aufgrund der Wettbewerbsklausel in ihrem Arbeitsvertrag nicht für die B-in-Berlin hätten tätig werden dürfen. Allem Gerangel zum Trotz: Die Messe fand statt.
Der Ausgang des Modekrieges bleibt abzuwarten. Der BTE jedenfalls hofft, dass die Lieferanten sich im Zweifel für den Besuch beider Veranstaltungen entscheiden, was in Zeiten schrumpfender Umsätze auch für Markenartikler schwierig sein dürfte. Abgespeckte oder gar keine Messeauftritte könnten die Folgen sein. Nicht zuletzt haben sich längst Messen etabliert, die abseits der Metropolen ihrerseits Maßstäbe setzen. So hat es die Outdoor in Friedrichshafen geschafft, für ihr Segment die mit Abstand wichtigste Messe in Deutschland zu werden. Auch die Body Look in Leipzig ist für Februar auf gutem Kurs und die Munich Fashion Fair fühlt sich im Süddeutschen ebenfalls wohl.

Ohne Not findet diese Umwälzung natürlich nicht statt. In Gang gesetzt hat den Prozess nicht zuletzt die Umstrukturierung der gesamten Textilbranche, sowohl im Hersteller- als auch im Händlerbereich. Wenn 20 Firmengruppen in Deutschland rund 50 % des Einzelhandelsumsatzes von rund 57 Mrd. EUR bestreiten, dann spielen Besucherzahlen auf Messen nicht mehr die große Rolle. Und so lange weiterhin pro Jahr fast 2000 Firmen aufgeben müssen, schrumpft die Aussteller-Zielgruppe der selbstständigen Einzelhändler nach wie vor gewaltig. Zusätzlich gewinnt der vertikale Handel mit Kollektionen an Boden, die alle sechs bis acht Wochen wechseln. New Yorker, Zara, H&M und Co. bieten von Flensburg bis Konstanz in ihren Shops das gleiche Angebot. Da braucht es keine Messe mehr, die mit der klassischen Sommer- oder Winterkollektion auf den Markt will. Nicht zuletzt nagen Discounter wie Aldi (Textilumsatz geschätzt rund 1,4 Mrd. EUR) und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland ebenfalls mit 1 Mrd. EUR) gewaltig am Umsatz der Textiliten. Und deren Einkäufer hat man wahrscheinlich noch nie auf einer Messe gesehen. Annic Kolbrück

m+a report Nr.1 / 2005 vom 11.02.2005
m+a report vom 11. Februar 2005