Konzepte auf dem Prüfstand

Talsohle durchschritten? Studien sagen dem Marketinginstrument für 2005 eine bessere Zukunft voraus. Der Zweck von Messen wird nicht mehr in Frage gestellt.

Die größte Messe der Welt, die größten Gelände, die internationalsten Veranstaltungen - die internationalen Fachmessen in Deutschland gelten als Weltmarktführer. Zwei Drittel der weltweit wichtigsten Branchenmessen finden hier statt. Über 50 Jahre lang hat die deutsche Messewirtschaft auf der Überholspur Gas gegeben. Stagnation oder gar Rückgang kannten erfolgsverwöhnte Messemanager nur vom Hörensagen oder aus anderen Branchen. Doch jetzt stottert der Motor, erstmals seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland schlug in den letzten Jahren die gedrückte Wirtschaftslage auch auf das Messewesen durch: Besucher- wie Ausstellerzahlen sanken, Ausstellungsflächen wurden kleiner, Veranstaltungen abgesagt oder verschoben, es plagen Nachfrageschwäche und Überkapazitäten.
"Messen sind Teil der Optimismusindustrie" hatte Hermann Kresse, Geschäftsführender Vorstand des Ausstellungs- und Messe-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (AUMA) Ende 2001 gesagt. Für 2005 scheint er Recht zu behalten. Sowohl die GfK-Wirtschaftswoche-Werbeklimastudie als auch der AUMA_MesseTrend 2005/2006 prognostizieren den Messen, die Talsohle durchschritten zu haben: Die Budgets für Messebeteiligungen sollen wieder steigen.
Dennoch: Die aktuelle konjunkturelle Schieflage hat den Messemarkt kräftig durcheinandergebracht und traditionelle Messekonzepte unter Druck gesetzt.

Die Veranstalter hierzulande können sich nicht im Glanz vergangener Ruhmestaten sonnen und sich darauf verlassen, dass die Erfolgsgeschichte "Deutsches Messewesen" auch in Zukunft Bestand hat. Sie müssen daran arbeiten, dass das einzigartige Marketinginstrument an seinem Traditionsstandort nicht unter die Räder kommt. Andere Staaten oder Regionen könnten dem Standort Deutschland die Tabellenspitze streitig machen. Es deutet einiges darauf hin, dass den deutschen Messemachern im internationalen Wettbewerb richtig Stress blüht: Ob Bilbao, Rom oder Mailand - rings herum in Europa werden zum Teil riesige Messegelände hochgezogen wie wild. Von Asien ganz zu schweigen.
Es ist noch gar nicht so lange her, da sprachen die deutschen Messeveranstalter von Wettbewerb, ohne zu wissen, was das eigentlich wirklich bedeutet. Die Zeiten sind vorbei, sie sind mittendrin - und wundern sich, mit welch großer Aggressivität der ein oder andere Kollege dabei zu Werke geht. Schließlich gibt es zu viele Veranstaltungen zum gleichen Thema oder für die gleiche Branche. Große Gelände wollen nun mal ausgelastet sein und Verbände reden gerne ein Wort mit, wenn es um Messeveranstaltungen geht.

Sich gegenseitig das Wasser abzugraben scheint offensichtlich der einzige Weg, um heute an neue Messethemen zu kommen. Es geht viel zu selten um Konzepte, es geht zu oft nur noch um den Preis. Dazu kommt: Nicht nur die Veranstalter kämpfen untereinander, auch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Marketinginstrumenten wächst. Zurück zu den Messegesellschaften: Der Dumpingwettbewerb dürfte sich noch verstärken, da auch im deutschen Messewesen noch Expansion angesagt ist. Unlängst legte die Neue Messe Stuttgart ihren Grundstein. Das neue Messegelände, das 2007 eingeweiht werden soll, wird 100 000 m2 Ausstellungsfläche haben. Das alte Gelände hat gerade mal die Hälfte. Mit Stuttgart dürfte das Gerangel um Veranstaltungen massiv steigen. Und auch Köln muss seine "Ersatz"-Neubauten rechtfertigen. In die alten Rheinhallen wird RTL 2008 einziehen. Mal abwarten, was die Nachbarschaft von Messe und Fernsehen bringen wird ...
Erste Erfolge: Die Koelnmesse wird neuer Veranstalter der DMS. Der bisherige Veranstalter Advanstar Communications Germany GmbH & Co KG überträgt ihr Europas führende Fachmesse und -konferenz für Enterprise Content- und Dokumenten-Management. Wenn auch die nächste Veranstaltung (27. bis 29. September 2005) noch mal in Essen stattfindet - 2006 zieht die DMS um auf das neue Koelnmesse-Gelände. Und auch der Industrie-Verband Motorrad Deutschland (IVM) hat seine internationale Motorrad- und Rollermesse Intermot ab 2006 nach Köln vergeben. Sie fand seit 1998 in München statt. Auch dort war damals ein neues Gelände eingeweiht worden.

Wie es gehen kann, wenn nicht wirklich am Konzept gearbeitet, sondern immer nur so gekittet wird, dass es nicht wirklich auffällt, zeigt Deutschlands wohl bekannteste Messe, die Hannover Messe. Die muss massiv an sich arbeiten, will sie nicht untergehen. Der Veranstalter handelte erst unter großem Druck: Klar, Jahrelang ging alles gut, galt die Hannover Messe sie als "Mutter aller Messen" in Deutschland, von der sich immer wieder Themen abspalteten, um als eigenständige Messen groß zu werden. Als Beispiele seien hier nur die CeBIT oder ILA genannt. Das ging gut, so lange die Konjunktur brummte. Die Ausgliederung der Weltlichtschau, die jetzt als Light&Building in Frankfurt Triumpfe feiert oder der Robotik und Automationsmesse Automatica (Premiere war im Juni in München, längst nicht so erfolgreich wie gehofft) tun da schon richtig weh. Auf die CeMAT im nächsten Jahr darf man deshalb gespannt sein: Wird sie ein Erfolg, könnte das ein Signal sein für andere Fachmessen, die Messe der Messen, die Hannover Messe, auch zu verlassen und es als eigenständige Fachmesse zu versuchen.

Mit dem Wegbrechen der Messen (und damit dem Fehlen der Aussteller) werden die Kassen nicht mehr voll. Die Hannover Messe schwächelt und auch die CeBIT (die ihre Mutter an Bedeutung längst überholt hat) muss kämpfen. Der Deutschen Messe AG, der Veranstalterin der Hannover Messe und der CeBIT, ist zu massiven Einsparungen gezwungen. Dem Rotstift sollen auch die CeBIT America und die Biotechnica America zum Opfer gefallen sein. Die CeBIT hätte im Juni 2005 zu dritten Mal in New York stattfinden sollen.
Doch nicht nur die Hannoveraner wissen, dass es nicht ganz einfach ist, im Ausland Geld zu verdienen. Auch die Messe Frankfurt hat das schon erfahren. Jüngstes Beispiel ist die Musikmesse/Prolight+Sound im russischen St. Petersburg. Wenn auch die zweite Veranstaltung nach Angaben der Messe Frankfurt eine "beachtliche Zahl" von Branchenteilnehmern erreicht und wichtige Impulse gesetzt hat, so zeigten die Ergebnisse auch, dass sich die Erwartungen der Frankfurter an Wachstum und Wirtschaftlichkeit der Messe mittelfristig nicht erfüllen werden. Konsequenz: Die Musikmesse/Prolight + Sound St. Petersburg findet künftig in Eigenregie des russischen Veranstaltungspartners Lenexpo Exhibition and Trade Fair Company statt. Fern der Heimat, aus China, verkündet Frankfurts Messechef Michael von Zitzewitz kürzlich, er wolle die Art Frankfurt gerne abschaffen: Sie mache regelmäßig Verlust und stehe auf dem Prüfstand. Ähnliches sagen die Westfalenhallen Dortmund von der West Antique. Trotz erhöhter Besucherzahlen wird sie aus dem Programm genommen. Auf Dauer fehle die wirtschaftliche Grundlage, verkündete Stefan Baumann, Geschäftsführer der Messe Westfalenhallen Dortmund GmbH.
Das sind nur zwei Beispiele von mehreren. Messekonzepte stehen nicht nur bei den Ausstellern, den Kunden, auf dem Prüfstand, sondern auch bei den Veranstaltern höchstselbst. "Privatwirtschaftlich nicht finanzierbar" heißt es nun, wenn eine Messe nicht den richtigen USP hat und damit austauschbar ist. Was nicht rentabel ist, verschwindet vom Markt. Nice to have? Das war einmal.

Die Frage ist auch, wie es mit der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA weitergeht. Der Berliner Senat und das Land Brandenburg investieren kräftig: Berlin spendiert der ILA 2006 rund 1,2 Mio. EUR, Brandenburg ist mit jährlich 1,8 Mio. EUR dabei. Bisher haben solche finanziellen Stimulierungen keine nicht marktfähige Messe dauerhaft am Leben erhalten.
Und so arbeiten die Messen daran, ihre Internationalität zu erhalten. Nur: Die Welt ist inzwischen ein Dorf. So bewegt sich die Strategie der deutschen Messegesellschaften auf zwei Gleisen. Das eine ist das inländische Geschäft, das andere der Export der eigenen Veranstaltungen. Der erweist sich als überlebenswichtig - auch für die Absicherung und Stärkung der hiesigen Leitmessen.
Die Veranstalter werden nicht nur in Sachen Wettbewerb gefordert, auch die Aussteller erwarten mehr von einer Messe. Das eine Stichwort lautet Service, das andere Effizienz. Die Kunden wollen wissen, ob sich eine Messebeteiligung rechnet, wollen wissen, wie wirtschaftlich dieses multifunktionale Marketinginstrument wirklich ist. Es gibt inzwischen mehrere Modelle, mit denen die ausstellende Wirtschaft ihre Messeauftritte qualitativ und quantitativ unter die Lupe nehmen kann - alle mehr oder weniger solide Bewertungsinstrumente. Das ausstellende Unternehmen muss sich darüber im Klaren sein, dass es Ziele haben muss, wenn es auf eine Messe geht. Sonst kann es seine Beteiligung nicht bewerten. Denn: Im Zuge der Überlegungen für eine strategische Neuausrichtung der deutschen Messelandschaft wird derzeit viel über Aufspaltung und Privatisierung diskutiert. Messen können nur durch veränderte Strukturen und Strategien wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs gebracht werden, sagen die einen. Zu denen gehören in vorderster Front die Frankfurter, die sich unlängst in eine Geländebesitz- und Betreibergesellschaft (unter dem Dach einer Holding) aufgespalten haben. Das ist der erste Schritt auf dem Weg zur endgültigen Privatisierung, den Unternehmensberater heutzutage empfehlen. Das Thema dürfte noch für heiße Diskussionen sorgen. Denn die unterschiedlichen Lager (Pro- und contra Privatisierung) haben Gutachten in Auftrag gegeben. Mal abwarten, was passiert ... Klar ist, für viele Städte und Gemeinden sind die Messen auch wichtige Wirtschaftsförderinstrumente, deren Führung sie ungern aus der Hand geben.

Es kann passieren, dass sich viele Themen von alleine wieder erledigen. Denn - siehe oben - die Talsohle scheint durchschritten. Messen ziehen in Deutschland wieder an. Aussteller- und Besucherzahlen steigen. Sogar von Rekordzahlen ist wieder vereinzelt die Rede.

Eine Messebeteiligung birgt viele Vorteile, die kein anderes Marketinginstrument zu ersetzen vermag. Die Multifunktionalität einer Messebeteiligung ist und bleibt einfach einmalig. Nur: Die ausstellenden Unternehmen müssen um die Vorteile wissen - und sie dann auch nutzen. Hier gibt es noch viel zu tun und Aufklärungsarbeit zu leisten. Messen sind alles andere als antiquiert. Wenn sie in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung auch ganz anders fordern als andere Marketinginstrumente, mit keinem anderen lässt sich so viel erreichen. Messen haben gerade in einer Zeit, in der nach einer intensiven und individuellen Kommunikation verlangt wird, ihre große Chance. Sie sind der Platz für vertrauensbildende Maßnahmen im persönlichen Kontakt. Auch weil sie Prozesse in Gang setzen: Sie sind nicht nur Medien mit Zukunft, sondern für die Zukunft als unersetzbarer Teil des Netzwerks zwischen Produzent und Abnehmer. Und so werden auch 2005 wieder einige Veranstaltungen Premiere feiern.

m+a report Nr.8 / 2004 vom 08.12.2004
m+a report vom 8. Dezember 2004