"Traditionelle Grenzen der Branchen lösen sich auf"

Ernst Raue, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Messe AG, über CeBIT-Verweigerer, Globalisierungstendenzen und Consumer-IT.

Die Anzahl spezialisierter und hochspezialisierter IT-Fachmessen nimmt weltweit zu. Gleichzeitig schrumpft das Mega-Event CeBIT, nicht zuletzt weil Unternehmen fürchten, auf der riesigen Messe nicht wahrgenommen zu werden?

Ernst Raue: Wer ein internationales Publikum sucht und die oberste Management-Ebene ansprechen will findet keine vergleichbare Veranstaltung. Die CeBIT ist zwar um ein Vielfaches größer als eine regionale Fachmesse und zieht rund eine halbe Million Besucher an. Entscheidend ist aber vor allem für ausstellende Unternehmen nicht allein die Zahl der Messebesucher, sondern die Tatsache, dass die "Richtigen" an den Stand kommen. Zur vergangenen Veranstaltung kamen über 30 % aus der obersten Führungsebene, rund 56 % zeichneten für Einkaufentscheidungen verantwortlich und rund die Hälfte aller Fachbesucher kam mit konkreten Investitionsvorhaben nach Hannover. Außerdem waren alle relevanten Fachhändler und Distributoren vertreten. Auch der Kontakt zu den anderen Ausstellern gewinnt zunehmend an Bedeutung - vor allem zu den internationalen Firmen. Der "Markt im Markt" ist hochinteressant: Während einer CeBIT arbeiten mehr als 60 000 Fachleute auf den Ständen und machen Geschäfte untereinander.

Die CeBIT gilt als Schaufenster der Branche, andere Messen werben damit, deren Arbeitszimmer zu sein.

Die übersteigerte Internet-Euphorie ist der wirtschaftlichen Normalität gewichen und die ITK-Branche befindet sich, auch aufgrund der gestiegenen Auslandsnachfrage, auf einem soliden Wachstumskurs. Wer von diesen Globalisierungstendenzen profitieren möchte, und dies betrifft zunehmend auch kleine und mittlere Unternehmen, dem bietet die CeBIT ideale Voraussetzungen: In diesem Jahr kamen über 112 000 Gäste aus dem Ausland. Besonders wichtig sind dabei die Kontakte zu den Managern der Wachstumsregionen. Mehr als 14 000 Besucher kamen letztes Jahr aus Osteuropa. Auch der Anteil der Gäste aus Asien und Ozeanien ist mit rund 25 000 Besuchern signifikant.

Trotzdem nutzen Unternehmen verstärkt ihre Nichtteilnahme an der CeBIT als Eigen-PR, da die Wirtschaftspresse relativ breit über einzelne CeBIT-Verweigerer berichtet.

Keine andere ITK-Messe zieht auch nur ansatzweise ein solches Interesse auf sich. Wir erzielen beispielsweise bereits im Vorfeld der Messe einige tausend Presseberichte weltweit. Wo sonst berichten mehr als 10 000 Journalisten direkt vom Ort des Geschehens? Davon profitieren vor allem unsere angemeldeten Aussteller. Wenn sogar einige Nichtaussteller davon profitieren, müssen wir wohl mit diesem "Nebeneffekt" leben. Wobei die bloße Mitteilung, nicht an der CeBIT teilzunehmen, für das betreffende Unternehmen einen nur sehr kurz wirkenden Aufmerksamkeitswert erzielt.

Die CeBIT hat sich stark für Consumer-IT geöffnet. Wird dadurch das Konzept einer IT-Fachmesse nicht verwässert?

Nein, diese Technologien gehören auf eine Leitmesse für Informations- und Telekommunikationstechnik. Das bestätigt uns auch der Markt, der zurzeit einen rasanten Prozess des Wandels durchläuft. Bestimmende Faktoren sind neben der Globalisierung vor allem multifunktionelle Technologien, der andauernde Trend zur Miniaturisierung und die Konvergenz der Systeme, wobei nicht nur die Technologien selbst miteinander verschmelzen, sondern auch die Art und Weise, wie wir sie einsetzen. Die traditionellen Grenzen zwischen Businessanwendungen und Systemen für den Verbraucher lösen sich zusehends auf. Das wissen auch unsere wichtigsten Besucherzielgruppen - der Handel und der Mittelstand - und erwarten entsprechende Produkte. Interview: Dirk Mewis

m+a report Nr.8 / 2004 vom 08.12.2004
m+a report vom 8. Dezember 2004