Funktion versus Form

Tageslicht mag nicht optimal für die Messestandgestaltung sein, aber für die Psyche. Wo sollten die Prioritäten gesetzt werden? Experten sind geteilter Meinung.

Das Stuttgarter Architekturbüro wulf & partner hat sich beim Entwurf der neuen Landesmesse Baden-Württemberg mit funktionalen und gestalterischen Gesichtspunkten auseinander gesetzt. Architekt Kai Bierich legt seine Überlegungen dar:

Was gewichten Sie und Ihre Kollegen bei Ihren architektonischen Konzepten stärker, die Ästhetik oder den Nutzwert eines Geländes, und warum?

Kai Bierich: Der Entwurf der Landesmesse ist eine Synthese aus funktionalen und architektonischen Aspekten. Die Synergien waren bereits Teil des Wettbewerbsansatzes, hier konnte sich unsere Arbeit als "Messe der kurzen Wege" und als zukunftsweisendes Modell des Messebaus durchsetzen.
Viele funktionale Aspekte konnten direkt in Architektur umgesetzt werden, wie zum Beispiel das Parken in direkter Nähe der Messe, welches mit der Parkhausbrücke über die Bundesautobahn gelöst wurde, oder auch die einfache Integration von Tageslicht über verglaste Dachflächen, die gleichzeitig Atmosphäre, Messebetrieb und dem architektonischen Erscheinungsbild zugute kommen.
Ästhetische und funktionale Synergien findet man in vielen Details und technischen Umsetzungen, die in Zusammenarbeit mit der Messegesellschaft bei diesem Projekt entwickelt werden. Dies reicht von der optimierten Beschickung der Neuen Messe auf mehreren Ebenen, die Teil des topologischen Ansatzes unserer Architektur ist, bis hin zur Auswahl der Materialien und Oberflächen, die zugleich alltagstauglich UND ästhetisch durchgeplant sind.
Große Bauvorhaben erfordern in ihrer Größe und ihrem Anspruch an das Erscheinungsbild eine gewisse Disziplin und Durchgängigkeit, bei dem es wiederkehrende Elemente aus visuellen und vor allem Kostengründen gibt. Gerade die Reihung von Elementen gibt uns Architekten bei Industrie-, Gewerbe- und Messebau die Aufgabe mit, über Detaillösungen als Multiplikatoren sehr genau nachzudenken.
Wir glauben, dass bei der Bewertung der gestellten Aufgabe nicht für Funktion ODER Gestaltung entschieden werden darf. Hier müssen wir von einem Neben- und Miteinander sprechen.

Wie stehen Sie zu den so genannten Blackbox-Hallen?

Ziel der Architektur sollte sein, die Welt der Abläufe verständlich zu vermitteln. Transparenz als Ausdruck einer Gesellschaft findet sich vielfach beim Messeprojekt wieder. Als Mittel der Formorganisation schafft sie Klarheit und Durchblick - die Wechselbeziehungen der Teile untereinander werden möglich. Daher haben wir den Hallen die Möglichkeit geschaffen, sie auch mit Tageslicht zu bespielen. Verdunkelbar ja, aber nicht immer dunkel. Die Medien sind heute durchaus in der Lage mit immer lichtstärkeren Bildschirmen sich auch in tageslichtbelichteten Hallen zu artikulieren. Übersicht und Tageslicht vermeiden Orientierungs- und Ermüdungsprobleme und werden daher als Chance für Kundenorientierung gesehen.

Welche Auswirkung hat die Geländearchitektur Ihrer Meinung nach auf den Erfolg der Messe?

Wir versuchen, in das Konzept unserer Architektur kontextuelle Überlegungen und umgebende Faktoren einzubeziehen: Umwelt, Umfeld, Geschichte, Topografie. Wir geben unserer Architektur das Spezifikum dieses Ortes im Sinne der ökologischen und ökonomischen Einfügung mit auf den Weg.
Die Abstufung sowie die unverwechselbare Silhouette der Dächer spiegeln die Besonderheiten dieser Situation in Stuttgart wider. Einmalig ist hier die Chance genutzt, unter Ausnutzung des Höhenprofils für die Beschickung in diesen Stufen durch die Messe hindurchzufahren, ohne den Messebetrieb (wie in München) stören zu müssen. Die innere Erschließung für die Besucher erfolgt spannungsreich über Rolltreppen und Aufzüge, welche der "3-D-Messe" damit Orientierung und Identität vermitteln.

Wie sollten Messehallen in Zukunft gebaut werden?

Zukünftige Messen sollten immer als Aufgaben der öffentlichen Hand den kulturellen Mehrwert innerhalb der gebauten Realitäten abbilden und nicht zu reinen Funktionsbauten verkommen. Innovation, ökologische Orientierung und zeitgemäße, aber nicht zeitgeistige Gestaltung müssen bei Projekten dieser Größenordnung selbstverständlich werden. Individualität und Besonderheit des Ortes sind hierbei genauso wichtig wie Gestaltaspekte.
Der Marketingaspekt von neuen Bauten muss nicht immer wieder neu betont werden. Längst haben nach der öffentlichen Hand auch Firmen, Fond- und Messegesellschaften entdeckt, dass "gute Architektur" auch für einen nachhaltigen Mehrwert in Image und Umsatz abbilden kann, dass ein Wandel in neuem Gewand besser kommuniziert werden kann.

Auf Veranstalterseite gibt Eric Préat, Vice President Product Development der Artexis Group in Brüssel, seine Sichtweise dieses Diskussionsthemas wieder:

Als Messeveranstalter kommen Sie mit den unterschiedlichsten Messezentren in Berührung. Welche Architektur und Innenausstattung bevorzugen Sie für Ihre Zwecke?

Eric Préat: Was die Architektur betrifft, bevorzugen wir die Betonung der Funktion statt der Form: superzugänglich, gute Park-, Ein- und Ausgangsmöglichkeiten für alle Beteiligten vom Aufbaupersonal, den Ausstellern bis zu den Besuchern. Dennoch sollte ein entsprechendes Image und Äußeres gegeben sein, damit das Gelände bei der Besucherpromotion im Vorfeld der Veranstaltung einen hohen Wiedererkennungswert besitzt. Wir wollen nicht eine von vier Broschüreseiten darauf verwenden, zu erklären, wo sich das Gelände befindet.
Wichtig ist auch eine gut durchdachte Hallenaufteilung. Vier gleichzeitig stattfindende Veranstaltungen sollte nicht bedeuten, dass zwei davon im rückwärtigen Geländeteil zusammengepresst und schwer für die Besucher zu finden sind.
Das Innere der Hallen sollte nackt sein - keine Bodenbeläge, keine Säulen, alle technischen Anschlüsse (Wasser, Strom, EDV etc.) sollten erreichbar, aber nicht störend sein. Es sollte keine auf bestimmte Funktionen festgelegte Räume wie Presseräume, Garderoben, Registrierschalter und so weiter geben. Wir bevorzugen mobile Einheiten. Restaurants und Cateringstellen sollten so gestaltet sein, dass wir sie abtrennen oder schließen können, wenn wir das für bestimmte Veranstaltungen wünschen.
Messehallen sollten weniger aus kleineren Bausteinen bestehen als heute. Das heißt, wir hätten gerne eine Auswahl an Flächen zwischen 1000 und 10 000 oder mehr Quadratmeter. Es sollte möglich sein, eine Nischenveranstaltung von 1358 Netto-m² ebenso passend unterzubringen wie eine allgemeine Industrieschau von 15 000 m² netto oder eine Verbrauchermesse von 30 000 m². Das Gelände sollte interaktiv (direkt sichtbar) verbundene Ausstellungs- und Tagungsflächen haben.

Welche Vor- und Nachteile haben die so genannten Blackbox-Hallen im Vergleich zu den derzeit bei Geländebetreibern recht populären Tageslichthallen?

Beide Varianten sind nötig für unterschiedliche Arten von Events: die Blackbox für Schmuck- und Modemessen, IT- und Multimedia- sowie Antikmessen, Firmenevents, Dinner, Shows, Produkteinführungen, Präsentationen und so weiter. Lichtdurchflutete Hallen werden gebraucht für Industriemessen, Messen für Moderne Kunst, für Designmöbel und so fort.
Der Vorteil der Blackbox ist, dass sie immer eine Blackbox ist. Die tageslichtdurchflutete Halle wird zu 60 % der Zeit des Messehochbetriebs - in den Monaten Oktober, November sowie Januar, Februar, März - zur nachtdurchfluteten Halle.
Wir legen besonderes Gewicht auf die Bedürfnisse unserer Aussteller. Eine lichtdurchflutete Halle erhöht oft die Standbaukosten, weil mehr individuelle Beleuchtung nötig wird, ebenso wie Deckenkonstruktionen an den Ständen. Verbraucherausstellungen wie Fachmessen geraten außerdem in Gefahr, einige Besucher zu verlieren, die an einem sonnigen Nachmittag früher aufbrechen, als sie es täten, wenn sie keinen Blick auf die Außenwelt hätten. Selbst eine starke Klimaanlage (zu hohen Kosten installiert und an die Veranstalter weiterberechnet) kann außerdem nicht verhindern, dass Tageslicht-Glaskonstruktionen sich im Sommer zu stark aufheizen.
Tatsächlich können gläserne Hallen alle Vorteile miteinander verbinden, wenn sie über ein modernes Verdunkelungssystem verfügen. Die (teurere) Alternative wäre, beide Arten von Hallen auf demselben Gelände anzubieten - einige mit und einige ohne Tageslicht.

Wie beeinflusst Ihrer Meinung nach die Architektur den Erfolg einer Messe?

Wenn es eine Fachmesse ist, muss sie zu allen Arten von Marktkultur passen. Eine Friseurhandwerksmesse wird ein anderes Design benötigen als ein Kongress über Finanzsoftware. Wenn ein Gelände eine breit gefächerte Palette von Veranstaltern und Veranstaltungen ansprechen will, gibt es keine Alternative zu einer neutralen Architektur.

Wie sollten die Messehallen der Zukunft aussehen?

Nutzer- und gastfreundlich, attraktiv, nach menschlichen Maßstäben konzipiert, einladend. Nicht diese furchteinflößende imperialistische Art von Gebäude mit massiver Fassade. Wollen Sie eine Anekdote hören? Ich fuhr einen Kollegen aus den USA um ein traditionelles europäisches Gelände herum (Ich verrate nicht welches ...), das wir für die Veranstalter einer Messe in Betracht zogen. Wir fuhren am Haupteingang vorbei, er sah diesen lange an und fragte mich dann: "Wer hat das entworfen? Mussolini?"
Wir sind keine Kaiser, die die Märkte mit monumentalen Geländen und Megamessen beeindrucken wollen. Wir sind anonyme Unternehmer, die den Märkten mit effizienten Veranstaltungen nutzen wollen, auf denen Aussteller und Besucher sich bequem treffen und gemeinsam Geschäfte machen können. Das beste, was Geländearchitektur tun kann, um die Industrie zu unterstützen, ist, so einfach und unauffällig wie möglich zu bleiben.
Die einzigen Gründe, die ich mir für protzige Gelände vorstellen kann, ist zum einen der Versuch von Städten sich gegenseitig zu beeindrucken und zum andern der von Geländebetreibern, "größer und besser" als ihre Mitbewerber zu sein. Keiner dieser Gründe nützt der Messewirtschaft in irgendeiner Form.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass es weder das Gelände noch der Veranstalter nötig hat (oder haben sollte), im Rampenlicht zu stehen - das steht allein den Veranstaltungen und den Ausstellern zu. Interviews: Anja Müller

m+a report Nr.1 / 2005 vom 11.02.2005
m+a report vom 11. Februar 2005