"Zuviel Reglement schadet nur der Kreativität"

Mehr als 600 Aussteller aus 40 Ländern treffen sich zur popkomm in Berlin. Unter dem Funkturm und in der Stadt soll das Branchenevent eine neue Heimat finden.

Im Gegensatz zur Vorjahresveranstaltung in Köln stößt die erste popkomm in Berlin (29. September bis 1. Oktober 2004) auf großes Interesse seitens potenzieller Aussteller. Die große Frage ist nun, ist es der Hauptstadtbonus, der die Messe so interessant für die Branche macht, oder punktet die Messe Berlin als Neuveranstalter durch neue Konzepte und verschafft so dem Branchenereignis einen neuen Stellenwert? Wolfgang Wagner, Pressesprecher der Berliner und auch der popkomm sagt: "Berlin ist für Labels interessant, da in der Stadt enormes kreatives Potenzial von internationalem Format vorhanden ist." Aber Berlin sei auch für Fachverbände der Branche ein bevorzugter Veranstaltungsort, da die meisten Gesprächspartner aus Politik, Ministerien und Medien vor Ort seien. Das "Label" Berlin habe also eine große Anziehungskraft in aller Welt.
Aber nicht nur mit der Stadt lässt sich punkten. Die popkomm startet 2004 darüber hinaus mit einem neuen Termin und einem neuen Konzept. Dabei komme der spätere Termin vor allem den südeuropäischen Ausstellern entgegen. Dies begründe auch das große Interesse aus südeuropäischen Ländern aber auch aus Übersee, so Wagner. Er ist sicher, dass der Zeitpunkt auch bessere Impulse für das Herbst- und Weihnachtsgeschäft setze. Das neue Konzept wiederum gehe weg von der reiner Tonträgerorientierung hin zu Einbeziehung von Cross-Over-Themen wie zum Beispiel Games, Mobile Music, Consumer Electronics und Mode.
Da bietet es sich an, auch verstärkt auf musikaffine Branchen zu setzen, die im Gesamtkonzept der popkomm ihren Platz finden könnten. Auch dafür hat die Messe Berlin eine Plattform geschaffen: "Die Einbeziehung von Unternehmen aus dem passenden Umfeld erfolgt auf der Messe, vor allem aber im Kongress. Im umfangreichen Programm lassen sich dafür viele Beispiele finden. So haben Vertreter von namhaften Firmen wie Electronic Arts (Games), Adidas (Mode) und Vodafone (Telekommunikation) ihr Kommen angesagt," erklärt Wagner weiter. Auch bei der Sponsorensuche streckt die Messe ihre Fühler weiterhin aus. Noch laufen Gespräche mit mehreren wichtigen Sponsoren. Mit im Boot ist auf jeden Fall 02 als Exklusivsponsor für die Fachbesucherausstattung und wird daher unter anderem auf Taschen oder Key-holdern zu finden sein.
Vom Hauptstadtflair kann die Messe weit über das Messegelände hinaus profitieren. Die popkomm als Veranstaltung ruht auf drei Säulen: Messe, Kongress und Festival. Die Messe findet als reine Fachmesse an drei Tagen auf dem Messegelände statt. Auf den ursprünglich angedachten Publikumstag wurde auf Wunsch der Branche verzichtet. Der popkomm-Kongress tagt ebenfalls auf dem Messegelände. Das Festival aber mit mehr als 300 einzelnen Acts steigt in über 30 Clubs und anderen Locations der Stadt. "Die popkomm arbeitet eng mit diesen Partnerclubs sowie mit der Berliner Club Commission zusammen. Es wird unter anderem einen Festival Guide (popkomm unity) in einer Auflage von 150 000 Exemplaren (davon 10 000 in Englisch) mit Quickfinder geben, der bundesweit vertrieben wird." Mit mehreren Stadt- und Szenemagazinen gibt es Medienpartnerschaften. Die Clubs entwickeln darüber hinaus auch eigene PR-Aktivitäten.
Trotz der breit gestreuten Zustimmung scheint noch nicht allen Big Playern der Branche das neue Konzept geheuer. So bleiben etwa Sony/BMG und EMI der Berliner Premiere zumindest als Aussteller erst einmal fern. Ein Fernbleiben, das den Messemachern allerdings erst einmal wenig Kopfzerbrechen bereitet. "Universal Music, Sony Music und Warner Music sind als Aussteller vertreten. Von BMG und EMI haben sich zahlreiche Mitarbeiter als Fachbesucher angemeldet. EMI Music Publishing wird zum Beispiel auch die Sieger seines Songwriter Contests zur popkomm in Berlin veröffentlichen," so Wagner. Außerdem: Zur popkomm kommen nicht fünf, sondern mehr als 600 Aussteller aus 40 Ländern. Das heißt, die übergroße Mehrzahl der Aussteller sind kleine und mittelständische Unternehmen, Labels und Agenturen. "Wir erheben im übrigen keinen Komplettabdeckungsanspruch mit der popkomm, schon gar nicht mit der ersten Veranstaltung. Wir gehen allerdings davon aus, dass es für die Positionierung im Markt kein effektiveres Marketinginstrument als die Leitmesse einer Branche gibt."
Zeitgleich zur popkomm findet die erste Premium Music statt, eine weitere Musikmesse mit rund 40 Ausstellern. Es scheint eine neue Hauptstadtsitte zu sein, dass sich mehrere Veranstalter zur gleichen Zeit mit verschiedenen Messen zum gleichen Thema an die Öffentlichkeit wagen. Das funktioniert anscheinend bei Musik nicht anders als bei der Mode. Angst, dass man sich dank übergroßer Konkurrenz gegenseitig das Wasser abgräbt, scheint es nicht zu geben. Laut Messe Berlin versteht sich die popkomm als internationale Businessplattform für die Musik- und Entertainmentindustrie, die auch Unternehmen musikaffiner Branchen anspricht. "Das neue Konzept findet weltweit Interesse und Zuspruch. Dafür spricht nicht nur die große Ausstellerzahl, sondern sprechen auch rund 50 Panels mit mehr als 300 Teilnehmern. Beleg dafür sind weiter die zahlreichen Künstler aus aller Welt, die zum Popkomm-Festival anreisen. Berlin ist eine kreative Stadt, das gilt auch für Mode und Musik. Bread & Butter und Premium haben bisher keine Konkurrenz füreinander dargestellt, sondern sich eher ergänzt. Was die Musik betrifft, so begrüßen wir alle Initiativen, die den Musikstandort Berlin und die deutsche Musiklandschaft bereichern und voranbringen."
Daher glaubt Wagner auch nicht, dass es einen "Veranstaltungsoverkill" geben könnte und das Angebot an Foren, Konzerten und verschiedenen Musikbereichen schnell zu unübersichtlich wird. Im Gegenteil: "Berlin ist eine lebendige Stadt, in der es täglich mehrere große und hunderte mittlere und kleine Events gibt. Damit müssen und können wir als Messemacher leben. Doch diese Stadt bietet zugleich unendlich viele Chancen, sich in der Öffentlichkeit darzustellen. Sie besitzt eine Medienpräsenz wie keine andere deutsche Stadt." Was das Programm der popkomm anbelange, so könne man Unübersichtlichkeit nur mit einem klaren, stringenten Konzept und einer straffen Organisation begegnen. Wagner sieht die Veranstaltung dabei gut auf Kurs. Allerdings: Zu viel Reglementierung schade nicht nur der Kreativität, sondern sei zudem eher untypisch für diese Branche. Übrigens gelte auch der (Durchschnitts-)Berliner als ziemlich spontan.

m+a report Nr.6 / 2004 vom 24.09.2004
m+a report vom 24. September 2004