Die Dienstleistungswüste gibt es nicht mehr

Die Service-Giganten: Der zunehmende Konkurrenzdruck zwingt die deutschen Messegesellschaften zu immer mehr Engagement in vielen Bereichen.

"Halten Sie mich nicht für verrückt", meldete sich während der Nürnberger Fachpack im September eine Stimme am Messe-Service-Telefon: "Aber ich brauche dringend zwei Goldfische." Zugegeben, auch Klaus Peter Wünsch wunderte sich einen Augenblick, als er den Anruf entgegennahm. Wozu braucht man auf einer Verpackungsfachmesse plötzlich Goldfische? Doch der Mann ist es gewöhnt, Ungewöhnliches zu besorgen. Die Vergesslichkeit der Kunden - das ist sein Geschäft. Seit Anfang dieses Jahres ist er bei der NürnbergMesse für den neuen Service "Get it!" zuständig. "Alles das, was der Kunde auf dem Messegelände nicht erhalten kann, besorgen wir", erklärt Wünsch. Das können die gebügelten Hemden sein, die einer zu Hause liegen gelassen hat, das kann die Aktentasche mit der Unternehmenspräsentation sein, die in einem Bahnhofsschließfach schlummert, das können Visitenkarten sein, die noch schnell gedruckt werden müssen, und das können, wenn der Kunde es so will, auch Goldfische sein. "Alles heißt alles", sagt Wünsch.

Wie bei Wünsch kaum ein Wunsch offen bleibt, so ist auch den anderen Messegesellschaften kein Anliegen exotisch genug, als dass sie es nicht ernst nehmen würden. "Vor dem Hintergrund des zunehmenden Konkurrenzdrucks spielt Service eine immer größere Rolle", erklärt Werner Dornscheidt, Vorsitzender der Geschäftsführung bei der Messe Düsseldorf. Wer sich heute vor den Wettbewerbern im In- und Ausland auszeichnen wolle, der müsse mehr bieten als vermietbare Fläche. Längst gehören so Standbau, Presse- und Werbeservices, Hostessen, Catering sowie die Standüberwachung zum Standardprogramm. "In den vergangenen Jahren hat das Messewesen im Servicebereich enorme Anstrengungen unternommen, um die Kundenwünsche optimal zu befriedigen", sagt Ulrich Kromer, Geschäftsführer der Messe Stuttgart: "Die oft zitierte Dienstleistungswüste Deutschland gibt es im Messewesen lange nicht mehr."

Die Investitionen in die Zusatzdienste haben ihren Grund: Die Anzahl deutscher Aussteller und Besucher ist rückläufig, wer sein Niveau halten oder gar zulegen will, der muss auf die internationalen Gäste setzen. "Durch die Zunahme internationaler Aussteller und Besucher werden aber immer höhere Ansprüche an den Service gestellt", sagt Bernd A. Diederichs, Geschäftsführer der NürnbergMesse. Schließlich brauchen Ausländer ein Mehr an Orientierung und Hilfe und haben so einen gesteigerten Bedarf an Services - und sei es nur ein effizienter, günstiger Dolmetscherdienst. "Natürlich ist das nicht alles kostenlos", sagt Dornscheidt: "Wir versuchen auch, eine höhere Wertschöpfung zu erreichen." Vier Kernbereiche sieht er, wo Messen auf ein Zusatzgeschäft hoffen können: den Standbau, die Logistik im Gebäude, das Catering und die Organisation von Events.

"Serviceleistungen sind generell eine der wichtigsten Säulen des Messegeschäfts", sagt auch Andreas Winkler, Bereichsleiter Service der Messe Frankfurt. Dass dem so ist, wird in Frankfurt auch durch den Bau der "Dependance", das neue Wirtschafts- und Bürogebäude, sichtbar, welches die Frankfurter gemeinsam mit ihrer Tochtergesellschaft Accente Gastronomie Services bauen. Wenn es im November in Betrieb genommen wird, sollen von hier aus 5000 Menschen täglich beköstigt werden. Die technische Ausstattung soll es ermöglichen, für rund 100 Imbissstände bis zu 14 000 Brötchen zu schmieren. Doch nicht immer stehen Zusatzgeschäfte im Vordergrund. Einige Servicetools haben auch die Aussteller- und Besucherbindung zum Ziel und wollen öffentliche Kritik entkräften.

Ein Beispiel ist der Hotelguide, den die Messe Frankfurt vergangenes Jahr einführte, um sich gegen die Kritik der überteuerten Hotelpreise zu wappnen. Über 500 Adressen in verschiedenen Preiskategorien sollen klar machen, dass die Stadt am Main besser - und billiger! - ist als ihr Ruf. Allerdings erhalten nur die Aussteller der Eigenveranstaltung das neue Werk kostenlos - alle andern müssen 6,50 EUR zahlen oder sich über das Internet einwählen. Vor allem zur Buchmesse Anfang Oktober waren so erneut Klagen über die Skandalpreise in Sachen Unterkunft zu hören. Ein Problem, das nicht nur die Frankfurter betrifft und das sich nicht zur Zufriedenheit aller lösen wird, solange Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen.

Immerhin haben einige Messegesellschaften, wie etwa die Nürnberger und Leipziger, Partnerhotels an sich gebunden, die billigere Hotelzimmerkontingente bereit halten. Die Leipziger glauben so festgestellt zu haben, dass die Hotelpreise bei ihnen um ein Drittel billiger sind als in anderen deutschen Messestädten. Mit einem seit 2000 bestehenden Reiseservice wickeln sie das Angebot von der Buchung bis zur Abrechnung ab. Vergangenes Jahr liefen so knapp 10 500 Übernachtungen über die Messe Leipzig - doppelt so viele wie zwei Jahre zuvor. Für Top-Kunden wird darüber hinaus auch die Anreise immer komfortabler: Zusammen mit dem Luftfahrtunternehmen FSH stellen die Ostdeutschen einen eigenen Messeflieger bereit, um Spitzenkunden zur Messe zu befördern. "Vor allem für den Besuch von VIPs aus Wirtschaft und Politik ist eine schnelle und unkomplizierte Abreise ein wichtiges Kriterium", sagt Wolfgang Marzin, Geschäftsführer der Messe Leipzig.

Während die Leipziger ihre Gäste per Flieger anreisen lassen, setzen die Frankfurter auf die Schiene. So ließ Servicechef Winckler dieses Jahr erstmals zwei Sonderzüge zu den Konsumgütermessen Paperworld und Ambiente rollen. Zur einmalig stattfindenden International Frankfurt Beauty Week gab es zudem Busverbindungen aus 19 deutschen Städten und bei der Konsumgütermesse Tendence Lifestyle standen zwei Sonderzüge von Berlin und München bereit. Der Komplettpreis enthielt neben der Bahnfahrt die S-Bahn-Verbindung zum Messegelände, die Eintrittskarte und den Veranstaltungskatalog.

Damit während des Messebesuchs alles reibungslos läuft, können sich Besucher der meisten Messen schon im Internet einen Überblick über die Veranstaltung verschaffen. Allen voran die Messe Berlin und die Messe München haben virtuelle Plattformen eingerichtet, auf denen Aussteller ihre Produkte den potenziellen Besuchern schon im Vorfeld präsentieren können. Auf diese Weise lässt sich der Aufenthalt effizienter planen. Aber auch Aussteller profitieren immer mehr durch das Web. Über www.standkonfigurator.de können sie bei der Nürnberger Messe ihren Stand online entwerfen. Service-Chefin Michaela Griep zählt bis zu 1500 Zugriffe im Monat: "Jeder fünfte Aussteller nutzt den Service bereits."

Doch es gilt, Aussteller und Besucher nicht nur im Vorfeld der Veranstaltung bei Laune zu halten. Auch während der Messe sind Dienstleistungen gefragt. So lässt Messe-Düsseldorf-Chef Dornscheidt schon einmal ein Shuttle für die VIPs zwischen Gelände und Hotels verkehren. Auch der obligatorische Messeschluss um 18.30 Uhr ist out: "Wer mit seinen Kunden länger auf dem Stand bleiben will, kann das gerne machen - er muss es nur vorher beantragen." Wem die Hallen zur nächtlichen Stunde zu gruselig sind, hat in der Messestadt "mit der längsten Theke der Welt" aber weitere Möglichkeiten: "Unser Gästeclub ist mittlerweile fast Open-End geöffnet."

Die Messe Stuttgart will ihren Kunden auch jenseits der Messehallen exklusive Behandlung zusichern: Unter der Überschrift "Afterwork in Stuttgart" können sich Aussteller und Besucher Rabattcoupons im Internet ausdrucken lassen. Bei einer Vielzahl von Restaurants zahlen sie unter Vorlage dieser Vouchers in Verbindung mit dem Aussteller- und Besucherausweis zum Teil nur den halben Preis. Kromer: "Die Zufriedenheit der Kunden steht für uns im Vordergrund, denn nur ein zufriedener Kunde kommt gerne wieder und garantiert damit weiterhin kontinuierlichen Umsatz im Kerngeschäft Messe."
Das gilt sicherlich auch für den Kunden mit dem Goldfisch. Wünsch versichert jedenfalls, dass es den Tieren auf der Fachpack blendend ging. Markus Ridder

m+a report Nr.7 / 2004 vom 27.10.2004
m+a report vom 27. Oktober 2004